Kevin-Prince Boateng hat mit 27 Jahren bereits eine bewegte Karriere hinter sich. Eine Vita voller Höhen und Tiefen. Als Jugendspieler erhielt er die goldene Fritz-Walter-Medaille, später wurde mit dem AC Milan Meister. Gleichzeitig hatte er oft mit rassistischen Anfeindungen und Verletzungen zu kämpfen. Oder mit seinem Bad-Boy-Image, das er sich zuerst hart erarbeitet und das irgendwann eine mediale Eigendynamik entwickelt hat.
Doch neben seiner eigenen Karriere hat Boateng auch die Entwicklung zweier Größen des deutschen Fußballs entscheidend beeinflusst. Zum einen die von Michael Ballack, den Boateng ein paar Wochen vor der WM 2010 im FA Cup übel am Knöchel erwischte.
"Riss des Innenbandes plus Teilriss des vorderen Syndesmosebandes des rechten oberen Sprunggelenks", so die Diagnose damals. Ballacks Weltmeister-Traum war geplatzt. Nach seiner Zeit bei Chelsea kehrte er nach Leverkusen zurück, wo weitere Verletzungen die Hoffnung auf einen erfolgreichen Spätherbst seiner Karriere zunichtemachten.
Auf internationaler Ebene blieb Ballack der Unvollendete. Der tragische Finalist, dessen bemerkenswerte Karriere nie von einem internationalen Titel gekrönt wurde. Ballack ist Vize-Weltmeister, Vize-Europameister und zweifacher Champions-League-Finalist. Punkt.
WM-Durchbruch ebnet Weg zu Real
Auf der anderen Seite ist da Sami Khedira. Der damals 23-Jährige wurde durch Ballacks Ausfall in die erste Elf der Nationalmannschaft gespült. Joachim Löw sagte, Khediras Zeit käme "spätestens nach der WM". Doch sie kam früher. An der Seite von Bastian Schweinsteiger absolvierte Khedira das Auftaktmatch über 90 Minuten.
"Khedira hat gespielt wie der junge Ballack", schwärmte Löw hinterher. Fortan war der Stuttgarter Stammspieler und krönte sein tolles Turnier mit dem 3:2-Siegtreffer im Spiel um Platz drei. Der Name "Ballack" fiel kaum noch.
Nur neun Tage nach jenem Tor erhielt Stuttgarts Sportdirektor Jochen Schneider eine E-Mail von Jose Angel Sanchez, seines Zeichens Generaldirektor bei Real Madrid. Knapp zwei Wochen später war der Deal in trockenen Tüchern. Zuerst Ballacks Ausfall und dann der eigene Durchbruch bei der WM hatten Khedira den Weg nach Madrid geebnet.
Verletzung und Systemumstellung
Heute ist Khedira Weltmeister und Champions-League-Sieger. Doch die aktuelle Situation in Madrid ist weitaus unbequemer als zu Zeiten von Jose Mourinho. Der Ex-Coach, der Khedira einst zu den Königlichen geholt hatte, hielt noch große Stücke auf ihn. War Khedira fit, spielte er. Drei Jahre lang bildeten Khedira und Xabi Alonso die Mittelfeld-Zentrale.
Doch nach dem Zerwürfnis mit Mourinho kamen zuerst Carlo Ancelotti und später zahlreiche schwerere Verletzungen. Ein Kreuzbandriss in der vergangenen und ein Muskelbündelriss in dieser Spielzeit warfen ihn weit zurück.
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Besonders schwer wog die Knieverletzung Ende 2013. Denn nach einigen Spielen ohne Khedira stellte Ancelotti das System um. Aus dem bewährten 4-2-3-1 formte er ein 4-3-3, Angel di Maria wurde auf eine der Halbpositionen beordert. Dort zeigte der Argentinier die besten Leistungen seiner vierjährigen Real-Zeit.
Khedira hingegen musste während der Reha mitansehen, wie Madrid Offensivfußball zelebrierte und ohne ihn Richtung La Decima marschierte. Im Finale stand er zwar wieder in der Startelf, war aber schwächster Akteur auf dem Platz. Als nach einer Stunde Isco für ihn kam, gewann Madrids Spiel wieder an Schwung. Der Rest ist Geschichte.
Aus sportlicher Sicht entbehrlich
In dieser Saison spielte der oft verletzte Khedira kaum noch eine wichtige Rolle. Real führt trotz kleinerer Schwierigkeiten die Liga an, stellte in der Hinrunde haufenweise Rekorde auf und gehört in der Königsklasse erneut zum engsten Favoritenkreis. Khediras Beitrag ist gering: Er stand in 38 Partien lediglich dreimal in der Startelf.
Stattdessen sind es Isco oder James, die gemeinsam mit Toni Kroos und Luka Modric die Mittelfeldzentrale bilden. Seit der Winterpause steht auch noch Lucas Silva bereit. Und wird einmal ein Arbeiter gebraucht, kann Ancelotti auf Asier Illaramendi zurückgreifen.
Es deutet vieles darauf hin, dass Khedira aus sportlicher Sicht bei Real längst obsolet ist. Dabei war es vor allem seine Bedeutung auf dem Rasen, die ihn über die Jahre stets so wertvoll und einzigartig gemacht hatte. Aus rein wirtschaftlicher Sicht war der 27-Jährige nie ein typischer Real-Transfer.
Nie ein typischer Real-Transfer
Khedira ist kein Hochglanzprodukt, das Marketing-Chefs Tränen in die Augen treibt. Daran ändern auch Fotoshootings mit Modelfreundin Lena Gercke wenig. Khedira hat keinen Künstlernamen, keine Abkürzung, keine Rekordablöse und keine spektakuläre Vita.
Auch seine sportliche Rolle ließ sich nur schwer größer inszenieren, als sie war. Khedira ist ein Arbeiter mit besonderem Blick für die Kleinigkeiten des Spiels. Mit starker Antizipation, gutem Stellungsspiel und Zweikampfverhalten. Eigenschaften, die ihn für eine Mannschaft auf den zweiten Blick wahnsinnig wertvoll machen. Doch er konnte nie den Status eines Mesut Özil erreichen, der die Fans mit elegant-genialen Pässen verzückte. Ganz zu schweigen von Spektakel-Fußballer und Merchandise-Leuchtturm CR7.
Dementsprechend gewöhnlich wirkte Khedira in der Wahrnehmung der Fans. Auch die Medien wussten nicht recht, wie sie sich mit diesem so schwer inszenierbaren Spieler umgehen sollten. Auch deshalb hatte Khedira nie einen leichten Stand bei Real.
Bosse brüskiert - Karriere am Scheideweg
Hinzu zum begrenzten Marketing-Potenzial und der sportlichen Entbehrlichkeit kommt neuerdings noch ein weiterer Faktor, der Khediras Status in der Hauptstadt schmälert: Denn nachdem er sich über vier Jahre nichts zu Schulden hatte kommen lassen, brüskierte er die Real-Verantwortlichen in jüngerer Vergangenheit gleich mehrfach.
Ein Angebot zur Vertragsverlängerung während seiner Verletzung schlug Khedira aus. Dabei soll er mit überzogenen Gehaltsforderungen für Verwunderung gesorgt haben. Auch sein Auftritt auf Cristiano Ronaldos Geburtstagsfeier rief Kopfschütteln hervor. Trotz neuerlicher Verletzung und der üblen 0:4-Pleite gegen Atletico war Khedira zu Gast. Er und James, der nur 48 Stunden nach einer Operation ebenfalls dabei war, müssen nun mit Strafen rechnen.
Spätestens seit diesem Auftritt scheint eine Zukunft in Madrid sehr unwahrscheinlich. Erstmals nach fünf Jahren steht Khediras Karriere wieder am Scheideweg. Wenn er seine Verletzung auskuriert hat, beginnt das Vorspielen für mögliche neue Vereine. Vor allem englische Top-Klubs sollen interessiert sein.
Kevin-Prince Boateng wird ihm diesmal wohl kaum helfen können. Höchstens, wenn er am Mittwoch gegen Real Madrid ein zweites Mal einen Spieler einsatzunfähig macht, der Khedira im Weg steht...
Sami Khedira im Steckbrief