In Frankreich gelten ungeschriebene Gesetze, die zwischen Calais und Marseille jeder beherzigen sollte. Der Wangenkuss ("La bise") ist vornehmlich Familienmitgliedern und sehr guten Freunden vorbehalten. In Restaurants wird man grundsätzlich platziert. Und Zinédine Zidane wird nicht infrage gestellt.
Noël Le Graët, Präsident des französischen Fußball-Verbandes FFF, sind diese Gebräuche im stattlichen Alter von 81 Jahren wohlbekannt. Die Welle der Empörung, die ihm seit Sonntag im Land des Vize-Weltmeisters entgegenschwappt, kann ihn also kaum überraschen. Nein, Le Graët hatte nicht seine Manieren im sozialen Umgang vergessen. Er hatte sich abfällig über den vielleicht Größten der Grande Nation geäußert.
Wut und Entrüstung waren die Folge. "Zidane ist Frankreich, wir gehen nicht so respektlos mit dieser Legende um", schrieb Superstar Kylian Mbappé bei Twitter. Der langjährige Bayern-Profi Franck Ribéry legte Le Graët einen Besuch beim Arzt nahe, selbst Sportministerin Amelie Oueda-Castera schaltete sich ein und forderte eine Entschuldigung von Frankreichs höchstem Fußball-Funktionär.
Sogar aus Spanien wurde Kritik laut. Zidanes Ex-Klub Real Madrid beklagte in einer offiziellen Stellungnahme "mangelnden Respekt gegenüber einer der größten Sportlegenden."
Kritik an Zinédine Zidane: Noël Le Graët rudert zurück
Am Montag ruderte Le Graët kleinlaut zurück. Er bedauere seine "ungeschickten Äußerungen", die zu einem "Missverständnis" geführt hätten. Er wolle sich persönlich bei Zidane entschuldigen. Seine Aussagen würden "absolut nicht meine Gedanken und meine Wertschätzung für den Spieler, der er war, und den Trainer, der er geworden ist", widerspiegeln, sagte Le Graët in einem Statement an die Nachrichtenagentur AFP.
Ausgelöst hat den Zoff ein Radio-Interview Le Graëts. In diesem behauptete er, vor der Vertragsverlängerung mit Nationaltrainer Didier Deschamps kein Interesse an einem Telefonat mit Zidane gehabt zu haben. Auf die Frage, ob Zidane ihn angerufen hätte, um sein Interesse an Deschamps' Job zu bekunden, antwortete Le Graët: "Ich wäre nicht einmal ans Telefon gegangen. Was hätte ich ihm schon sagen sollen? 'Hallo Monsieur, keine Sorge, such' Dir einen anderen Verein. Ich habe mich gerade mit Didier auf einen Vertrag geeinigt.'"
Deschamps (54) hatte am Samstag knapp drei Wochen nach der Finalniederlage bei der WM in Katar gegen Argentinien (2:4 im Elfmeterschießen) seinen Vertrag bis 2026 verlängert. Zidane galt als potenzieller Nachfolger, der Weltmeister von 1998 ist seit seinem Abschied bei Real im Sommer 2021 ohne Job.
Zuletzt war der 50-Jährige, der mit den Königlichen zwei Meister- und drei Champions-League-Titel gewann, auch als brasilianischer Nationalcoach gehandelt worden. Ein Angebot des US-Verbands soll "Zizou" abgelehnt haben.
Für Le Graët war er kein Thema. "Ich habe mich nie mit ihm getroffen, und wir haben nie darüber nachgedacht, uns von Didier zu trennen", sagte Le Graët und ergänzte zu Zidanes Zukunft: "Er kann machen, was er will, das betrifft mich nicht. In Europa kann er sich die großen Klubs aussuchen." An Interessenten dürfte es Zidane nicht mangeln. An Liebe seiner Landsleute sowieso nicht.