Matthias Sammer gestikulierte wild und mit aufgerissenen Augen, während Lars Ricken zuhörte und regungslos schmunzelte. Es hatte nicht den Anschein, als sei der externe Berater von Borussia Dortmund im ersten Durchgang zufrieden mit dem Auftreten des Teams gegen den FC St. Pauli gewesen.
Sammers mehrfach zu beobachtende Ungehaltenheit war nachvollziehbar. Die Vorstellung des BVB gegen den Aufsteiger war eine äußerst biedere. Mit dem Ball agierten die Hausherren viel zu unkreativ und langsam. Dabei ging es doch "darum, den Gegner schnell zu bewegen", wie Waldemar Anton nach dem mühsamen 2:1-Sieg bei DAZN sagte.
Dortmund fehlten gegen den tiefen Block von St. Pauli die Ideen. Das Passtempo war zu behäbig, um zwischen den Linien Lösungen zu finden oder gar einmal Richtung Grundlinie zu kommen. Entsprechend musste eine von mehreren Halbfeldflanken herhalten, um kurz vor der Pause aus dem Nichts in Führung zu gehen - durch Abwehrspieler Ramy Bensebaini.
"So tief habe ich die nicht erwartet. Dafür haben wir es meiner Meinung nach gut gemacht. Man kann nicht anders spielen gegen ein so tief verteidigendes 5-4-1", sagte Trainer Nuri Sahin und bekam Zustimmung von Anton, den des Gegners Herangehensweise ebenfalls überraschte.
Das erscheint jedoch merkwürdig: Wie, wenn nicht tief, hätte der klare Underdog St. Pauli denn in Dortmund spielen sollen? Zumal lange bekannt ist, dass sich der BVB genau dann oft schwertut - was auch dieser Freitagabend wieder hinreichend belegte.
BVB: Es liegt weiterhin viel im Argen
Sahin und Anton befanden jedoch, dass die Westfalen insgesamt, besonders die Aktivität und Restverteidigung betreffend, eine sehr gute Leistung zeigten. Julian Brandt dagegen äußerte sich so: "Heute war es auch mal zäh, das hat man in der ersten Halbzeit gesehen. Für uns ist der Sieg wichtig, das ist alles, was zählt. Wir sind glücklich, aber wir sind auch erleichtert."
Diese Unausgewogenheit in den Aussagen beziehungsweise Gesichtsausdrücken (Sammer) spiegelt die Ambivalenz der Borussia ganz gut wieder. Es sei auch daran erinnert, dass die so tiefen St. Paulianer um die sprichwörtliche Haaresbreite zwei Tore erzielt hätten, wenn Morgan Guilavogui bei seinem Treffer in der 30. Minute zur Führung nicht minimal im Abseits gestanden wäre.
Das hätte für die Westfalen das fünfte Bundesligaspiel in Folge mit mindestens zwei Gegentoren bedeutet. Es liegt weiterhin viel im Argen beim BVB, so dass es auch gewissermaßen nachvollziehbar ist, dass die Beteiligten die Darbietung lieber in warme Worte kleiden.
BVB steht nun vor drei kniffligen Auswärtsspielen
Dem Prozess zu vertrauen, ist Sahins häufig schon erwähnte Losung. Nun jedoch steht der Herbst an, für Dortmund geht es jetzt Schlag auf Schlag - und allmählich sollte eine Entwicklung zu sehen sein. Es folgen drei Auswärtsspiele, die in der Liga bislang durch die Bank enttäuschend waren: bei Real Madrid, wenige Tage später beim stets unangenehmen Lieblingsstolpergegner FC Augsburg, danach im DFB-Pokal in Wolfsburg. Anschließend gastiert RB Leipzig in Dortmund.
Ohne deutliche Leistungssteigerung in allen Bereichen wird sich Sahins Prozess verlangsamen. Wer das nicht glaubt, sollte sich vielleicht einmal mit Sammer unterhalten.
BVB-Erkenntnisse: Emre Can ist aktuell zu instabil für Dortmunds Spiel
"Ich sehe das schon, dass ich manchmal ungerecht behandelt werde", sagte Emre Can vor einem Monat und fügte an: "Es ist mir dann zu einfach, wenn jemand herausgepickt wird, der angeblich schlecht gespielt hat."
Es ist nicht gänzlich unverständlich, welches Gefühl der Dortmunder Kapitän damit zum Ausdruck bringen möchte. Can hat sich in der Vergangenheit zu einem Spieler entwickelt, an dem sich das BVB-Umfeld reibt, ob im Stadion oder im Internet. Allerdings hat er auch eindeutig ein Stück weit selbst dazu beigetragen.
Can, seit fast fünf Jahren nun im Verein, zeigte von Beginn an schlichtweg viel zu unbeständige Leistungen. Natürlich hatte er auch starke Phasen, die schwachen überwiegen jedoch zweifelsfrei. Und das tun sie auch in dieser Saison.
Emre Can ist für die Spielidee von Nuri Sahin nicht geeignet
Der 30-Jährige ist auf der neuralgischen Position im Zentrum des Geschehens aktuell zu instabil für das instabile Dortmunder Spiel. Zwar hatte er auch gegen St. Pauli gute Klärungsaktionen und ordentliche Szenen gegen den Ball. Auffallender sind jedoch seine spielerischen Schwächen und die am Freitag wieder einmal viel zu vielen Ballverluste, die meisten davon äußerst vermeidbar.
Gerade in den ersten 20 Minuten fand Can überhaupt nicht ins Spiel und hätte beinahe die gegnerische Führung eingeleitet, wenn Bensebaini seinen Patzer nicht in letzter Sekunde mit einer überragenden Grätsche gegen Oladapo Afolayan ausgebügelt hätte (16.).
Für Sahins auf Ballbesitz und häufiges Zentrumsspiel ausgelegte Spielidee ist Can nicht der geeignete Mann neben dem gestalterischen Pascal Groß. Die Qualitäten des Nationalspielers im Spiel gegen den Ball reichen freilich aus. Doch mit Kugel am Fuß ist Can mehr Hemmschuh als Anführer, was er Kraft seines Amtes nicht nur neben, sondern vor allem auf dem Feld sein müsste.
BVB-Erkenntnisse: Marcel Sabitzer muss weg vom Flügel
Die Problematik mit Can wäre rein theoretisch leicht zu beheben. Marcel Sabitzer böte sich als Groß' Nebenmann an. "Ich weiß, dass seine ideale Position auf der Doppelsechs ist", sagte selbst Sahin kürzlich - lässt den Österreicher aber in dieser Saison durchgehend vom Flügel starten.
Gegen St. Pauli war es erstmals die linke Außenbahn, die Sabitzer wie in der Nationalelf zu bespielen hatte. In Dortmund tut er sich damit deutlich schwerer. Zu häufig liefen die Partien bisher am 30-Jährigen vorbei, er ist auf diesen Positionen kaum ein Faktor für den BVB.
"Die Sechs ist besser", sagte er schon vor vier Wochen, derzeit spiele er "nicht die Idealposition". Diese unmissverständlichen Aussagen brachten ihm in der Folge gleich zwei Bankplätze ein. Das ist durchaus beachtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie bärenstark Sabitzer im zweiten Halbjahr der vergangenen Saison gerade in der Champions League agierte.
Mit dieser Maßnahme sollte Nuri Sahin nicht länger zögern
Sahin argumentierte beim CL-Auftakt in Brügge noch damit, dass er Sabitzer deshalb auf den Flügel stellte, um Gegenstöße des gegnerischen Außenverteidigers zu unterbinden. Das ist durchaus ein legitimer Kniff, doch das kann gegen einen deutlich schwächeren Gegner wie St. Pauli eigentlich nicht mehr gelten.
Um größeren Einfluss aufs Spiel zu haben, muss der Coach Sabitzer künftig ins Zentrum beordern. Das tat er auch am Freitag zur Pause nach Groß' Auswechslung - und sofort hatte Sabitzer mehr zielstrebige Aktionen. Da Can schwächelt, Sabitzer auf der Außenbahn fremdelt und nun die zweite Hälfte der Hinrunde vor der Tür steht, sollte Sahin mit dieser Maßnahme nicht länger zögern.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Datum, Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
Di., 22. Oktober, 21 Uhr | Champions League | Real Madrid (A) |
Sa., 26. Oktober, 15.30 Uhr | Bundesliga | FC Augsburg (A) |
Di., 29. Oktober, 20.45 Uhr | DFB-Pokal | VfL Wolfsburg (A) |
Sa., 2. November, 18.30 Uhr | Bundesliga | RB Leipzig (H) |