Beim FC Barcelona stand Andoni Zubizarreta im Tor, Ronald Koeman war der Abwehrchef, Pep Guardiola gab die Acht und nahm die Anweisungen von Trainer Johan Cruyff entgegen. Bei Real Madrid stand Paco Buyo zwischen den Pfosten, Fernando Hierro war der Libero, Gheorghe Hagi spielte auf der Zehn, Stürmer Emilio Butragueno wurde am Saisonende Torschützenkönig. Radomir Antic war in dieser Saison nach John Toshack und Alfredo Di Stéfano schon der dritte Real-Trainer.
Cruyff, Di Stéfano und Antic weilen nicht mehr unter uns, alle anderen aus der Saison 1990/91 sind dem Fußball in irgendeiner Form erhalten geblieben, aber es sind nun auch schon drei Jahrzehnte vergangen. Fragt man heute Buyo oder Guardiola, würden sie sich wohl nicht mehr daran erinnern, dass sie damals auch gegen CD Castellón gespielt haben.
Der Klub aus der Nähe von Valencia wurde damals 19. in der Primera División, stieg ab und kam nie wieder zurück. Ein paar Abstiege, zwischendurch wieder mal 2. Liga. Inzwischen ist Castellón im zweiten Jahr in der 3. Liga. Und dennoch ist es dem kleinen Traditionsverein gelungen, zuletzt mehrfach international erwähnt zu werden. In der NBA-Welt, in der Poker-Welt, in den US-Sportnachrichten.
Der Grund hört auf den Namen Haralabos Voulgaris, der beim spanischen Drittligisten als Hauptaktionär und Präsident eingestiegen ist und seine gesamte Entourage mitgenommen hat. Der in Griechenland geborene Kanadier ist in der Sportwelt kein Unbekannter. Vor allem in den USA.
Haralabos Voulgaris ging mit 18 in die USA
Angefangen hat seine Geschichte in der Pokerwelt, wo er ein bekannter Spieler der High-Stakes-Community war. Er war noch ein Teenager, als er mit seinem Vater nach Kanada kam - ohne große Mittel, aber mit Glück im Gepäck, denn sein Vater machte gutes Geld mit Immobiliengeschäften.
Als Voulgaris 18 war, folgte er seinem umtriebigen Vater nach Las Vegas, durfte aber altersbedingt nicht in die Casinos, in denen sein Vater reichlich Geld ließ. US-Quellen berichten, wie er bei einem Buchmacher ein- und ausging, um sich die Bewegungen auf dem Wettmarkt anzugucken und setzte dann mithilfe seines Vaters irgendwann selbst kleinere Beiträge, die nach ersten Erfolgen immer größer wurden.
Der junge Bob, wie er sich nennen lässt, erkannte sein mathematisches Verständnis für den Sport und setzte es ein, um mit Wetten groß abzukassieren. Das sollte doch auch beim Pokern gehen, dachte er sich und als er mit 21 in die Casinos durfte, floss auch da das Geld. Er gewann mehr als drei Millionen Dollar bei offiziellen Turnieren, saß in Las Vegas und Co. an den teuren Tischen.
Doch Voulgaris ist es wichtig zu erwähnen, dass er nie ein Zocker war, der so ein Bauchgefühl hatte, dass die Lakers gewinnen oder die Bulls verlieren. Er stellte Statistiken auf, arbeitete an komplexen Modellen und Formeln, die ihm ein mögliches Ergebnis ausspuckten und ihm den Sport so fast berechenbar machten.
Millionär dank Fußballwetten: Matthew Benham ist der Pionier
Er ist damit kein Pionier - nicht der erste Selfmade-Millionär, der durch Wetten zum Reichtum kam: Der Engländer Matthew Benham beispielsweise stellte einst Wahrscheinlichkeitsberechnungen auf, um auf richtige Fußballergebnisse zu tippen und verdiente sich eine goldene Nase, als sich der asiatische Wettmarkt für europäische Kunden öffnete. Er konnte auf Einzelspiele setzen, die ihm den Gewinn erleichterten.
Heute ist Benham Eigentümer des englischen Premier-League-Klubs FC Brentford sowie des dänischen Vorzeigeklubs FC Midtjylland und lässt die Mathematik auch bei der Führung des Klubs gelten. Der außergewöhnliche Erfolg von Midtjylland bei Standardsituationen wurde selbst beim DFB in der Trainerausbildung in den Lehrplan genommen. Wie sehr Datenanalyse und datenbasiertes Scouting helfen können, sieht man dort, aber inzwischen auch bei vielen Nachahmern in Europa.
Benham ist auch ein Vorbild für Voulgaris, auch wenn die beiden sicherlich nicht zu vergleichen sind. Voulgaris kommt von der Straße und hat sich vieles Wissen selbst angeeignet und tickt menschlich auch anders. Benham ist promovierter Oxford-Physiker, der seine Aufgaben äußerst nüchtern und bedacht angeht und kein Sprachrohr hat.
Voulgaris ist anders. Er fällt gerne auf, er schrieb einst NBA-Blogs und war auffällig in den sozialen Medien, um als NBA-Experte wahrgenommen zu werden. Mark Cuban, Besitzer der Dallas Mavericks, ließ sich von Voulgaris beeindrucken und gab ihm einen Job als Direktor für Entwicklung, aber Voulgaris wäre nicht Voulgaris, wenn er seine Rolle nicht überstrapaziert hätte.
Der Krach in der NBA mit Luka Doncic und Co.
In NBA-Kreisen galt er als geheimer General Manager, der viel Einfluss auf Cuban nahm. Er wollte nicht nur die Datenanalyse machen, sondern nachhaltig einwirken. So sehr, dass es irgendwann zum Krach kam und der langjährige GM Donnie Nelson nach 24 Jahren die Franchise verließ.
Voulgaris soll damals in die meisten Kaderentscheidungen involviert gewesen sein und hatte offenbar sogar Einfluss auf die Lineups von Head Coach Rick Carlisle. Zwar schmetterte Cuban die zahlreichen Berichte darüber als "Bullshit" ab, aber dass es zur Trennung kam, ist der Beweis, dass etwas passiert sein muss.
Besonders Mavs-Superstar Luka Doncic war damals sehr enttäuscht, hatte er zu Nelson, der ihn mit 14 scoutete und sich für ihn starkmachte, eine enge Bindung. Selbst über einen Doncic-Weggang wurde damals wild spekuliert. Voulgaris soll in einem Spiel, indem dem Slowenen ein Turnover unterlief, Doncic von der Seitenlinie gestikuliert haben, dass er ruhiger spielen soll. Eine Majestätsbeleidigung.
Voulgaris überlebte zwar das damalige Mavs-Beben, blieb aber selbst nicht mehr lange. Schon 2013 sagte er bei ESPN, dass er gerne einen Basketball-Klub, am liebsten in der NBA, kaufen würde, aber dafür reichten die Wettgewinne nicht.
Haralabos Voulgaris: "Ich bin ein Pragmatiker"
So ist es zu erklären, dass er sich nun im günstigeren Fußball probiert und auch ganz unten anfängt. Zum einen ist ein spanischer Drittligist erschwinglich, zum anderen ist das Erfolgspotenzial groß, wenn man an den richtigen Hebeln ansetzt. Mehr als im US-Profisport, wo es beispielsweise keinen Auf- und Abstieg gibt. Mit Castellón hat er nun die Chance zu zeigen, dass er durch sein zahlengetriebenes Vorgehen einen Fußballklub nach oben bringt.
"Ich bin ein Pragmatiker", sagt er. "Das Reich eines Pragmatikers sind Ergebnisse und Konsequenzen. Ich würde sagen, dass ein großer Teil dieses Ansatzes darin besteht, nach Ineffizienzen zu suchen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine 'Marke' habe, aber wenn ich eine hätte, dann wäre es wahrscheinlich genau das. Ineffizienzen zu finden", erklärt Voulgaris bei ESPN.
Ableiten kann man aus der Aussage auch, dass Voulgaris nachhaltig Einfluss ins operative Geschäft nehmen wird und sein eigenes Team zusammenstellt, das Castellón führen soll. Er bestätigt: "Ich kann es kaum erwarten, integre, ungemein talentierte und hart arbeitende Mitarbeiter einzustellen und zu halten. Ich kann gar nicht genug betonen, wie aufgeregt ich über diese Gelegenheit bin."
Das erklärte Ziel ist die Rückkehr in die Primera División, um es dort mit Real Madrid und dem FC Barcelona aufzunehmen. "Dieser Klub hat das Potenzial, ein La-Liga-Team zu werden", so Voulgaris. "Er hat die Unterstützung ihrer Fans vor Ort, er hat eine sehr tiefe und reiche Geschichte". Er besuchte zuletzt selbst den Bürgermeister der Stadt, um von seinen Ideen zu berichten.
Tony Bloom: Der Poker-Star, der zum Milliardär wurde
Die Vorbilder sind Brentfords Benham oder auch Tony Bloom, Besitzer von Brighton & Hove Albion. Auch Bloom kommt aus der Poker- und Wett-Welt, sein Vermögen wird auf 1,3 Milliarden Dollar taxiert. Auch er ist studierter Mathematiker und setzte seine Fähigkeiten gewinnbringend ein, um sich ein Vermögen anzuhäufen. Er ging den Umweg über andere Investitionsfelder wie Immobilien und stieg dann im Sport ein.
Auch Bloom sucht sein Personal nach seinem Gusto aus - Graham Potter holte er über den Umweg Swansea City vom schwedischen Klub Ostersunds FK, wo der Engländer einen pragmatischen Weg fand, um mit kleinen Mitteln zum Erfolg zu kommen. Potter folgte dem datenbasierten Ansatz seines Chefs und war so erfolgreich, dass der FC Chelsea nun 18 Millionen Euro Ablöse für ihn bezahlte.
Ob Voulgaris ähnlich vorgeht, wird man sehen. Ein Problem könnte sicher seine forsche Art sein, die ihm schon in Dallas im Weg stand. Und er gibt auch zu: "In einem professionellen Umfeld bin ich nicht immer angenehm. Ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst und erwarte, dass die Menschen um mich herum das Gleiche tun."
Ziehen alle mit, glaubt Voulgaris bald in einer der besten Fußball-Ligen der Welt Fuß zu fassen. Dass es geht, zeigte der FC Villarreal, der Klub aus der Nachbarschaft.
Villarreal spielt erst seit 25 Jahren in der Primera División, hat aber inzwischen einige Champions-League-Teilnahmen hinter sich und schaltete im Vorjahr den FC Bayern aus und spielte im Halbfinale. 2021 gewannen die Gelben sogar die Europa League im Finale gegen Manchester United. Für Voulgaris wäre das ein Traum, den er sich erfüllen will. Ob es klappt? Bob hat es sicher schon durchgerechnet und kennt das Ergebnis.