Hiroki Ito? Weg! Waldemar Anton? Weg! Serhou Guirassy? Weg! Nach Tabellenplatz zwei in der Bundesliga ist der Aderlass in Sachen Leistungsträger beim VfB Stuttgart immens. Allen voran die Situation im Sturm ist bei den Schwaben kompliziert. Zumal die Zukunft von Publikumsliebling Deniz Undav trotz dessen Zugeständnissen weiterhin ungewiss ist.
In Neuzugang Ermedin Demirovic vom FC Augsburg haben sich die Stuttgarter zwar etwas Handlungsfreiheit verschafft. Dass für den Stürmer aber die bisherige Rekordsumme für einen Transfer regelrecht pulverisiert wurde, lässt dem geneigten Bruddler (Nörgler) aus dem Schwabenland aber nicht unbedingt Ruhe.
Erinnerungen an Transfers aus vergangenen Tagen, denen erfolgreiche Spielzeiten vorausgegangen waren, kochen wieder hoch. Namen von sündhaft teuren Flops wie Ciprian Marica oder Pawel Pogrebnjak kommen zurück ans Tageslicht. Auf der Habenseite stehen neben Demirovic zudem haufenweise ablösefreie Spieler.
Auf den ersten Blick könnte man dem VfB also durchaus ein Spiel mit dem Feuer attestieren. Gehen die Pläne von Sportvorstand Fabian Wohlgemuth und dessen Gefolgsleute jedoch nur ansatzweise auf, sind die Sorgen unberechtigt - und dafür stehen die Chancen alles andere als schlecht. Auch nicht in der Offensive!
Sebastian Hoeneß nach Verkäufen "sauer" - doch wie lange noch?
Dabei war selbst Trainer Sebastian Hoeneß von den Entwicklungen auf der Verkaufsseite zunächst überhaupt nicht begeistert. "Ich bin auch nur ein Mensch. Natürlich habe ich mich nicht gefreut. Ich war sauer, dass es sich so entwickelt. Ich will eine gute Mannschaft haben und wettbewerbsfähig sein", sagte er zum Trainingsauftakt, bei dem auch Guirassy schon gefehlt hatte.
Demirovic soll die Lücke durch den Verkauf des Torgaranten an den BVB nun schließen. Der 26-Jährige war Stuttgart stolze 21 Millionen Euro wert, steigen kann die Summe durch Bonuszahlungen noch um weitere fünf. Allein die Sockelablöse ist beinahe so hoch wie die beiden vorherigen Rekordtransfers (Nicolas González und Ozan Kabak) zusammen.
Eine große Aufgabe für den Angreifer, der in zweifellos riesige Fußstapfen treten muss. Demirovic ist obendrein keineswegs ein Eins-zu-Eins-Ersatz von Guirassy, überzeugt allerdings mit anderen Attributen. So fiel auch die eigene Einschätzung des bosnischen Nationalspielers aus.
"Ich bin ein anderer Spielertyp", sagte er und betonte seine Qualitäten als Teamplayer: "Egal, ob ich auf dem Platz bin oder auf der Bank sitze. Ich werde immer da sein für die Jungs." Eigenschaften, die sich auch in den Statistiken von Demirovic widerspiegeln.
Ermedin Demirovic hat andere Qualitäten als Serhou Guirassy
An die 28 Saisontore von Guirassy in der Bundesliga kam er in der Vorsaison zwar nicht heran, zu seinen beachtlichen 15 Treffern - wohlgemerkt für eine deutlich schlechtere Mannschaft - gesellten sich aber noch neun Assists. Demirovic geht Wege, die Stürmer nur ungern machen. Teils lässt er sich deutlich tiefer fallen als sein Vorgänger, um seinen Mitspielern Platz zu verschaffen und bedient diese mitunter auch mit weiträumigen Pässen.
Demirovic verfügt über nochmal mehr Robustheit und hat dank seiner eisenharten Disziplin ein merklich höheres Laufpensum als Guirassy. Qualitäten, die er sich vor allem bei Ex-Klub SC Freiburg und dessen harter Schule unter Christian Streich angeeignet hat. Da verwundert es auch nicht, dass Demirovic auf vergleichsweise weniger Abschlüsse kam.
In der Chancenverwertung gibt es hingegen noch etwas Steigerungspotenzial, wobei Guirassy laut der Datenbank von fbref.com auch teilweise aus wenig viel gemacht hat. Der xG-Wert des neuen Dortmund-Torjägers ließ auf rund sieben Treffer weniger schließen, Demirovic lag mit 13,8 aber ebenfalls unter seiner faktischen Ausbeute.
VfB Stuttgart: Ermedin Demirovic und Serhou Guirassy im Vergleich
Statistik | Serhou Guirassy | Ermedin Demirovic |
Spiele | 28 | 33 |
Tore (pro Spiel) | 28 (1,14) | 15 (0,47) |
Expected Goals (pro Spiel) | 20,8 (0,85) | 13,5 (0,42) |
Schüsse pro Spiel (aufs Tor) | 88 (40 - 45,5 Prozent) | 77 (32 - 41,6 Prozent) |
Assists (pro Spiel) | 3 (0,12) | 9 (0,28) |
Tackles (pro Spiel) | 8 (0,24) | 55 (0,75) |
Abgefangene Bälle (pro Spiel) | 11 (0,33) | 80 (0,88) |
Raum geschaffen (pro Spiel) | 69 (2,65) | 49 (1,6) |
Löst Deniz Undav Ermedin Demirovic als Rekordtransfer ab?
Um Hoeneß endgültig zu besänftigen, soll der Undav-Deal noch bald erfolgen. Der VfB hatte den deutschen EM-Fahrer nach dessen Fabelsaison zwar schon per Kaufoption für kolportierte 20 Millionen Euro fest verpflichtet. Stammverein Brighton & Hove Albion zog wiederum eine Rückkaufklausel in selber Höhe.
Nun steht der Showdown an, der die Stuttgarter Geschichtsbücher ein weiteres Mal umschreiben könnte. Laut Sky wurde ein finales Angebot in Höhe von 24 bis 25 Millionen Euro plus Boni für Undav abgegeben, nachdem die Seagulls kürzlich eine etwas niedrigere Fixsumme abgelehnt hatten. Bis Anfang August soll eine Entscheidung her. Kurios: Klappt der Deal, würde der 28-Jährige folglich Demirovic als Rekordtransfer direkt wieder ablösen.
Sollte Demirovic tatsächlich zum wohl kürzesten Rekordtransfer eines Bundesligisten avancieren, hätte er getreu seines Auftreten freilich überhaupt kein Problem. Vielmehr dürfte er sich auf den kongenialen Partner freuen, den er zuvor in Augsburg bei weitem nicht hatte.
Schon das Zusammenspiel von Undav, der dem VfB unbedingt treu bleiben will, und Guirassy hatte die Gegner regelmäßig das Fürchten gelernt. Im Verbund mit Demirovic könnte das Stuttgarter Angriffsspiel noch unberechenbarer werden.
Die Transferperiode des VfB Stuttgart war schon jetzt ein voller Erfolg
Zumal der VfB in den vergangenen Wochen schon zahlreiche kluge Schachzüge auf dem Transfermarkt gemacht hat. Für die Offensive wurde Rechtsaußen Jamie Leweling fest verpflichtet, die beiden Talente Nick Woltemade sowie Justin Diehl kamen ablösefrei und in Fabian Rieder sicherte man sich leihweise die Dienste eines EM-Shootingstars aus der Schweiz. Darüber hinaus wird Silas Katompa-Mvumpa den Verein nicht verlassen.
Die womöglich hohen Ausgaben für Undav würde die Transferbilanz trotz der dann insgesamt 13 (!) Neuzugänge nicht einmal ins Minus ziehen. Die Einnahmen durch die Qualifikation für die Champions League, TV-Gelder und den Porsche-Deal kommen noch oben drauf. Das angedachte Ziel von rund 50 Millionen Euro Überschuss scheint daher nicht unrealistisch zu sein.
Beim Abschluss einer Undav-Verpflichtung kann die Transferperiode des VfB nur als positiv eingestuft werden. Die Risiken halten sich trotz des erzwungenen Kader-Umbaus in Grenzen. Und dann wäre da auch noch ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt: der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft.
Bilder von den sich in den Armen liegenden VfB-Profis beim gemeinsamen Singen des Fan-Hits "Nach all der Scheiße, geht's auf die Reise" zum Saisonfinale könnten keine einmalige Sache bleiben. Trotz des Verlusts von Guirassy oder Kapitän Anton! Mit Demirovic und Innenverteidiger Jeff Chabot wurden sogar zwei beste Freunde verpflichtet.
"Es ist unglaublich, dass wir früher als Kinder zusammensaßen und jetzt können wir, wenn alles gut läuft, zusammen in der Champions League auf dem Platz stehen. Eine verrückte Story", erzählte Demirovic voller Begeisterung - und diese könnte auch schon bald auf die letzten skeptischen VfB-Anhänger überschwappen.
VfB Stuttgart, Transfers: Die bisherigen Zugänge im Überblick
Name | Abgebender Verein | Preis |
Ermedin Demirovic | FC Augsburg | 21 Mio. Euro plus Boni |
Jamie Leweling | Union Berlin | 5 Mio. Euro |
Jeff Chabot | 1. FC Köln | 4 Mio. Euro |
Anthony Rouault | FC Toulouse | 3 Mio. Euro |
Leonidas Stergiou | FC St. Gallen | 2 Mio. Euro |
Fabian Rieder | Stade Rennes | 0,8 Mio. Euro (Leihgebühr) |
Ramon Hendriks | Feyenoord Rotterdam | 0,7 Mio. Euro |
Frans Krätzig | FC Bayern München | 0,5 Mio. Euro (Leihgebühr) |
Yannik Keitel | SC Freiburg | ablösefrei |
Nick Woltemade | SV Werder Bremen | ablösefrei |
Justin Diehl | 1. FC Köln | ablösefrei |
Stefan Drljaca | Dynamo Dresden | ablösefrei |