"Fußball ist einfach ehrlich", sagte Hasan Salihamidzic auf der Pressekonferenz des FC Bayern München am Samstag, die zugleich den Abschied von Julian Nagelsmann besiegelte und Thomas Tuchel als neuen Trainer des Rekordmeisters begrüßte. Der Sportvorstand bezog sich damit auf die Leistungen des Teams und auf einige Ergebnisse, die den Bossen nicht gefielen.
Und doch hatte dieser Satz auch eine ironische Ebene. Denn ehrlich war der FC Bayern in den letzten Wochen nicht - insbesondere zu den eigenen Fans. Noch bis zum vergangenen Montag, als Präsident Herbert Hainer im kicker das Langzeitprojekt mit Julian Nagelsmann bekräftigte, bemühten sich die Verantwortlichen darum, alle Zweifel an ihrem Trainer ins Reich der Fabeln zu verweisen.
Salihamidzic erklärte nun auf der Pressekonferenz, dass man bis zuletzt an Nagelsmann geglaubt habe - zumindest bis zum Sonntagabend des vorausgegangenen Wochenendes. Am Montag sei dann der Umschwung gekommen und man habe beschlossen, sich von Nagelsmann zu trennen. Zunächst aber wollte man die Zusage von Thomas Tuchel haben, der wiederum am Dienstag kontaktiert wurde. Als alles unter Dach und Fach war, nahm die Geschichte ihren Lauf.
Dass die Kurzfristigkeit dieses Gedankenumschwungs nicht der Wahrheit entspricht, lässt sich gut an den Ausführungen von Oliver Kahn ablesen. Der Vorstandsvorsitzende erklärte gleich zu Beginn in einem langen Monolog, dass die Entscheidung das Ergebnis eines langen Prozesses sei, den man unter der Woche schlicht nochmal analysiert habe - und eben keine Panikreaktion.
FC Bayern München: Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic kämpfen um Glaubwürdigkeit
Unabhängig von der sportlichen Entscheidung ist es aber vor allem die Außendarstellung des FC Bayern, die große Fragezeichen hinterlässt. "Wir haben eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gehabt", betonte Salihamidzic immer wieder in Bezug auf Nagelsmann, der ein absoluter "Top-Trainer" sei. Doch der Umgang mit ihm scheint zuletzt alles andere als respektvoll gewesen zu sein.
"Für uns hatte es absolute Priorität, zuerst mit Julian zu sprechen", erklärte Kahn: "Das haben wir dann auch gestern getan." Gestern, das war in diesem Fall Freitag - also nachdem der FC Bayern bereits mit Tuchel gesprochen hatte. Erfahren hatte Nagelsmann seine Entlassung zudem über die Medien am Donnerstagabend. Als ihn der kicker kontaktiert hatte, wusste der 35-Jährige von nichts.
Noch bevor sich der FC Bayern mit Nagelsmann an der Säbener Straße traf und bevor es überhaupt eine offizielle Mitteilung gab, berichtete Sportkommentator Joachim Hebel auf Twitter von Hintergrundgesprächen des Klubs mit verschiedenen Redaktionen, um die Entscheidung zu erklären. Ein sauberer Trennungsprozess sieht schlicht anders aus.
Der Spagat, den Kahn und Salihamidzic zu bewältigen versuchten, war riesig: Noch vor wenigen Tagen schien die Zukunft von Nagelsmann sicher, plötzlich mussten sie das Gegenteil rechtfertigen. Große Mühe gaben sie sich dabei aber nicht. Ständig wichen sie kritischen Nachfragen aus, erzählten, wie schwer die Entscheidung ihnen gefallen oder wie gut Nagelsmann eigentlich sei.
Gleichzeitig erzählten sie mindestens zwischen den Zeilen, dass dieser die Kabine nicht mehr im Griff gehabt hätte und warfen ihm Niederlagen vor, die bereits ein Jahr oder länger zurückliegen. Vor allem aber sprachen sie von einer Alternativlosigkeit, die angesichts der sportlich immer noch guten Ausgangsposition zu verwundern wusste. Selbst Tuchel zeigte sich später überrascht davon, dass er zum jetzigen Zeitpunkt einen Anruf des FC Bayern erhielt.
FC Bayern München: Von Thomas Tuchel können die Bosse lernen
Ungefähr eine halbe Stunde versuchten die Bosse sich daran, möglichst viele Worte zu benutzen, ohne wirklich etwas preiszugeben, aber gleichzeitig zu rechtfertigen, dass es jetzt keinen anderen Weg gegeben habe. Ein ständiges Wandeln zwischen vermeintlichem Respekt und Vorwürfen in Richtung Ex-Trainer. Anschließend waren Beobachterinnen und Beobachter jedoch genauso schlau wie vorher. Dass das kommunikativ auch nahbarer und besser geht, zeigte ausgerechnet Nagelsmann-Nachfolger Tuchel, der kurz darauf das Podium betrat.
Der Champions-League-Sieger von 2021 wurde mit einigen kritischen Nachfragen konfrontiert. Ob er und sein Management jüngst Druck auf den FC Bayern ausgeübt hätten, wie es stellenweise berichtet wurde, fragte ein Journalist. "Das ist nicht die Art der Verhandlungen, nicht die Art der Kommunikation. Das passt weder zu mir noch zu meinem Management", erklärte Tuchel glaubhaft: "Der Zeitpunkt war total überraschend. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet."
Tuchel beantwortete alle Fragen direkt und ohne Umwege, wich auch unangenehmeren Themen nicht aus. Zweifelsfrei hatte der 49-Jährige an diesem Tag die einfachere Aufgabe, musste anders als seine Sitznachbarn nicht Aussagen und Meinungen revidieren, die noch vor wenigen Tagen getätigt wurden. Und ob er bei seinen Ausführungen immer ehrlich war, ist ebenfalls fraglich.
So berichtete The Athletic davon, dass er dem FC Bayern mitgeteilt habe, nicht bis Sommer warten zu wollen - Tuchel widersprach dem. Trotzdem konnte er zumindest den Eindruck erwecken, glaubwürdig zu sein. Seinen neuen Vorgesetzten war das zuvor nicht gelungen, weil sie nahezu jede Frage beantworteten, ohne sie wirklich zu beantworten. In diesem Punkt können sie sich etwas von ihrem neuen Trainer abschauen. Doch die Erkenntnis des Abends dürfte sein, dass Fußball alles andere als ehrlich ist.