Wenn man sich den Klub, aber auch die heutige Mannschaft ansieht, mit jungen Spielern wie Kai Havertz, Mason Mount, Reece James und gestandenen Profis im besten Fußballalter wie Romelu Lukaku, N'Golo Kante oder Jorginho. Wenn er den Klub nun verkauft, wird er keinen Scherbenhaufen hinterlassen, oder?
Kneißl: Der Verein wird noch lange von der finanziellen Unterstützung aber auch von dieser Leidenschaft profitieren. Er hat diese Leidenschaft immer gezeigt. Er hat gesagt: Ich will mehr, ich will weiterkommen, aber ich will auch Titel. Das fordere ich. Dafür helfe ich auch, um besser zu werden. Man hat den Vergleich: Er hat den Verein für rund 140 Millionen Pfund von Ken Bates gekauft. Allein die Mannschaft heute ist über 800 Millionen Euro wert. Hinzu kommt die Infrastruktur, in die er investiert hat. Es ist da Nachhaltiges aufgebaut worden.
Es scheint im Umfeld Chelseas den Menschen schwerzufallen, aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Ukraine eine Distanz zu Abramovich aufzubauen.
Kneißl: Ich habe erst neulich das Video von John Terry gesehen, wie er sich bei Roman für alles bedankt. Da gab es viel Aufregung, wie er so etwas machen kann. Aber John hat auch damals nach einer Meisterschaft vor 40.000 Menschen gesagt: "Ohne dich wäre das nicht machbar und ich bin dir von Herzen dankbar!" Man wird keinen Spieler finden, der negativ über Roman Abramovich spricht.
Genau das kommt nicht gut an.
Kneißl: Man muss da einfach unterscheiden. Wenn es diese Nähe zu Wladimir Putin und das Wissen zum Kriegsvorhaben gibt, ist es natürlich eine Schande. Aber sportlich hat er viele Menschen positiv beeinflusst. Er hat für viele Glücksmomente bei den Menschen in und um den Verein gesorgt. Er war 19 Jahre da und hat 19 Titel geholt. Ich finde auch, dass er dem Fußball einen großen Gefallen getan hat.
Inwiefern?
Kneißl: Er hat 20 Jahre lang gezeigt, dass das Modell Investor funktionieren kann und man nicht immer Angst haben muss, dass er zurückzieht. Vor drei Jahren hat er schon mal anklingen lassen, dass er gerne verkaufen würde. Jetzt sind der Zeitpunkt und die Dringlichkeit aber natürlich unglücklich. Das lässt die Vermutung zu, dass da irgendetwas sein muss.
Es heißt, dass Marina Granovskaia, die früher Abramovichs Assistentin war und heute als Direktorin agiert, bleiben soll. Wie wichtig ist sie für Chelsea?
Kneißl: Ich habe ins aktuelle Trainerteam Kontakte und ich weiß: Diese Frau wird für ihre herzliche Härte sehr geschätzt. Sie weiß genau, was sie machen muss und sie schafft es mit ihrer Art, dass sie nicht nur im eigenen Verein gut ankommt, sondern auch bei Geschäftspartnern hoch angesehen ist. Ich glaube, auch über sie wird niemand ein schlechtes Wort verlieren. Sie ist sehr fair und im aktuellen Trainerteam sehr geschätzt.
Apropos Trainerteam: Ist es in der aktuellen Situation Chelseas große Chance, dass mit Thomas Tuchel ein Trainer da ist, der für eine gewisse Ruhe steht?
Kneißl: Ich fand seine Pressekonferenz sehr wichtig, wie er auf eine Frage zum Ukraine-Krieg emotional und laut reagiert hat. Das waren genau die richtigen Worte. Wir sind alle hoch privilegiert in der Situation, in der wir uns befinden. Völlig richtig. Ganz allgemein: Er hat eine tolle Mischung aus Demut und Erfolgshunger und das bringt er jedes Mal sehr gut rüber. Auch innerhalb der Mannschaft.
Tuchel äußerte anfangs Sorgen um die Zukunft des Klubs. Wie ergeht es Ihnen aktuell?
Kneißl: Es kommt darauf an, wer den Verein übernimmt. Aufgrund der Dringlichkeit wird Roman nicht den Preis bekommen, den er im Kopf hat. Der ist wohl außergewöhnlich hoch. Forbes hat es aktuell auf 2,2 Milliarden Euro beziffert, aber vor drei Jahren lag seine Vorstellung bei vier Milliarden Euro. Das war möglichen Interessenten schon damals zu hoch. Jetzt wird man sehen, was passiert. Sollten Amerikaner den Zuschlag bekommen, ist klar, was passiert.
Was erwarten Sie in so einem Fall?
Kneißl: Sie stecken das Geld nicht rein, um mal zu gucken, wie es läuft. Sie wollen Geld reinstecken, um Geld herauszuholen. Das wird ein reines Investment. Bei Roman hat man sich diesbezüglich keine Sorgen gemacht. Dass sich jetzt Menschen im Verein Sorgen machen, ist völlig klar und verständlich. Es wird eine Veränderung geben und Veränderungen bringen Unsicherheiten. Das ist für uns Betrachter nicht anders.
Wie meinen Sie das?
Kneißl: Es wird spannend zu sehen sein, wohin sich der Fußball entwickelt. Roman Abramovich hat 2003 mit dem Kauf des FC Chelsea ein Statement gesetzt. Kommt jetzt die Zeit des Statements seiner Nachfolger mit einem anderen Weg? Ich bin sehr gespannt.
Könnte eine reine Investment-Übernahme aus Übersee die European Super League beschleunigen - für Chelsea, aber auch für alle?
Kneißl: Die Super League wird kommen. Die Schere ist eh schon weit auseinander zwischen arm und reich und sie wird noch größer. Der Fokus wird sich weiter verändern. Das Entertainment-Niveau wird sich steigern. Es geht nur noch in Superlativen. Ein Abstauber-Tor reicht schon gar nicht mehr. Neymar, Mbappe und Messi müssen nur noch Superlative-Tore erzielen. Und irgendwann heißt es dann: Nur noch die besten Mannschaften spielen gegeneinander - und das weltweit: Jetzt kommt schon die NFL nach Deutschland und irgendwann fliegt man auch die Fußball-Mannschaften durch die ganze Welt, damit sie Fußball spielen.
Und dann 60 Minuten, weil Florentino Perez 90-Minuten-Spiele nicht mehr zeitgemäß findet.
Kneißl: Dann würde ich vielleicht auch noch einmal angreifen. 60 Minuten schaffe ich noch. (lacht)
FC Chelsea: Erfolge in der Ära Abramovich
Titel | Anzahl |
Englischer Meister | 5 (2004/05, 2005/06, 2009/10, 2014/15, 2016/17) |
FA Cup | 5 (2006/07, 2008/09, 2009/10, 2011/12, 2017/18) |
Ligapokal | 3 (2004/05, 2006/07, 2014/15) |
Champions League | 2 (2011/12, 2020/21) |
Europa League | 2 (2012/13, 2018/19) |
UEFA Super Cup | 1 (2021/22) |
FIFA Klub-WM | 1 (2021/22) |