Am Ende halfen ihnen auch die 20.000 frenetischen Fans in Baku nicht. Im Gegenteil. Statt lautstarke Gesänge und Anfeuerungen, wiederholte sich in der Halbzeit des letzten Gruppenspiels der Türkei gegen die Schweiz das, was sich bereits ein paar Tage vorher gegen Wales ereignet hatte. Ein gellendes Pfeifkonzert prasselte auf die türkischen Spieler nieder.
Dabei hatten sich die Anhänger der Türkei so sehr auf die EM gefreut. Weil die Mannschaft mit ihrem zweifelsfrei vorhandenen Talent auf individueller Ebene und der überaus positiven EM-Qualifikation den Eindruck erweckt hatte, dass es unter Umständen sogar erstmals seit 2008 wieder weit gehen könnte. Weil man in Aserbaidschan gegen Wales und die Schweiz quasi Heimspiele hatte. Und weil endlich und anders als beispielsweise 2016 Ruhe und Harmonie in der Mannschaft herrschten.
Doch es kam alles anders. Das EM-Turnier der Türkei glich einem wahr gewordenen Albtraum. Null Punkte, 1:8 Tore. Schlechter waren die Türken nicht mal beim EM-Debüt 1996, als sie mit 0:5 Toren und null Punkten ausschieden. Torjäger Burak Yilmaz sprach am Sonntagabend von einer "Lektion, die wir lernen müssen". Wie kam es zum türkischen Schiffbruch bei der EM? Und Was folgt nun? SPOX und Goal beantworten die wichtigsten Fragen zum EM-Desaster der Ay-Yıldızlılar.
Türkei-Debakel bei der EM: Warum ist der Frust so groß?
Als die Türkei vor wenigen Jahren erst die WM-Qualifikation 2018 verpasste und dann auch noch in der Nations League in die C-Staffel abstieg, hätte man es kaum für möglich gehalten, dass die Mannschaft nach nur zwei Jahren der Entwicklung bei einer Europameisterschaft als heißester Anwärter auf den Titel "Überraschung des Turniers" starten würde.
Doch das tat sie bei dieser EM - und das hatte stichhaltige Gründe. Einerseits, weil die türkische Mannschaft auf dem Papier durchaus als sehr talentiert in allen Mannschaftsteilen gilt, gerade in der zentralen Defensive mit Merih Demiral, Caglar Söyüncü und Ozan Kabak. Das spiegelte sich auch in der guten EM-Qualifikation wider, in der die Türkei nur drei Gegentore kassierte und gegen Weltmeister Frankreich vier Punkte aus zwei Spielen holte.
Andererseits bewiesen etablierte Kräfte wie Hakan Calhanoglu bei Milan, Burak Yilmaz, Yusuf Yazici oder Zeki Celik (alle OSC Lille) bei ihren Vereinen eine gute bis herausragende Form über die gesamte Saison. Dazu schien Trainer Senol Günes, bekannt als Kontrollfreak und gierig danach, sein Wissen weiterzugeben, den jüngsten Kader bei diesem EM-Turnier gut im Griff zu haben und gut moderieren zu können. Kein Wunder, war er doch vor seiner Zeit als Trainer und während seiner Zeit als Profi bei Trabzonspor nebenbei noch Lehrer an einer Mittelschule.
"Günes schaffte eine kleine Oase in einem teils chaotischen Fußball-Land", schrieb Fatih Demireli noch kurz vor Beginn der EM in seiner Auswärtsspiel-Kolumne bei SPOX und Goal. Doch das Chaos brach bei dieser EM trotz Günes, trotz individueller Klasse, trotz der guten EM-Quali gnadenlos über die Ay-Yıldızlılar herein.
Und obwohl die Türkei nicht gerade erfolgsverwöhnt von den Leistungen der Nationalmannschaft bei großen Turnieren ist, wiegt dieses blamable Aus noch einmal schwerer als all die WM- und EM-Enttäuschungen, die es immer wieder gab.
Es wiegt schwerer, weil die Voraussetzungen für ein gutes Turnier eigentlich noch nie so präsent waren wie 2021. Es ist, so sagen es zumindest die meisten türkischen Fußballexperten, das größte Desaster bei einem großen Turnier.