EM 2024: An diesen Stellschrauben muss Nagelsmann noch drehen
Im Vorfeld der WM 2010 wurde Manuel Neuer einst aufgrund der Rippenverletzung von René Adler zum Stammtorwart befördert. Von da an wartete er mit Glanzparaden auf und ebnete als "Sweeper Keeper" gegen Algerien den Weg zum WM-Titel vier Jahre später.
Lange Zeit galt Neuer sowohl im Klub als auch Nationalteam als unangefochtene Nummer eins, sein DFB-Herausforderer Marc-André ter Stegen als Pechvogel, der zur falschen Zeit geboren wurde. Doch die allgemeine Stimmungslage scheint sich zu drehen.
Schon während der WM in Katar wurden Neuers Leistungen immer wieder kritisch beäugt. Es folgte der fatale Skiunfall, der Nottransfer von Yann Sommer zum FC Bayern und eine beachtliche Rückkehr Neuers während der abgelaufenen Saison. Manch einer wäre nach solch einer gravierenden Beinverletzung im fortgeschrittenen Fußballeralter nicht mehr derart stark zurückgekommen.
Zudem wurde Neuer von Bayerns Torwarttrainer Michael Rechner, der seinen Kumpel Toni Tapalović ablöste, darauf getrimmt, so manche technische Unzulänglichkeit auszumerzen. Die kurzen Aufsprünge vorm eigentlichen Absprung sind bekanntlich ein Markenzeichen des gebürtigen Gelsenkircheners, aber keinesfalls optimal fürs Timing.
Nagelsmann trifft strategisch unkluge Entscheidung
Neuer brillierte während seiner Karriere oftmals, obwohl er nicht ganz nach Lehrbuch hielt oder eben aggressiv im Spielaufbau vorging. Mit seiner Spannweite, seinem guten Stellungsspiel im Eins-gegen-Eins und starken Reflexen ist Neuer auch bis heute ein Magier im Vereiteln von hochkarätigen Chancen. Allein Marco Reus hätte wohl so manches Spitzenspiel zwischen Bayern und Dortmund entscheiden können, wäre er nicht alle Jahre wieder aus aussichtsreicher Position am Gegenüber gescheitert.
Allerdings schleichen sich zunehmend Patzer ein, bei denen Neuer wie im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid oder am Freitagabend in Mönchengladbach schlicht den Ball nicht festhält (SPOX-Note 4). Manch einer schiebt es aufs Alter, andere auf die zunehmenden Verletzungen. Erklären kann es vielleicht nicht einmal Neuer selbst.
Klar ist nur, dass neben der immer wieder aufkommenden Debatte um die Mittelstürmerposition im DFB-Team bis zum Eröffnungsspiel gegen Schottland und darüber hinaus auch die Rangordnung der Torhüter weithin in Fußball-Deutschland diskutiert werden wird.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hat sich zudem strategisch unklug verhalten, da er sich frühzeitig auf Neuer als Nummer eins festlegte, was wiederum ter Stegen zum öffentlichen Widerspruch veranlasste. "Die Entscheidung des Trainers gilt es zu akzeptieren und respektieren, auch wenn ich nicht einer Meinung mit ihm bin", sagte der 32-Jährige, für den es "enttäuschend, sehr enttäuschend" sei.
Enttäuschter ter Stegen kann auf WM 2026 hoffen
Natürlich kann ter Stegen zumindest darauf hoffen, bei der Weltmeisterschaft 2026 zwischen den Pfosten zu stehen, weil er sechs Jahre jünger als Neuer ist, dessen Vertrag bei den Bayern erst einmal nur bis 2025 läuft. Aber die Heim-EM ist schon allein emotional gesehen ein besonderes Turnier. Ter Stegen saß auch am Freitag gegen Griechenland im Borussia-Park, seinem ehemaligen Zuhause, 90 Minuten mit teils ernster Miene auf der Bank.
Auf persönlicher Ebene kämen beide Torhüter gut zurecht, wie ter Stegen ebenso kürzlich zu Protokoll gab. "Ich wünsche ihm auch nie, dass irgendwas passiert oder dass er einen Fehler macht. Das bin ich nicht. Das ist nicht meine Art und Weise. Es ist nicht leicht, die Nummer zwei zu sein, aber das, was ich machen kann, das werde ich tun", so ter Stegens professionell anmutende Sicht der Dinge nach außen.
Zugleich ist sich der Barça-Keeper wohl auch im Klaren darüber, dass Nagelsmann seine Nummer eins nur in einer äußersten Notlage degradieren würde. Dafür war das Commitment zu Neuer zuletzt zu deutlich.
VfB-Keeper Nübel von Nagelsmann aussortiert
Dass Nagelsmann jedoch wankelmütig sein kann, zeigt der Umgang mit Alexander Nübel. Der Stuttgarter Schlussmann wurde zunächst für den erweiterten EM-Kader berufen und hatte sich wohl eine Teilnahme am Turnier, wenngleich als Reservist, versprochen. Denn der Bundestrainer gab vor einer Weile bekannt, mit vier Torhütern in den Wettbewerb zu gehen.
Die neuen Regularien, wonach Kader nun 26 statt vormals 23 Spieler umfassen dürfen, hätten das ohne Weiteres ermöglicht. Allerdings wäre dadurch noch ein Feldspieler wie Robin Koch oder Chris Führich aus dem Kader geflogen. Nun ist es Nübel, der aufgrund der Verletzung von Bernd Leno erst ein- und jetzt wieder ausgeladen wurde.
Das mag umso mehr überraschen, als dass die Nummer drei der 34-jährige Oliver Baumann ist. Der Hoffenheimer wird gewiss keinen Aufstand am Frühstücksbuffet in Herzogenaurach anzetteln, aber die Zukunft auf der DFB-Torwartposition ist er gewiss auch nicht. Nübel hingegen hat im Alter von 27 Jahren noch viele Spielzeiten vor sich. Ganz ohne Fehl und Tadel ist er natürlich nicht - siehe der Patzer gegen den 1. FC Heidenheim in der Bundesliga-Rückrunde.
Bekommt Deutschland in Zukunft ein Torhüterproblem?
Doch das gilt am Ende für jeden der Torhüter im erweiterten Kreis der Nationalmannschaft. Auch ter Stegen agiert im Trikot des FC Barcelona nicht immer fehlerfrei und er hat in der katalanischen Metropole auch seine Kritiker. Zudem hat er sich im Nationaltrikot nicht immer von seiner besten Seite gezeigt.
Viele realistische Alternativen gibt es momentan jedoch ebenso nicht. Stefan Ortega konnte bei der Mehrheit seiner Einsätze für Manchester City überzeugen, ist aber eben nur der Ersatzmann für Ederson. Der einstige U21-Europameister Odysseas Vlachodimos stand am Freitag auf der anderen Seite des Feldes und hat zudem bei Nottingham Forest noch nicht Fuß gefasst. Jüngere Keeper in Deutschland müssen erst noch reifen.
So schlittert Deutschland so langsam in Richtung eines Torhüterproblems. Etwas, das in der Vergangenheit undenkbar schien.
Immer gehören Kontroversen rund um die Torwartposition zu Heimturnieren wohl dazu. Man erinnere sich an das Duell zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn 2006 und den legendären Handshake vorm Elfmeterschießen gegen Argentinien. Vielleicht sehen wir Ähnliches von Neuer und ter Stegen bei der EM.
EM 2024: Der Spielplan der "deutschen" Gruppe A
Datum | Uhrzeit | Stadion | Begegnung |
14. Juni 2024 | 21 Uhr | Munich Football Stadium, München | Deutschland - Schottland |
15. Juni 2024 | 15 Uhr | Cologne Stadium, Köln | Ungarn - Schweiz |
19. Juni 2024 | 21 Uhr | Cologne Stadium, Köln | Schottland - Schweiz |
19. Juni 2024 | 18 Uhr | Stuttgart Arena, Stuttgart | Deutschland - Ungarn |
23. Juni 2024 | 21 Uhr | Frankfurt-Arena, Frankfurt | Schweiz - Deutschland |
23. Juni 2024 | 21 Uhr | Stuttgart Arena, Stuttgart | Schottland - Ungarn |