SPOX: Herr Torres, erklären Sie uns doch mal, weshalb Sie den Titel "Prepárense para perder" ("Macht euch bereit, zu verlieren") gewählt haben.
Diego Torres: "Prepárense para perder" bezieht sich auf eine Kabinenansprache, die Jose Mourinho 2011 vor dem Halbfinal-Rückspiel der Champions League im Camp Nou hielt. Es war eine solch seltsame Ansprache, wie sie noch nie ein Trainer in der Geschichte von Real Madrid gehalten hatte. Die Grundidee dahinter bestand darin, die Spieler mental darauf vorzubereiten, nicht mit dem Ziel aufs Feld zu gehen, den Rückstand aus dem Hinspiel aufzuholen. Normalerweise dienen Ansprachen der Motivation, um scheinbar unmögliche Ziele zu erreichen. Aber in diesem Fall machte es Mourinho umgekehrt: Er hat seine Mannschaft nicht etwa dazu motiviert, das sportlich erwünschte Ergebnis zu erzielen, sondern sie aufs Verlieren, aufs Ausscheiden eingestellt. Um die Ehre zu retten und eine Klatsche zu vermeiden. Nur darauf zielte diese Ansprache ab. Ihr Effekt war sehr seltsam, weil die Spieler sehr verwirrt reagierten.
SPOX: Es scheint, als wäre Mourinho sein Image in diesem Fall wichtiger als das sportliche Resultat. Kann man dieses Phänomen im Fall Mourinho generalisieren?
Torres: Das ist Teil seiner Methode. Mourinho ist der berühmteste Trainer der Welt, als Persönlichkeit sogar berühmter als Guardiola. Er ist sich dessen bewusst, dass er eine Berühmtheit ist und dazu gehören neben Einkommen und Prestige noch bestimmte Charakterzüge: Das Prinzip Mourinho besteht aus Willkür, Macht, einer bestimmten Form der Bosheit, einem sehr taktischen Fußball, der sich darüber definiert, die Fehler im gegnerischen Spiel zu identifizieren und: Erfolg. Erfolg als wichtigster Baustein über allem. Erfolg als Zweck, der alles rechtfertigt. Wenn Mourinho keinen Erfolg mehr hat, verliert sein Image an Wert. Also alles, was ihm Prestige, Ruhm und Geld eingebracht hat. Wenn Mourinho keinen Erfolg mehr hat, ist sein nächster Vertrag schlechter bezahlt. Beispielsweise kassiert er bei Chelsea weniger als in Madrid, wo er mehr Gehalt als je zuvor bekam.
SPOX: Wie viel hat Mourinho bei Real verdient?
Torres: Rund zehn Millionen Euro. Bei Chelsea kassiert er zwischen acht und neun Millionen. Wenn er mit Madrid die Champions League gewonnen hätte, hätten sie ihm bei Chelsea womöglich zwölf Millionen gezahlt. Der Erfolg spiegelt sich im Gehalt wider. Der Erfolg ist aber nur ein Bild, eine Vorstellung auf einer Skala, auf der Mourinho als Verantwortlicher des Erfolgs am meisten verdient. Wenn er aber verantwortlich für Misserfolge ist, verliert seine Marke an Wert. Was Mourinho mit all seinen Reden und Aussagen zu erreichen versucht, ist sein Geschäft aufrechtzuerhalten. Seine Intention besteht darin, die Schuld an Misserfolgen anderen zuzuschieben, um sein Gewinner-Image zu bewahren.
SPOX: Also handelt Mourinho im Endeffekt immer ausschließlich nach finanziellen Gesichtspunkten?
Torres: Ja. Alles was er macht, macht er, um weiterhin ordentlich zu verdienen. Es gibt einen Diskurs dazu unter Journalisten: Manche sagen, Mourinho sei ein Psychopath, ein Paranoiker, ein Verrückter. Ich wurde oft gefragt: Glauben Sie, dass Mourinho irgendeine psychische Krankheit hat? Aber ich glaube nicht, dass er verrückt ist. Mourinho ist womöglich ein unbeherrschter Charakter mit Persönlichkeitsproblemen. Ein wenig neurotisch, ein wenig hysterisch. Er ist ein Egomane. Aber er ist kein Verrückter.
SPOX: Glauben Sie denn, dass er sich stets dessen bewusst ist, was er sagt?
Torres: Manchmal verliert er die Kontrolle. Das liegt daran, dass es ihm gefällt, an die Grenzen zu gehen. Mourinho ist ein Mann, der alle Gesetze bricht, der sich allen Regeln widersetzt. Er will dass seine Spieler an den Grenzen des Regelwerks agieren, dass sie Schiedsrichter bis ans Limit provozieren, dass sie bis ans Limit Freistöße schinden. Und manchmal überschreitet Mourinho Grenzen, zum Beispiel, als er Tito Vilanova seinen Finger ins Auge drückte. In manchen Momenten verliert er die Kontrolle. Aber diesen Kontrollverlust fordert er quasi heraus.
SPOX: Hat ihm denn seine Art, das eigene Handeln zu verteidigen und die Schuld an Niederlagen anderen zuzuschieben, womöglich hin und wieder den Job gerettet?
Torres: Ja. Doch es hat ihn nicht nur gerettet, dass er stets sich selbst verteidigt und keine Verantwortung übernommen hat, sondern auch, dass er das Gleiche mit Florentino Perez getan hat. Mourinho hat Perez immer beschützt, er wollte ihn von jeglicher Verantwortung befreien. Wenn Perez an irgendetwas Mitschuld trug, schob Mourinho diese Schuld Schiedsrichtern, der UEFA oder jemand anderem zu. Das war für Perez sehr wertvoll. Deshalb wollte er vermeiden, dass Mourinho den Verein verlässt, denn so gab es stets ein Schutzschild, das die tatsächlichen Verantwortlichen vor Kritik oder vor der Notwendigkeit von Schuldeingeständnissen bewahrte.
SPOX: Deshalb hat Perez Mourinho nie rausgeworfen?
Torres: Richtig, das ist einer der Hauptgründe. Das, was Mourinho betrieb, nennt man Kommunikationspolitik, was in Wahrheit Propaganda ist. Das ist eine der Fertigkeiten, die Mourinho am besten beherrscht. Perez gefiel sein Spielstil nicht, aber er war fasziniert von Mourinhos Kommunikationspolitik. Genauso geht es Abramowitsch: Er mag Mourinho nicht, er schätzt ihn nicht besonders auf persönlicher Ebene. Ihm gefällt auch nicht der Fußball, den Chelsea spielt. Aber er hat Mourinho geholt, weil er öffentlich akzeptiert ist. Er hat ihn nicht nur als Trainer verpflichtet, sondern weil er charismatisch ist, weil er ein Politiker ist.
SPOX: Perez hat Mourinho nach Madrid geholt, ihm riesige Macht eingeräumt und ihn bis zum Schluss verteidigt. Hätte Perez nicht auch gehen müssen?
Torres: Perez hätte auf jeden Fall Verantwortung übernehmen müssen. Das Problem ist, dass Perez das niemals machen würde, weil er Real Madrid um keinen Preis verlassen will. In Bezug auf Mourinho hat er nie Verantwortung übernommen, er hat ihn nie kritisiert.
SPOX: Dafür gab es Kritik von Seiten der Spieler. Wann hat sich die Stimmung gegen Mourinho gewandt?
Torres: Das geschah über die Jahre. In seiner ersten Saison standen die meisten hinter Mourinho, aber mit der Zeit haben einige Spieler die Seiten gewechselt. Die ersten, die Mourinho kritisierten, waren Lass Diarra und Pedro Leon. Später kamen Iker Casillas oder Sami Khedira dazu. Khedira glaubte, dass Mourinho schlecht für das Team sei, auch wenn er es nie öffentlich so gesagt hat, da Mourinho ihn damals selbst geholt hatte. Dennoch war Khedira der Meinung, dass er nicht das umsetzen könne, was Mourinho von den Spielern verlangte: Die Gegner provozieren, mit dem Schiedsrichter diskutieren, handgreiflich werden - vor allem gegen Barca. All das unsportliche Verhalten eben.
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