SPOX: Wie kann man sich das vorstellen, wenn Sie einen Spieler für tauglich erachten, um in die Profimannschaft aufsteigen? Rufen Sie Pep Guardiola an und empfehlen den Spieler?
Ten Hag: Natürlich schlage ich Spieler vor, die das Talent haben und Fortschritte machen. Aber das ist ein Rat, ich bestimme das nicht. Ich habe täglich Kontakt zu Herrmann Gerland, zu Michael Tarnat und zu Matthias Sammer und über Gerland oder Sammer zu Pep Guardiola und Domenec Torrent. Wir trainieren oft zusammen, Gerland, Sammer oder Tarnat sehen oft unsere Spiele und der Test ist immer das Spiel. Wir haben jede Woche ein Spiel, in dem die Spieler ihren Beitrag leisten können. Letztlich entscheidet aber der Profi-Stab, wer hochgezogen wird zu den Profis.
SPOX: Ein nicht unwichtiger Aspekt ist auch der Wille der Spieler: Gibt es mündige Spieler, die auch mal zu Ihnen kommen und sagen: "Trainer, was muss ich besser machen, um in die Bundesliga zu kommen?"
Ten Hag: Das kommt vor, aber ich erwarte noch mehr. Ich will noch mehr proaktive Spieler. Ich will Spieler, die sich Gedanken über Fußball machen, über Lösungen im Fußball. Über die eigene Position, aber auch über die Mannschaft. Das Problem hat immer die ganze Mannschaft. Der Spieler muss sich Gedanken machen, wie es die ganze Mannschaft lösen kann.
SPOX: Kurz gesagt: Ein Spieler soll mehr Entscheidungen treffen.
Ten Hag: Absolut. Die Entscheidung kann auch mal falsch sein, aber eine falsche Entscheidung ist besser als keine Entscheidung. Der Effekt einer falschen Entscheidung kann auch positiv sein. Die Spieler müssen Lösungen auf dem Platz finden und ich freue mich, wenn dann kreative Lösungen zusammen gefunden und ausgeführt werden.
SPOX: Shota Arveladze, langjähriger Stürmer, ehemaliger Co-Trainer von Louis van Gaal und inzwischen erfolgreicher Klub-Trainer in der Türkei, sagte neulich in einer TV-Sendung, van Gaal sei ein Joystick-Trainer gewesen. Also ein Trainer, der alles bestimmen will, was seine Spieler tun. Sie sind demnach kein Joystick-Trainer?
Ten Hag: Ich verstehe, was Arveladze meint. Das ist die Vision eines Trainers, wie er seinen Job macht. Dazu muss man sagen, dass Louis van Gaal überall auf der Welt damit Erfolg hatte. Ich weiß nicht, ob das als Kritik gemeint ist...
SPOX: Ein bisschen von beidem.
Ten Hag: Man kann von Louis van Gaal viel mitnehmen. Nochmal: Ich als Trainer will meinen Spielern etwas mehr Freiräume geben. Freiräume bedeuten aber auch, Verantwortung zu übernehmen. Beides kann man nie auseinanderhalten. Wenn ein Spieler keine Verantwortung übernimmt, bekommt er Probleme mit mir.
SPOX: Ihre Mannschaft hat wenige Probleme in der Regionalliga. Sie haben vor der Saison gesagt, dass es länger dauern könnte, bis sich der Erfolg einstellt. Der FC Bayern ist aber trotz der drei Niederlagen zuletzt immer noch Tabellenführer. Sind Sie überrascht?
Ten Hag: Das Ergebnis ist positiv, der Prozess ist auf einem guten Weg, aber wir haben noch viele Defizite. Wir hatten vor der Saison viele Verletzte oder Spieler, die keinen Urlaub hatten und schlecht belastbar waren. Es freut mich, dass Spieler, die ein Jahr durchgespielt haben, immer noch fit wirken oder sind. Aber es ist noch mehr drin.
SPOX: Wo genau sehen Sie Entwicklungspotenzial?
Ten Hag: Wir mussten anfangs das Entwicklungsklima verbessern. Damit ist das Bewusstsein gemeint, das ich angesprochen habe. Da kommen wir voran. Wir haben die Grundlage. Was es zu verbessern gilt, ist die Handlungsschnelligkeit.
SPOX: Die Winterpause rückt näher. Im Sommer hat Pep Guardiola viele Spieler ins Trainingslager nach Italien mitgenommen. Dürfen Sie Ihre Spieler jetzt behalten?
Ten Hag: Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass wieder viele mitfahren. Das ist auch die Philosophie des FC Bayern, dass Spieler die Möglichkeit bekommen, um an die Tür zur ersten Mannschaft zu klopfen. Ich glaube aber nicht, dass es so viele werden wie im Sommer. Damals haben bei den Profis viele Spieler gefehlt, die beim Confed Cup oder verletzt waren. Hoffentlich sind im Wintertrainingslager bei den Profis alle gesund. Der eine oder andere von meinen Spielern wird aber wohl dabei sein.
SPOX: Auch in Länderspielpausen trainieren Ihre Spieler gemeinsam mit Profis. Von Ihnen gibt es das Zitat: "Die Jungs können schön sehen, wie ein Contento den Ball spielt, mit welcher Wucht ein Kirchhoff aus der Distanz aufs Tor schießt." Das sind jetzt keine Spieler, die regelmäßig beim FC Bayern von Anfang an spielen. Sehen Sie in diesen Einheiten, die Sie oft mit Pep Guardiola gemeinsam leiten, wie groß die Unterschiede sind oder sehen Sie da eine gute Entwicklung?
Ten Hag: Die Rede ist von Bayern-Spielern, die in der Bundesliga gespielt haben. Jeder Verein in der Bundesliga würde sich wünschen, diese Spieler in seinem Kader zu haben. In jedem anderen Kader würden sie wahrscheinlich Stamm spielen. Aber es stimmt schon, dass ich dann auch mal sagen kann: Hier, dieses Defizit hast du noch im Unterschied zu den Profis und hier kannst du dich noch verbessern. Noch wichtiger ist aber, dass die Spieler das vor allem selbst sehen. Das ist die beste Kommunikation.
SPOX: Ein Spieler holt sich sein Feedback beim Trainer. Von wem holt sich ein Trainer das Feedback?
Ten Hag: Da gibt es viele Wege. Wir sprechen im Trainerstab, mit dem Vorstand. Vor allem aber ist es wichtig zu sehen, wie die Spieler auf dich als Trainer reagieren. Wenn man die Augen offen hält, bekommt man vom Spieler die Reaktion: gut oder schlecht.
SPOX: Sie sind mit 43 Jahren auch noch ein relativ junger Trainer. Wie sieht Ihr Karriereplan aus?
Ten Hag: Ich bin nicht auf der Jagd. Ich will jeden Tag mein Bestes geben. Ich muss mich jeden Tag verbessern und mich reflektieren: Was mache ich gut, was mache ich nicht gut? Aber ich will nichts forcieren: Was kommt, das kommt. Und momentan bin ich mit meiner Arbeit beim FC Bayern sehr zufrieden. Es macht mir sehr viel Spaß.
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