Seinen größten Erfolg als Trainer feiert Hansi Flick vor elfeinhalb Jahren. Am 20. Juni 2008 musste der damalige Assistent den gesperrten Bundestrainer Jogi Löw im EM-Viertelfinale vertreten - ausgerechnet gegen Turnierfavorit Portugal und mit einem noch nie vorher gespielten 4-2-3-1-System.
Doch während sein Chef nervös in einer Loge des Baseler Jakobsparks herumzappelte, behielt Flick in der hitzigen Atmosphäre die Ruhe und coachte die deutsche Nationalmannschaft zum überraschenden, aber verdienten 3:2-Sieg gegen Ronaldo und Co. "Der hat das Ding ganz allein gemacht", sagt einer, der damals im DFB-Team dabei war.
Danach nahm Flick aber wieder klaglos die Rolle ein, die ihm offensichtlich bis jetzt am liebsten war: die des Schattenmanns. Bis 2014 arbeitete der heute 54-Jährige als Co-Trainer von Löw und gilt als Mastermind hinter dem WM-Triumph. Was nicht nur an den Standards lag, deren erfolgreiche Umsetzung beim Turnier (sechs von 18 Toren) auf Flick zurückgeht. Auch für den größten Teil des Trainings und die Taktik war er in Brasilien verantwortlich.
Flick: "Bin Bayern dankbar für die Chance"
Fünf Jahre nach dem Erfolg von Rio kehrt Flick nun ins Rampenlicht zurück. Als Interimscoach soll er den strauchelnden FC Bayern nach der Entlassung von Niko Kovac in den beiden Spielen gegen Olympiakos Piräus und Borussia Dortmund wieder in die Erfolgsspur zurückführen.
Dann könnte aus dem "ewigen Zweiten" eine Dauerlösung auf der Cheftrainer-Position werden. Zumindest bis zur Winterpause, im Idealfall wohl sogar bis zum Sommer als Platzhalter für einen Wunschkandidaten wie Erik ten Hag oder Thomas Tuchel. Beide werden früher nicht zur Verfügung stehen. In Tuchels Fall gab es sogar schon frühzeitig am Dienstag eine Absage. "Ich bin nicht interessiert, weil ich Trainer von Paris Saint-Germain bin. Ich habe einen Vertrag und denke nicht an einen anderen Club", sagte Tuchel.
Daran, was passieren könnte, verschwende er jedoch keinen Gedanken, behauptete Flick auf seiner ersten Pressekonferenz am Dienstag. "Ich bin keiner, der in der Vergangenheit lebt oder in der Zukunft, sondern die Gegenwart ist für mich entscheidend. Alles, was dann kommt, interessiert mich null", sagte er. Wenig später fügte er immerhin an, er könne sich "viel vorstellen": "Auf dem Platz zu sein, das tut mir sehr gut. Mit Spielern den direkten Kontakt haben, macht richtig Spaß. Das ist das, was mir gefehlt hat. Daher bin ich Bayern auch dankbar, dass sie mir diese Chancen gegeben haben."
"Niko ist nie ratlos. Ich habe ihn schätzen gelernt"
Denn eigentlich hatte Flick, der von 2014 bis 2017 als DFB-Sportdirektor und danach für wenige Monate als Sportvorstand bei der TSG Hoffenheim tätig war, seine Trainerkarriere bereits für sich zu den Akten gelegt.
Dann kam im Sommer jedoch das Angebot seines Ex-Klubs, mit dem er zwischen 1985 bis 1990 als Profi viermal Deutscher Meister wurde, und der gebürtige Heidelberger gab sein Comeback als Schattenmann.
Auf die viermonatige Zusammenarbeit mit Niko Kovac lässt Flick nichts kommen und verteidigte ihn vehement gegen Kritik ("Niko ist nie ratlos. Ich habe ihn schätzen gelernt als Mensch und er ist immer geradeaus"). Dennoch sei es für ihn sofort klar gewesen, dass er das Angebot zur Kovac-Nachfolge nicht ablehnen konnte, als ihn Hasan Salihamidzic am Sonntag beim Abendessen mit seiner Frau anrief und in die Säbener Straße bestellte.
Flick: Freundlich, aber deutlich und durchsetzungsstark
Genauso klar wie bei dieser Entscheidung kam der neue Mann auch bei seinem ersten öffentlichen Auftritt rüber. Mit deutlichen Ansagen erzeugte er fast schon eine Art Aufbruchstimmung, auch beim Abschlusstraining herrschte eine konzentrierte, aber doch lockere Atmosphäre. "Ich bin ein Teamplayer, das war ich schon immer", sagte er. "Ich gehe meinen eigenen Weg."
Seine freundliche und zurückhaltende Art kommt an, wird in der Öffentlichkeit allerdings oft mit Konturlosigkeit und fehlender Führungsstärke verwechselt. Doch diejenigen, die Flick gut kennen, beschreiben ihn als durchsetzungsfähigen Fachmann, der gleichwohl eine sehr menschliche Ausstrahlung habe.
"Er hat viel Erfahrung, besitzt eine hohe soziale Kompetenz und hat Verständnis für die Spieler, aber auch eine klare Vorstellung vom Spiel", lobte DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff, der mit Flick über zehn Jahre eng zusammengearbeitet hat. Das ist offenbar auch bei der Mannschaft angekommen. "Allgemein kann man schon sagen, dass er ein Toptyp ist", meinte Joshua Kimmich.
Der Nationalspieler weiß aber auch, dass das Team nach der sportlichen Talfahrt der vergangenen Wochen in der Pflicht ist. "Die Hauptverantwortung tragen jetzt wir Spieler", sagte er "Es gibt für keinen mehr ein Alibi oder eine Ausrede." Auch Flick forderte das unmissverständlich ein: "Jeder einzelne, nicht nur Manuel Neuer und Robert Lewandowski, muss jetzt auf Weltklasse-Niveau spielen."
Taktisch soll der Turnaround offenbar mit offensiverem, aktiveren Fußball als zuletzt unter Kovac gelingen, wie der neue Boss relativ deutlich machte. "Ich möchte, dass die Mannschaft wieder nach vorne verteidigt und auch mit Ball die Qualitäten zeigt, die in ihr stecken. Zum Beispiel schnell den Ball erobern", sagte er. "Mir ist wichtig, dass die Mannschaft die Initiative ergreift. Im Spiel gegen den Ball und auch mit dem Ball. Seit ich da bin, bin ich immer wieder fasziniert, was wir für einen fantastischen Kader haben."
Einsatzgarantie für Müller und Martinez
Dieses Starkreden seiner schwächelnden Stars setzte Flick auch in persönlichen Einzelgesprächen fort. Zudem gab er ausgerechnet den zuletzt zu Edelreservisten herabgestuften Thomas Müller und Javi Martinez eine Einsatzgarantie für die nächsten beiden Spiele. Martinez soll die verletzungsgeplagte Innenverteidigung stabilisieren, da Jerome Boateng gegen Dortmund rotgesperrt ist.
Und Müller soll wie zu gemeinsamen, erfolgreichen DFB-Zeiten in der Offensive den Unterschied machen. Ganz anders als unter Kovac, der den Publikumsliebling als Notnagel bezeichnet hatte. "Thomas ist auf dem Platz einer, der sehr intelligent ist, eine Mannschaft mitreißt und führen kann", begründete Flick.
Gelingt dem Pragmatiker der Stimmungsumschwung in München, könnte sein Intermezzo als Chef diesmal tatsächlich länger dauern als vor elf Jahren bei der EM in Österreich. Entscheidend werden dafür letztlich die Ergebnisse sein, vor allem am Samstag im Spitzenspiel. An den BVB hat Flick jedenfalls gute Erinnerungen: In seiner letzten Partie als Bayern-Profi gewann er im Mai 1990 3:0 gegen die Schwarz-Gelben.