Frage: Herr Müller, wie bewerten Sie den Neuanfang im DFB-Team?
Thomas Müller: Die Einsatzbereitschaft war spürbar, das konnte jeder sehen. Natürlich war das Spiel nach vorn in der ersten Halbzeit zu abwartend. Aber wir wollten Frankreich nicht in diese Umschaltmomente kommen lassen, wo sie ihre Stärken haben. Wir haben uns darauf konzentriert, kein Tor zu kassieren. Als wir in den letzten 20 Minuten gemerkt haben, dass Frankreich müde wird und wir noch ein bisschen mehr im Tank haben, haben wir unsere Schlussoffensive gestartet. Mit der Unterstützung der Fans dachten wir, wir können noch den Siegtreffer landen, das hätte auch fast geklappt. Dann wären wir rundum zufrieden gewesen, jetzt ist es ein Spiel, das vom Ergebnis okay ist und von der Art und Weise gut war. Aber natürlich kein Heilsbringer für alle Zeit. Wir sind auch weiterhin gefordert.
Frage: Wie hat Bundestrainer Joachim Löw das Feuer wieder entfacht?
Müller: Im Vorfeld wurde so viel gesprochen wie selten. Wir haben sehr viel von dem gezeigt, was wir angekündigt haben. Das ist der richtige Weg. Natürlich wird es auch wieder Gegner geben, wo der Fokus mehr darauf liegt, die gegnerische Abwehr zu knacken. Wir sind uns unserer Situation bewusst und werden sehr viel Energie in die nächsten Spiele reinlegen.
Frage: War die Rückkehr zu vier Innenverteidigern der richtige Weg?
Müller: Ich denke schon. Wir wussten vor dem Spiel, dass wir mit diesem System und der Art und Weise, wie wir spielen wollen, nicht zehn hundertprozentige Torchancen bekommen. Dass es ein Spiel wird, in dem man vielleicht ein bisschen abwarten muss und dann diese zwei, drei Umschaltmöglichkeiten bekommt, oder eben auch eine Standardsituation, bei denen man zum Torerfolg kommen kann. So ist das Spiel auch gelaufen. Wir hatten diese zwei, drei guten Möglichkeiten. Wir haben sie leider nicht genutzt, beziehungsweise hat es der französische Torwart zwei Mal super gemacht, so ging es dann 0:0 aus. Aber wenn ein 0:0 der Worst Case ist, dann kann man besser damit leben als mit dem letzten Dreivierteljahr, als wir durchgehend Gegentore bekommen haben.
Thomas Müller: "Der Lucky Punch hat gefehlt"
Frage: Hat man aus der WM gelernt?
Müller: Wir wollten natürlich jetzt gerade im Hinblick auf Juni nicht mit acht Mann angreifen und nur zwei Mann hinten lassen. Wir hatten unsere Außenverteidiger nicht so hoch, von der Ausrichtung her haben wir mehr auf den Umschaltmoment spekuliert und geduldig gespielt. Wenn man das sieht, haben wir ein gutes Spiel gemacht, nur der Lucky Punch hat gefehlt. Andererseits haben wir aber natürlich auch nicht alles perfekt gemacht. Wir waren in der ersten Halbzeit nach vorn ein bisschen unsicher und wussten nicht: sollen wir jetzt? Wir können mit der Basis zufrieden sein, auch wenn ich als Typ mit einem 0:0 nicht zu 100 Prozent zufrieden sein kann.
Frage: Wie hat sich die Ausrichtung für die Offensivspieler angefühlt?
Müller: Das ist ja nichts ganz Neues. Gerade gegen große Mannschaften haben wir das in der Vergangenheit schon öfter praktiziert, auch erfolgreich. Wir wussten, dass wir Vorderen die ersten Verteidiger sind. Da musst du halt Meter machen und um jeden Meter kämpfen. Da nehme ich mich nicht aus. Es macht ja auch Spaß, Zweikämpfe zu führen und Zweikämpfe zu gewinnen. Wenn du als Mannschaft verteidigst und der Nebenmann zwei Meter entfernt ist, gewinnst du Zweikämpfe. Der Regen hat ganz gut dazu gepasst.
Frage: Fehlt im Gegenzug dann die Frische vor dem gegnerischen Tor?
Müller: Der Druck war enorm, du musst dich immer wieder disziplinieren, die Meter nach hinten zu machen. Natürlich ist es so, dass man mit dieser Spielweise nicht in viele Torsituationen kommt. Die eine Situation hätte ich vielleicht direkt mit dem Kopf abschließen können. So habe ich den Schuss ganz gut erwischt, aber ein Verteidiger war dazwischen. In dem Moment wohl nicht die richtige Entscheidung. Aber wir hatten Defensivaufgaben und sind froh, dass wir sie diszipliniert erfüllt haben. Heute war das Offensivspiel erst einmal zweitrangig.
Frage: Gab es Erleichterung in der Kabine?
Müller: Ein bisschen. Wir sind froh, dass wir die Reaktion zeigen konnten, die wir wollten. Aber es ist keine Sternstunde für uns, das darf man nicht verwechseln. Wir haben noch einiges zu tun und einiges zurückzuzahlen. Es war der erste Schritt.
Thomas Müller: "Hätte gerne den Motor im Hinterteil vom Mbappe"
Frage: Wie haben Sie die Einwechslung von Ilkay Gündogan erlebt?
Müller: Er hat es super gemacht, sich der Situation gestellt. Beim Applaus hat er sich kurz bedankt, ins Publikum gewunken. Danach hat er sich auch im Spiel gut präsentiert. Er identifiziert sich absolut mit dem Team, das konnte man sehen. Dementsprechend sollte man da langsam Normalität einkehren lassen.
Frage: Wie ist es, einem Spieler wie Kylian Mbappe auf dem Feld gegenüberzustehen?
Müller: Er hat einen Motor im Hinterteil, den man selbst gern hätte. (lacht) Er legt sich den Ball vor, macht einen Schritt und ist schon am Gegner vorbei. Solche Spieler musst du mit mehreren Spielern bekämpfen: Wenn einer ausgespielt ist, muss der nächste hinterher. Dann kann man auch gegen solche außergewöhnlichen Spieler ankommen. Natürlich hat er Momente dabei, an denen der Zuschauer Spaß hat.
Frage: Erwarten Sie gegen Peru ein völlig anderes Spiel?
Müller: Der Ausblick fällt mir noch schwer, es war ja kein Allerweltspiel für uns. Wir müssen das erst verarbeiten, was heute passiert ist. Für uns war es wichtig, den ersten Schritt auf die Fußballnationen zuzumachen. Ich denke, das haben wir geschafft. Die Menschen waren positiv, die Choreographie war super, vielen Dank für die Unterstützung. Es wird wohl ein anderes Spiel werden, aber damit beschäftigen wir uns ab morgen.