Das erste Mal, das Trevoh Chalobah seinen Traum lebte, war am 18. April 2012. Als Jungspund aus der Chelsea-Jugend durfte er an der Stamford Bridge als Balljunge ran. Es war das Hinspiel im Halbfinale der Champions League zwischen den Blues und dem FC Barcelona (1:0) mit einem damals überragenden Lionel Messi.
"Wir holten die Bälle und gaben sie den Spielern, das fühlte sich großartig an", schwärmte Chalobah einige Jahre später im Gespräch mit GOAL und SPOX. "Wir haben jede Chance genutzt, Balljungen zu sein. An das Spiel erinnere ich mich noch ganz genau. Ich stand damals neben Mason (Mount, d. Red.) und ich war es, der den Ball zu Messi geworfen hat. Ich dachte nur: 'Wow, sonst hast du ihn im TV gesehen und jetzt steht er hier live vor dir.'"
Seit jenem Abend im Frühjahr 2012 ist eine Menge Zeit vergangen. Chalobah hatte in seiner Karriere noch mehrfach die Gelegenheit, sich Träume zu erfüllen. Nun könnte er angeblich zum FC Bayern wechseln. Laut übereinstimmender Medienberichte ist Chalobah der Top-Kandidat für die Abwehr, in den Gesprächen mit Chelsea gehe es aktuell noch darum, ob er ausgeliehen oder fest verpflichtet wird.
Sollte er bei den Roten die Nachfolge Benjamin Pavards (steht vor einem Wechsel zu Inter Mailand) antreten, dürften die FCB-Fans sich auf einen echten Kämpfer freuen.
Bayern-Kandidat Trevoh Chalobah: Mit neun Jahren zum FC Chelsea
Chalobah wurde in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones geboren. Früh übersiedelte er mit seiner Familie nach England. In London kickte er viel mit seinem älteren Bruder Nathaniel, der heute ebenfalls Profi ist und bei West Bromwich Albion spielt. 2008 wechselten die beiden Chalobahs in die Jugend Chelseas. Trevoh war damals neun Jahre alt und noch ein Stürmer, rückte dann aber im Laufe der Zeit immer weiter nach hinten.
In der bekanntermaßen herausragenden Blues-Akademie entwickelte er sich zu einem der besten jungen Spieler seiner Altersklasse, wurde Junioren-Auswahlspieler und 2016 mit seinem ersten Profivertrag belohnt. In Chelseas Jugend gehörte er mit den heutigen A-Nationalspielern Reece James und Mason Mount (Manchester United) zu den auffälligsten Akteuren und trug häufig die Kapitänsbinde.
Obwohl er noch keinen Einsatz in der ersten Mannschaft absolviert hatte, nominierte ihn der damalige Teammanager Antonio Conte 2018 als Ersatz für den verletzten Andreas Christensen für den Kader für das FA-Cup-Finale gegen Manchester United (1:0).
"Ich dachte damals, ich reise mit der Mannschaft zum Spiel und schaue dann von der Tribüne aus zu. Das allein wäre schon ein Kracher gewesen", so Chalobah. "Aber dann durfte ich in die Kabine und sah meinen Namen auf der Ersatzbank. Ich musste fast weinen. Ich rief meinen Vater an und sagte, dass ich auf der Bank sitze. Die ganze Familie war überglücklich. Das war unglaublich, eine wahnsinnige Erfahrung."
Trevoh Chalobah debütierte bei Chelsea unter Bayerns Trainer Thomas Tuchel
So hatte Chalobah bereits als Teenager seinen ersten Titel in der Tasche. Er wurde Mitglied von Chelseas berüchtigter Loan Army und spielte für Ipswich Town, Huddersfield Town und den FC Lorient, wo er regelmäßig im Mittelfeld zum Einsatz kam.
Während es viele ausgeliehene Chelsea-Juwele anschließend an der Stamford Bridge nicht schafften, biss sich Chalobah durch. Im Sommer 2021 sollte er trotz starker Leistungen in der Saisonvorbereitung erneut verliehen werden. Dank überzeugender Auftritte bei seinem Debüt im UEFA Super Cup gegen den FC Villarreal und anschließend in der Premier League gegen Crystal Palace sowie des geplatzten Transfers von Jules Koundé (damals FC Sevilla) verdiente er sich aber einen Platz im Kader des damaligen Champions-League-Siegers.
Gegen Palace schweißte er das Leder aus mehr als 20 Metern in den gegnerischen Kasten und erzielte so sein erstes Premier-League-Tor. Statt ausgefallenen Jubels sank Chalobah mitten auf dem Platz auf den Boden. "Ich konnte es nicht glauben, ich wusste nicht, was ich tun sollte", erklärte er. "Ich bin einfach auf die Knie gefallen und habe geweint."
Fortan kämpfte der 1,92 Meter große Verteidiger unter anderem mit seinem großen Idol Thiago Silva um einen Platz in Thomas Tuchels Startformation. Chalobah erzählte: "Als ich zum Innenverteidiger umgeschult wurde, habe ich mir immer wieder Videos von ihm auf YouTube angeschaut. Er war einer der besten Spieler auf dieser Position. Ich habe versucht, Elemente seines Spiels auf mich zu übertragen. Dass ich nun mit ihm zusammenspiele, ist surreal. (...) Ich hoffe, dass ich es auf sein Level schaffe."
Thomas Tuchel: Trevoh Chalobah bewies gegen Liverpool "ziemliche Eier"
Das Silva-Niveau aus dessen Glanzzeiten bei Milan oder PSG hat Chalobah zwei Jahre später noch nicht erreicht. 2021/22 absolvierte er 20 von 38 Premier-League-Partien, ein Jahr später, in der Saison, in der Tuchel früh gehen musste, waren es 25 Ligaspiele. Zur unumstrittenen Stammkraft schaffte es Chalobah nicht. Der Chelsea-Kaufrausch unter Todd Boehly brachte auch für ihn neue Konkurrenz. Mit Benoît Badiashile, Axel Disasi und dem vom Verletzungspech geplagten Wesley Fofana kamen in den letzten beiden Jahren teure neue Innenverteidiger. Dazu drängt Youngster Levi Colwill in die Stammformation des neuen Trainers Mauricio Pochettino.
Chalobah (Vertrag bis 2028) soll also zu Geld gemacht werden und da trifft es sich gut, dass die Bayern mit seinem einstigen Förderer Tuchel einen Ersatz für den abwanderungswilligen Benjamin Pavard brauchen. Wie der Franzose kann Chalobah sowohl in der Innenverteidigung als auch auf der rechten Abwehrseite oder sogar im defensiven Mittelfeld aufgeboten werden. Körperlich ist der U17-Europameister von 2017 eine Wucht und er verfügt über die Mentalität eines Kriegers.
Unvergessen ist die üble Szene aus dem Pokalfinale gegen Liverpool 2022, als Chalobah nach einem rüden Einsteigen des heutigen Bremers Naby Keïta blutig bis zum Ende spielte und auch beim Elfmeterschießen antrat. Tuchel staunte anschließend: "Ich konnte nicht glauben, was ich nach dem Spiel gesehen habe. Da fand gerade praktisch eine Operation in unserer Kabine statt. Das ist kein Scherz. Sie haben ihn wieder zusammengeflickt. Sie haben ihn genäht und ich habe ihn schreien gehört. Das sah übel aus."
Er könne nicht glauben, dass jemand "mit dieser Art von Verletzung bis zum Ende spielt und dann auch noch einen Elfmeter verwandelt", so Tuchel. Chalobah habe "ziemliche Eier" bewiesen. Überhaupt gilt er als druckresistent und nervenstark.
Trevoh Chalobah wäre beim FC Bayern wohl nicht auf Anhieb Stammspieler
Seine Unverwüstbarkeit hilft Chalobah in Zweikämpfen. Er ist ein exzellenter Balleroberer und stark im Eins-gegen-Eins. Er geht durchaus aggressiv zu Werke, ist aber selten unfair und kassiert verhältnismäßig wenig Verwarnungen.
Zudem verfügt er über ein gutes Stellungsspiel und ist für seine Größe beweglich. Vorzüge, die auch Benjamin Pavard auszeichnen. Schwächen hat Chalobah aber trotz dreier Tore in der Premier League in der Vorwärtsbewegung. Sein Passspiel offenbart Luft nach oben und im finalen Angriffsdrittel trifft er nicht immer die richtige Entscheidung. Bei Chelsea kam er vorwiegend als rechter Innenverteidiger in einer Dreierkette zum Einsatz. Eine Position, die am besten zu seinen Eigenschaften passt.
Mit ihm käme gewiss ein spannender Spieler in die Bundesliga. Auf Anhieb dürfte er aber trotz aller Sympathien Tuchels keinen Stammplatz in München haben.