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Fragen und Antworten zum EM-Desaster der Türkei: Nur ein Hintertürchen kann Trainer Günes retten

Von Jonas Rütten
Einer der großen Enttäuschungen der türkischen EM: Merih Demiral von Juventus.
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Türkei bei der EM: Wer trägt die Schuld am EM-Debakel?

Wie dieser fußballerische Super-GAU zustande gekommen ist, ist die Gretchenfrage. Die Beteiligten selbst beantworteten sie in den ersten Momenten nach dem Ausscheiden am Sonntagabend mit der Unerfahrenheit der Jugend.

So betonte Hakan Calhanoglu beispielsweise, dass dies "ein sehr junges Team" sei, das "definitiv besser" werde. Burak Yilmaz beteuerte, man habe nicht damit umgehen können, bei einem so großen Turnier zu spielen: "Ich sehe, dass wir lernen müssen, wie man solche Turniere spielt. Das ist eine Lektion."

Recht kleinlaute Worte für einen 35 Jahre alten Stürmer, der Lille mit 16 Toren zur Meisterschaft schoss und auf 481 Profispiele (249 Tore) zurückblicken kann. Ja, die Türkei war mit einem Durchschnittsalter von 25,0 Jahren das jüngste Team der EM. Aber kann das Lampenfieber so groß sein, dass plötzlich ausnahmslos alle Spieler weit entfernt von ihrer Normalform sind? Zumal die Türkei nun auch nicht mit einem Team bestehend aus international unerfahrenen A-Junioren angereist war. Im Gegenteil.

"Was ein Caglar Söyüncü, einer der besten Verteidiger der Premier League, an Positionsfehlern gemacht hat, ist unglaublich. Ein Burak Yilmaz oder Hakan Calhanoglu hatten überhaupt keine Bindung. Ein Ozan Tufan, der für die Türkei immer eine Bank ist, hat nicht stattgefunden", resümiert Socrates-Herausgeber und Türkei-Experte Fatih Demireli das Turnierdesaster im Gespräch mit SPOX und Goal.

Türkei-Debakel wegen Trainer Günes? "Dann kann etwas nicht stimmen"

"Wenn so viele Einzelspieler so weit unter ihren Möglichkeiten bleiben, kann etwas nicht stimmen. Und da kommt man dann schnell zum Trainer Senol Günes", erklärt Demireli weiter und spiegelt damit die Generalkritik an Günes in der Türkei wider.

Gerade weil sich die Fehler in der sonst so sattelfesten Defensive um Söyüncü häuften, wurden Rufe nach Veränderungen laut. Es verwunderte, dass beispielsweise Ozan Kabak das Nachsehen hinter Merih Demiral bekam, der nahezu ohne jegliche Matchpraxis bei Juventus zum Turnier angereist und dort einen maximal unglücklichen Start mit dem Eigentor gegen Italien erwischte.

Kabak, dessen Fähigkeiten im Spielaufbau der Türkei möglicherweise weitergeholfen hätten, war am Ende des Turniers einer von sechs Feldspielern, die trotz des desaströsen Turnierverlaufs keine einzige Minute spielten. So erging es auch den Offensivkräften Abdülkadir Ömür oder Kerem Aktürkoglu. Die nachweislich schnellsten Spieler im Kader spielten nicht, obwohl die Mannschaft von Günes massive Probleme hatte, überhaupt mal Tempo in der Offensive aufzunehmen.

Der große Vorwurf, der Günes gemacht wird, ist einerseits die nicht existente Reaktion auf das Spiel- und Turniergeschehen, andererseits aber auch die besonders offensiv auffällige Konzeptlosigkeit, mit der die Mannschaft alle drei Gruppenspiele anging. Dieses Problem bahnte sich schon im Eröffnungsspiel gegen Italien an. Keinen einzigen Torschuss gaben die Türken dort in der ersten Halbzeit ab und schrieben damit EM-Geschichte. Vor ihnen war das nur Italien (2000) und Nordirland (2016) gelungen.

Geht es nach Günes, war genau dieses Spiel gegen den Favoriten auf den Gruppensieg der Ursprung allen Übels. "Das erste Spiel hat sich so negativ auf meine Spieler ausgewirkt. Das kann passieren", sagte er noch am Sonntagabend. Das ist jedoch nur eine Facette.

Wird für das EM-Debakel der Türkei verantwortlich gemacht: Trainer Senol Günes.
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Wird für das EM-Debakel der Türkei verantwortlich gemacht: Trainer Senol Günes.

Türkei bei der EM: "Kein Recht, so schlechten Fußball zu spielen"

"Dieser Kader mit so viel Qualität hat kein Recht, so schlechten Fußball zu spielen", wütete beispielsweise Ahmet Cakar, ehemaliger Schiedsrichter und mittlerweile einer der bekanntesten TV-Experten der Türkei: "Ich habe die Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren noch nie so schlecht spielen sehen." Dabei hatte es tatsächlich erste Vorboten eines bösen EM-Erwachens gegeben. Denn so richtig überzeugt hatten die Türken in der Vorbereitung nicht. Im Gegenteil.

Gegen Moldawien (2:0), Guinea (0:0), Aserbaidschan (2:1) und davor im letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Lettland (3:3) boten Günes' Spieler in etwa jene fußballerische Magerkost, die sich dann bei der EM fortsetzte. Der Trainer aber schob die Stolper-Testspiele auf das späte Ende der Süper Lig, obwohl er dann während des Turniers kaum einheimische Spieler in seine Startelf berief.

Beim blamablen Scheitern der Türkei ist am Ende also viel zusammengekommen. Etablierte Stars und Führungsspieler, die nicht ansatzweise zu Normalform aufliefen. Ein junges und durch die herbe Auftaktpleite gegen Italien verunsichertes Kollektiv. Und ein Trainer, der dieser verunsicherten Mannschaft kein Offensivkonzept an die Hand gab und keinen Mut für Veränderungen aufbrachte, die vonnöten gewesen wären.

Türkei nach der EM: Welche Konsequenzen hat das Desaster?

Auf der Pressekonferenz nach der 1:3-Niederlage gegen die Schweiz übernahm Günes Verantwortung für den schlechten Turnierverlauf. "Wir haben nicht den nötigen Charakter gezeigt und sind unter unseren Erwartungen geblieben", sagte Günes. Er sei für die Leistungen seiner Mannschaft verantwortlich, denke momentan aber nicht an Rücktritt.

Dass er, der die Türkei in seiner ersten Amtszeit bei der WM 2002 zu ihrer fußballerisch historischen Bestleistung geführt hatte, aber weiterhin im Amt bleibt, gilt aktuell als unwahrscheinlich. Und das obwohl sein Wort im türkischen Fußball großes Gewicht hat und er trotz seiner direkten Art und seiner tiefgreifenden Kritik an der Nachwuchsarbeit geschätzt wird.

Er selbst war vor der EM bemüht, Druck vom Kessel der Erwartungen zu nehmen und betonte immer wieder, dass die WM 2022 das Ziel sei. Denn erst dann sei die junge Mannschaft so weit, ein großes Turnier zu spielen. Dass sie es zumindest 2021 nicht war, zeigte sie auf verhängnisvolle Weise, die Günes im Normalfall den Job kosten müsste.

Sein Hintertürchen könnte die so erfolgreich gestartete WM-Qualifikation sein. Dort überrumpelte man erst die Niederlande mit 4:2 und überzeugte dann über alle Maßen gegen Norwegen (3:0). Spätestens die WM in Katar wäre im Qualifikationsfall allerdings Günes' Schicksalsturnier. Denn dann - so seine eigene Rechnung - wäre die Türkei ja so weit.

EM 2021: Abschlusstabelle der Gruppe A

PlatzMannschaftSp.SUNToreDif.Pkt.
1Italien33007:079
2Wales31113:214
3Schweiz31114:5-14
4Türkei30031:8-70

 

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