Justine Lorriman konnte die Fragen nicht mehr hören. Und weil es irgendwann zu viel wurde, machte sie aus der Fragerei ein Geschäft. Justine ist Besitzerin des Royal Dyche. Eine Kneipe in Burnley, die früher mal Princess Royal hieß, aber dann aufgrund der Erfolge des benachbarten Fußballklubs FC Burnley nach dem dafür verantwortlichen Trainer Sean Dyche benannt wurde.
Am Eingang hängt ein Schild, das Dyches Kopf auf dem Körper von König Heinrich VIII. zeigt. In der Kneipe hängen Fotos, auch auf Bierdeckeln und auf dem Klo ist der Held verewigt.
Vor einigen Tagen wurde Dyche in Burnley entlassen. In der Kneipe wurden mehrere Liter Frustbiere serviert und weil der eine oder andere Gast dann fragte, ob Justine den Namen nun ändern wird, entschied sie sich, jedem ein Pfund abzunehmen, der danach fragt. Das gesammelte Geld will sie wohltätigen Zwecken spenden.
"Alles, um aus einer schlechten Situation etwas Gutes herauszuholen", erklärt sie und stellt klar: "Es steht außer Frage, dass wir das Royal Dyche bleiben werden. Niemand kann die gute Arbeit, die der Trainer in den letzten neun Jahren geleistet hat, ungeschehen machen."
Sean Dyche versprach kein Tiki-Taka, sondern Schweiß und Blut
Es herrscht immer noch eine totale Leere bei den Fans in der Kleinstadt mit knapp 90.000 Seelen. Ja, der FC Burnley spielte keinen ansehnlichen Fußball. Ja, der FC Burnley spielte manchmal sogar schrecklichen Fußball. Aber das war hier nie so wichtig.
Dyche übernahm 2012 eine Mannschaft aus dem Tabellenmittelfeld der Championship. Vorher verschwand man sogar in den Niederungen des englischen Fußballs. Er versprach bei der Ankunft kein Tiki-Taka, kein Gegenpressing, sondern Schweiß und Blut. Und er hielt Wort und was dabei herauskam, waren zwei Aufstiege in die Premier League, sieben Spielzeiten in der besten Liga der Welt und die erste Europapokal-Teilnahme des Vereins seit 51 Jahren. Und all das regelmäßig mit dem kleinsten Budget.
Und nun ist er weg. Entlassen in einer Nacht- und Nebelaktion kurz vor Ostern. Selbst im Klub wusste man nichts davon. Der Medienchef schickte sogar noch kurz zuvor eine Mail raus, dass die Pressekonferenz mit Dyche im Vorfeld des West-Ham-Spiels um 12.45 Uhr stattfindet und nicht um 13.15 Uhr. Eine lokale Zeitung war gerade dabei, ein zwei Wochen altes Interview abzudrucken, in dem Klub-Boss Alan Pace Dyche seine Treue schwor.
Als die Mannschaft tags darauf erstmals ohne Dyche trainierte, "war das alles irgendwie nicht richtig", sagte Verteidiger James Tarkowski. Andere Spieler wollten sich erst gar nicht äußern. Gary Lineker wollte nicht so sentimental klingen. Englands Chef-Fußballkritiker twitterte: "Das ist eine beschissene Entscheidung!" Jamie Carragher sprach von einem "schlechten Witz!"
Der FC Burnley wurde beim Kauf verschuldet
Nimmt man die Maßstäbe eines normalen Premier-League-Klubs, ist die Entlassung von Dyche nachzuvollziehen. Die sportliche Talfahrt begann schon in der letzten Saison: Von allen 92 Mannschaften in den vier höchsten Spielklassen Englands hat Burnley im Jahr 2021 die wenigsten Punkte geholt. In der aktuellen Saison hat Burnley nur vier Siege geholt.
Burnley spielte keinen modernen Fußball. Das Angriffsspiel war nicht sonderlich einfallsreich, die Verteidigung lange nicht sattelfest. Aber kennt man die Umstände, ist das alles nachzuvollziehen und dass die Fußballmannschaft einer Stadt, deren gesamte Einwohnerzahl gerade mal das Wembley füllt, seit so langer Zeit Premier League spielt, ist schon als Erfolg zu bewerten.
Womöglich wäre Dyche auch geblieben, wenn sich im Dezember 2020 die alten Eigentümer nicht entschieden hätten, den Klub an die ALK Capital zu verkaufen. Das US-Unternehmen übernahm, aber die Finanzierung gestaltete sich anders als bei den anderen Übernahmen, in denen ein Investor mit dem großen Geldkoffer kommt und Bares in den Verein buttert.
ALK Capital übernahm Burnley für 170 Millionen Pfund im Rahmen eines fremdfinanzierten Buyouts, bei dem die Eigenmittel des Vereins für den Kauf verwendet wurden und 60 Millionen Pfund vom Kreditgeber MSD Capital geliehen wurden. Burnley ist also beim Kauf verschuldet worden, was zum einen die Handlungsfähigkeit einschränkte und zum anderen den Druck des Erfolgs um ein Vielfaches erhöhte.
Wie ein Türsteher im Nachtclub
Alan Pace, der seither als Vorstandschef fungiert, und Dyche sollen sich nie besonders gemocht haben. Hier der frühere Wall-Street-Makler, dort der Mann, der gerne im Pub sitzt und mit den Fans ein Bier trinkt und wie ein harter Hund aus der Gosse wirkt. "Er wird oft kritisiert, weil er wie ein Türsteher in einem Nachtclub aussieht", sagte mal sein langjähriger Co-Trainer Ian Woan der Daily Mail.
Woan, der jahrelang mit Dyche in einer WG wohnte, malt ein völlig anderes Bild von Dyche: "Die Leute denken, dass er grob sein muss, aber das ist alles anderes als wahr. Er ist sehr belesen, will lernen und hinterfragt sich auch selbst." Wohl nicht ausreichend für den Chef. So soll Pace den Einfluss des Trainers sukzessive eingeschränkt haben. War Dyche früher noch in jede Entscheidung eingebunden, die den Klub betraf, wurde er immer seltener gefragt.
Dyche war federführend bei der Renovierung des Trainingsgeländes, bei den Verbesserungen im Stadion, bei der Strukturierung des Kaders und des Personals. Doch Pace soll seit seiner Ankunft fast 20 Mitarbeiter entlassen haben. Auch Vertraute von Dyche. Selbst der jahrelange Scoutingchef musste gehen. Weil er nicht Pace folgen wollte? Denn auch in der Auswahl der Spieler sollen sich Chef und Trainer entfernt haben. Pace wollte sich auf dem internationalen Markt umsehen, Dyche lieber erfahrene Jungs, die wissen, was Burnley darstellt, holen. Die wissen, dass hier Schweiß, Blut und Hingabe gefragt sind.
Pace konnte mit der Romantik in Burnley, wo man sich in den Armen lag, wenn man zuhause ein 0:0 holte, aber nichts anfangen. Er war zunächst klug genug, Dyche selbst nicht in die Quere zu kommen. Erst zu Saisonbeginn wurde der Vertrag des Trainers bis 2025 verlängert. Pace wurde dafür gefeiert. Er feierte sich selbst dafür natürlich auch.
FC Burnley: Wout Weghorst ist keine Verstärkung
Aber der Erfolg stellte sich nicht ein. Dyche wollte im Winter neue Spieler, doch man kam wieder auf keinen Nenner. Als die Lage im Winter prekär wurde, bekam er Wolfsburgs Wout Weghorst, aber er war nur der Ersatz für Chris Wood, den Burnley zu Newcastle United verkaufte. Weghorst konnte den Publikumsliebling bisher nicht adäquat ersetzen.
Dyche selbst konnte man vorwerfen, dass er an seinen Methoden nichts verändert hatte. Er spielte so wie immer, er trainierte so wie immer, er sprach so wie immer. In der Mannschaft soll man neue Impulse vermisst haben, heißt es. Es gab zwar keine Meuterei (das hätte sich keiner getraut), aber es gab auch keine Signale, dass Besserung eintritt.
Womöglich war das der Grund für Pace, zu reagieren. Zwar sagt er, dass ein Abstieg "kein Weltuntergang" wäre, aber in vielen anderen Statements unterstrich er immer wieder die Wichtigkeit des Klassenerhalts. Sollte Burnley absteigen, würden die Einnahmen drastisch sinken, da mehr als 80 Prozent der Einnahmen des Vereins aus den TV-Einnahmen der ersten Liga stammten. Vom Investor kommt kein Booster.
Diesen erhoffte sich Pace nun von einem Trainerwechsel, doch dass er offenbar ohne Plan B handelte, sorgte für Aufruhr bei den Anhängern. Denn einen Nachfolger konnte der Klub immer noch nicht präsentieren. Stattdessen mussten mit Dyche viele fähige Leute gehen. Selbst der in England sehr geschätzte Torwart-Trainer Billy Mercer. Offenbar will man die Spuren des Sean Dyche in Burnley auf Dauer verschwinden lassen.
Doch so weit wird es wohl nie kommen. Burnley, das war ein kleines Fußballmärchen aus der kleinen Stadt im Norden. Geschrieben und erzählt von Sean Dyche. Jeder Punktgewinn in der Premier League war ein großer Kampf. Viele Menschen verbinden ihre persönliche Lebensgeschichte mit dem Klub.
Sie erinnern an den Tag, als Burnley den ersten Sieg im Old Trafford seit 1962 holte. An den Tag, als man den ersten Sieg an der Anfield Road seit 1974 holte. Wie Burnley plötzlich in der Europa League spielte. Am Ende wurde Dyche Opfer seines eigenen Erfolgs. Er war so erfolgreich, dass sich ein amerikanischer Investor für seinen Klub interessierte und war diesem dann nicht mehr gut genug, als er nicht mehr lieferte.
Guckt man durch die romantische Brille, ist es die fürchterlichste Trainerentlassung der modernen Fußballgeschichte. So als würde man Christian Streich beim SC Freiburg entlassen, weil er die Europa League verpasst. Nur der Freiburger Trainer und Diego Simeone von Atletico Madrid waren länger bei ihren Klubs angestellt als Dyche. Wer wissen will, wie es dem Hitzkopf nun geht, schaut vielleicht mal im Royal Dyche vorbei. Justine serviert da bestimmt gerade ein Bier.