Wie es dem FC Bayern gerade geht, erfährt man meist am besten, indem man herausfindet, wie es Thomas Müller gerade geht. Er ist sowas wie das Stimmungsbarometer dieses Klubs. Als Müller nach dem 4:0-Sieg gegen Dortmund in die Mixed Zone kam, begann er freudig zu pfeifen. Ein gutes Zeichen. Als er fertig gepfiffen hatte, hielten sich das Sprechen und das Scherzen ungefähr die Waage. Ein noch besseres Zeichen. Es war also klar: Müller geht es blendend - und dem FC Bayern ebenfalls.
Exakt eine Woche zuvor hatte der FC Bayern noch mit 1:5 bei Eintracht Frankfurt verloren. Tags darauf wurde Trainer Niko Kovac durch seinen vormaligen Assistenten Hansi Flick ersetzt und der sorgte in fast schon beängstigendem Tempo dafür, dass es dem FC Bayern wieder gut geht. Und Müller natürlich auch, dem beim 4:0-Sieg gegen Dortmund sogar zwei schöne Assists gelangen.
Hansi Flick hat dem FC Bayern die Kontrolle zurückgegeben
Entscheidend für das aktuelle Wohlbefinden ist weniger die zwar verbesserte aber trotzdem noch weit vom Optimum entfernte Spielweise. Es ist viel mehr das Gefühl. Das Gefühl, dass die Spieler in Rot auch tatsächlich die Spieler des Mia-san-Mia-Vereins FC Bayern sind und das Spiel, das sie bestreiten, gewinnen werden.
Bei den letzten Spielen unter Kovac wurde oft bis zum Ende gezittert, alles wankte. Unter Flick ist das anders, sowohl beim 2:0-Sieg in der Champions League gegen Olympiakos Piräus als auch bei diesem 4:0-Sieg in der Bundesliga gegen Borussia Dortmund.
Robert Lewandowski war mit seinem Doppelpack (Saisontore 15 und 16, Bundesligarekord zu diesem Saisonzeitpunkt) der wichtigste Spieler auf dem Platz, anschließend sagte er auch noch den wichtigsten Satz: "Das Spiel war unter Kontrolle." Das war zuletzt keine Selbstverständlichkeit. Flick hat dem FC Bayern die Kontrolle zurückgegeben.
Hansi Flick denkt die Defensive aus der Offensive
Um das zu erreichen, widmete er sich zunächst der Defensivarbeit. "Ich fand es gut, dass er bei der Herangehensweise in der Defensive Strukturen und Abläufe festgelegt hat. Jeder auf dem Platz wusste, was zu tun ist", erklärte Joshua Kimmich. "Wir haben versucht festzulegen, wer wen anläuft." Ein entlarvender Satz, der impliziert: Unter Kovac wurde das offenbar nicht versucht.
Anders als Kovac denkt Flick die Defensive nicht aus der Defensive, sondern aus der Offensive. "Wir haben mehr nach vorne verteidigt, standen offensiver, haben mutiger gespielt. Das ist ein Unterschied zur Vergangenheit", sagte Manuel Neuer. Auch das: unterschwellige Kritik an Kovac.
Das höhere Verteidigen führt automatisch auch zu höheren Ballgewinnen. "Du kommst leichter zu Chancen, wenn du den Ball in der gegnerischen Hälfte gewinnst statt am eigenen Sechzehner und dann noch zehn Feldspieler ausspielen musst", sagte Kimmich. Leon Goretzka sagte: "Dadurch ist eine ganz andere Dynamik entstanden. Er hat die Grundhaltung verändert."
Kassierte die Mannschaft bei den letzten Spielen unter Kovac noch stets zwei bis fünf Gegentore, hielt sie unter Flick zweimal die Null. Gegen Dortmund ließ sie nur zwei Schüsse zu, keiner davon ging aufs Tor.
Die improvisierte Viererkette überzeugte
Noch bemerkenswerter macht die neue Stabilität der Umstand, dass mit Niklas Süle, Lucas Hernandez (beide verletzt) und Jerome Boateng (gesperrt) die drei prominentesten Innenverteidiger nicht zur Verfügung stehen. Die Viererkette bestand bei beiden Spielen unter Flick aus Benjamin Pavard sowie zwei gelernten zentralen Mittelfeldspielern (David Alaba und Javi Martinez) und einem gelernten Linksaußen (Alphonso Davies).
Gegen Dortmund überzeugten alle vier. Pavard glänzte mit einer traumhaften Flanke vor dem 1:0, Alaba mit guten Diagonalpässen, Martinez mit seiner Unaufgeregtheit und Davies mit seiner Dynamik und Zweikampfstärke. Ihre Leistungen stehen exemplarisch für die offensive Defensive. Das ist Flicks Verdienst - und das wissen auch die Spieler.
Spieler befürworten längerfristiges Flick-Engagement
Sprachen sie an diesem Samstagabend über Flick, dann schwärmten sie. Sie alle betonten den großen Anteil seinerseits am Aufwärtstrend; sie alle lobten nicht nur seine taktischen Ansätze, sondern auch seine menschlichen Qualitäten. "Er hat eine hohe Empathie und ein gutes Fingerspitzengefühl", sagte Goretzka. Neuer nannte Flick "einen Menschenfänger". Und alle Spieler betonten auch, dass sie mit ihm gerne weiterhin zusammenarbeiten möchten. "Es gibt keinen Grund, etwas zu verändern", verkündete Müller exemplarisch.
Zumindest beim Bundesligaspiel gegen Fortuna Düsseldorf in zwei Wochen nach der Länderspielpause wird Flick noch Trainer des FC Bayern sein, das bestätigte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge. Wobei Aussagen von Rummenigge über Trainer aktuell mit Vorsicht zu genießen sind. Genau wie der als möglicher Nachfolger gehandelte Arsene Wenger nichts von einer angeblichen Absage Rummenigges wusste, wusste Flick nämlich nichts von einer angeblichen Weiterbeschäftigung.
"Es hat mich geehrt, für diese beiden Spiele das Vertrauen zu bekommen. Aber mehr ist da noch nicht abgesprochen", sagte Flick. "Ich genieße heute Abend eine schöne Flasche Rotwein mit der Familie, dann bin ich zufrieden." Die Spieler des FC Bayern wünschen sich, dass Flick im Laufe der Saison noch einige Flaschen Sieger-Rotwein genießen darf, das wurde mehr als deutlich. Und die Vereinsführung scheint zunehmend ähnlich zu denken.