"Das kennen die im Ausland gar nicht": Deutsche Fanszenen für Bundesliga-Boss Fluch und Segen zugleich

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Ilja Kaenzig ist schon viele Jahre im Profi-Fußball unterwegs, seit 2018 arbeitet der 50-Jährige als Geschäftsführer beim VfL Bochum. Im Interview spricht Kaenzig über den gescheiterten Investoren-Einstieg der DFL, nennt Für und Wider dieser Entscheidung und bricht eine Lanze für die aktiven Fanszenen in Deutschland.

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Herr Kaenzig, vor der Saison haben Sie in einem Bild-Interview gesagt: "Das dritte Jahr Bundesliga verändert einen Verein." Steht aktuell, obwohl der finale Ausgang der Saison noch unklar ist, für Sie schon fest, wie es den VfL verändert hat?

Ilja Kaenzig: Das ist nicht messbar, aber es ist schon so eingetreten. Es hat sich gewaltig viel verändert. Man kommt sich vor wie ein Stammgast und wird innerhalb der Liga mit anderen Augen gesehen. Das Wort des Klubs hat mehr Gewicht, auch Relevanz und Reichweite sind größer. Dazu konnten wir zuletzt Spieler aus einem höheren Regal verpflichten.

Ist zumindest derzeit die größte Niederlage der Bochumer Saison, dass man mit Thomas Letsch den Trainer entlassen hat, der das dritte Jahr Bundesliga überhaupt erst möglich machte?

Kaenzig: Nein, das ist in meinen Augen keine Niederlage. Ich bin da auch relativ unromantisch. Wir spielen ja den Leuten nichts vor. Trainer-Entlassungen gehören zum Geschäft. Klar ist: Jeder Trainer-Wechsel ist schmerzhaft und die Reaktionen darauf sind immer unangenehm. Wenn wir aber von Kontinuität sprechen, dann meinen wir immer schon, dass sich Stoßrichtung und Strategie nicht verändern. Das ist jedoch niemals auf irgendeiner Ebene personenabhängig.

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Wie sehr würde ein Abstieg den VfL in seiner Entwicklung, aber auch beim Vorhaben, sich wie der 1. FSV Mainz 05 oder der FC Augsburg in der Bundesliga zu etablieren, zurückwerfen?

Kaenzig: Gescheitert wäre das Vorhaben nicht, die Mission würde auch nicht abgebrochen. Wir sind heute ja in jeglicher Hinsicht, ob finanziell, infrastrukturell oder personell, deutlich stärker - egal, in welcher Liga wir spielen. Der Verein ist gewachsen, das Fundament ist fester geworden. Im Abstiegsfall würden wir die Vision und Entwicklung sofort wieder richtig befeuern, damit sie nicht abebbt. Es würde uns aber insofern zurückwerfen, da es in der 2. Liga für niemanden planbar ist, wann man wieder in die Bundesliga kommt.

Sie sagten einmal, Bochum stehe als Klub für die "Sehnsüchte der Fans". Gewiss keine Sehnsucht der Fans war und ist ein Einstieg von Investoren in die Liga. Dennoch stimmte der VfL dafür. Wie passt das zusammen?

Kaenzig: Für uns wäre das kein Risiko, sondern eine Chance gewesen, die Lücke kleiner werden zu lassen. Dem VfL gibt niemand Geld. Wir haben keinen Mäzen oder eine Wirtschaftslandschaft wie beispielsweise in Heidenheim. Wenn die Liga mehr ausschüttet, profitieren wir, da wir gezeigt haben, dass wir damit mehr anstellen können als andere. Wir schaffen Werte. Das nun fehlende Wachstum der Liga trifft nicht die Bayern, Dortmund oder Leverkusen, sondern Vereine wie uns. Denn wir haben keine immer lukrativere Champions League oder Spieler, die 100 Millionen Euro wert sind. Diese Klubs eilen davon und wir kommen nicht hinterher. Es gibt keine Alternative zum Wachstum.

Wie sehen Alternativen zu einem Investor aus?

Kaenzig: Momentan nicht so gut. Es gab ja drei Optionen, die abgeklopft wurden: Investor, Binnen- und Fremdfinanzierung. Die Fremdfinanzierung wurde sehr früh abgehakt, denn dieses Risiko kann und will kein Klub eingehen. Die Binnenfinanzierung, also den Abgabesatz auf das TV-Geld zu erhöhen, ist auch keine Option, denn wir haben kein Geld abzugeben. Das würde bei uns etwa drei bis vier Millionen Euro ausmachen. Bei den Bayern wären das zehn Millionen, das fällt dort nicht so sehr ins Gewicht. Wir aber würden damit weniger wettbewerbsfähig, die Schere würde noch weiter auseinandergehen.

VfL Bochum, Bundesliga
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Sowohl Fußball-Romantik, als auch Investor - schließt sich das für Sie aus?

Kaenzig: Nein. Unser Leitmotiv ist 'Tradition und Innovation'. Wir müssen die Sehnsüchte pflegen, aber auch innovativ sein. Es gibt auch eine Reihe von Klubs, die rückwärts gerichtet und kleiner sind als wir. Das ist völlig in Ordnung, aber dann mögen diese Klubs uns bitte nicht bremsen. Selbst die, die die Tennisbälle geworfen haben, sehen ja ein, dass etwas passieren muss. Einen neuen, dritten Anlauf bezüglich eines Investoreneinstiegs halte ich für ausgeschlossen. Insofern gehen der Dialog und die Suche nach Lösungen weiter.

Was wäre jetzt überhaupt noch möglich, was dem anvisierten Deal gleichkäme, an welchem Modell wird aktuell gearbeitet?

Kaenzig: Das ist noch in Mache und es wäre an der Liga, dies als erstes zu kommunizieren. Was ich sagen kann: Es ist eines, das funktionieren kann, aber natürlich nicht dieselbe Schlagkraft hat, mehr kostet und vielleicht nicht sofort dieses Wachstum bringen würde. Die Liga arbeitet daran, hat die Klubs bereits mitgenommen und es gab Regionalkonferenzen, auf denen das besprochen wurde.

Rund um den Einstieg eines Investors wurde vor allem die schlechte Kommunikation seitens der DFL kritisiert. Welche Fehler kreiden Sie der Liga an?

Kaenzig: Die Kommunikation kann man sicherlich nicht als Erfolg verbuchen, denn am Ende ist es auch daran gescheitert. Man kann sich fragen: Hat man es unterschätzt, zu wenig kommuniziert, die falsche Tonalität getroffen, war die Materie überhaupt erklärbar oder hat man vielleicht schlicht versucht, etwas zu verkaufen, was gar nicht zu verkaufen ist? Diese Analysen können wir uns in meinen Augen allerdings sparen. Es reicht, die Lektion zu lernen, dass in Deutschland die Fans im Volkssport Fußball Stakeholder sind und du sie früh einbeziehen musst. Zudem ist zu berücksichtigen, was leider für uns alle gilt: Wir leben in einer Welt, in der die Schlagzeilen entscheidender sind als der Inhalt. Die Leute glauben, was sie in dicken, fetten Lettern lesen und machen sich teilweise nicht die Mühe, die Hintergründe zu verstehen.

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Sie sagten auch, dass DFL-Idee "kulturell nicht gepasst" habe. War das nicht absehbar, die Proteste der Fanszenen überraschten ja keineswegs?

Kaenzig: Ich glaube, man merkt vielleicht erst jetzt, dass viele Dinge definitiv nicht kompatibel sind. Wenn das bedeutet, dass man im deutschen Profifußball anders ist und dadurch eines Tages eventuell einen Rückstand hat, dann ist das halt so - mit allen Vor- und Nachteilen.

Inwiefern ist diese Ablehnung gegenüber Veränderung möglicherweise auch typisch Deutsch?

Kaenzig: Es ist fußball-historisch bedingt. In anderen Ländern gab es bereits bei der Klubgründung den einen starken Mann, dem alles gehört, der alles finanziert und alles bestimmt hat. Diese Figuren will man dort bisweilen auch haben. Es gibt aber keinen Grund, die Fußball-Kultur, die in Deutschland vorherrscht, zu verändern - wieso sollte man auch?

Oft heißt es: Wenn ein Bundesligist die Champions League gewinnt, geht es am Schluss allen besser.

Kaenzig: Das ist auch so, aber das ist eben schwer zu verkaufen und kommt an der Basis gar nicht an. Einem Fan zum Beispiel von Holstein Kiel ist doch die Champions League genauso egal wie die Frage, ob da jetzt zwei oder drei deutsche Mannschaften im Halbfinale stehen. Der wendet sich vom Fokus auf seinen Klub nicht ab, nur weil keine deutsche Mannschaft die Königsklasse gewinnt. Ich persönlich finde es auch herrlich, dass die deutsche Fußballkultur den modernen Zeiten standhält.

Tennisbälle, Alphonso Davies, FC Bayern München, Preussen Münster, DFB-Pokal
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DFL-Präsidiumssprecher Hans-Joachim Watzke ist der Meinung, dass die Proteste nur von einer Minderheit getragen wurden. Er sprach von "vielleicht jeweils 500 bis 800 organisierten Fans" und glaubt, dass die "nicht-aktiven Fans" kein Problem mit einem Investor gehabt hätten. Sehen Sie das genauso?

Kaenzig: Ja. Es gab sogar eine Klub-Mehrheit, die für einen Investoreneinstieg war. Trotzdem ist er nicht zustande gekommen, weil die Statuten so sind, wie sie sind. Und man kann ja nicht jeden im Stadion danach fragen. Es gibt einige Fans, die äußern ihre Meinung und hören ein vielfaches Echo, was diese Meinung mitträgt. So funktioniert der Volkssport und ich habe durchaus Verständnis dafür.

Inwiefern?

Kaenzig: Ohne die aktiven Fanszenen wäre der Fußball schon längst zügelloser Kommerz. Sie sind ein Regulativ, das ich begrüße, auch wenn es mir manchmal vielleicht nicht passt. Wir hätten doch beim VfL Bochum auch schon das eine oder andere gemacht, wenn wir nicht durch die Fans sensibilisiert worden wären und dadurch realisierten, dass es tatsächlich so nicht geht. So muss es auch sein, da fällt uns ja kein Zacken aus der Krone.

Hat man bei der DFL zwischenzeitlich auch einfach gehofft, den Deal trotz der Proteste durchboxen zu können?

Kaenzig: Das sehe ich nicht so. Es ging nach einem vorgegebenen Plan, der sich nicht nach den Protesten richtete. Der Abbruch des gesamten Prozesses kam für die Klubs überraschend. Wir hatten an dem Bundesliga-Wochenende zuvor nicht den Eindruck, dass nun die Fan-Proteste ihren Höhepunkt erreicht hatten und es dadurch dann gekippt würde. Es lag daran, dass bei einer Abstimmung keine Mehrheit mehr zustande gekommen wäre, weil einige Vereine, die dafür waren, sich kurzfristig umentschieden.

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Eine Hauptfigur in diesem Prozess war Martin Kind, der mit seinem Abstimmungsverhalten Fragen aufwarf. Sie kennen ihn aus der gemeinsamen Zeit in Hannover gut. Wie bewerten Sie seine Rolle in dieser Geschichte?

Kaenzig: Wir müssen fair bleiben: Sein Abstimmungsverhalten ist unbekannt. Wir wissen ja auch nicht, ob die anderen Vereine so abstimmten, wie sie es behauptet haben. Natürlich hätte man, als sich alles mit der entsprechenden Vorgeschichte auf Hannover 96 fokussiert hat, ahnen oder realisieren müssen, dass es scheitern könnte. Sagen wir es so: Wenn man bei der Abstimmung in diesem Konferenzsaal sitzt, kann man Dinge tun. Wenn man danach aber hinaustritt und plötzlich des Volkes heftiges Veto mitbekommt, dann realisiert man erst, was das bedeutet.

Die VfL-Mitglieder hatten bei der Versammlung der Vereinsführung den Auftrag mitgegeben, einen Investor für den Klub zu suchen. Ist der Druck, der auf dieser Suche liegt, durch den gescheiterten DFL-Deal nun erhöht worden?

Kaenzig: Fakt ist: Wäre der Deal zustande gekommen, hätte es das für externe Klub-Investoren attraktiv gemacht. Das hört man auch von dort, das wäre für sie ein Momentum gewesen. Unsere Suche ist dadurch schon schwieriger geworden, besonders was einen ausländischen Investor angeht. Gerade in Verbindung mit der jetzt demonstrierten Macht der Fans - das kennen die im Ausland in den zuletzt gesehenen Auswüchsen gar nicht. Deshalb haben die nun erst einmal Respekt davor.

Warum ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man eher einen ausländischen als einen deutschen Investor findet?

Kaenzig: Weil ich denke, dass unsere Story in Deutschland doch schon zu Genüge bekannt ist. Wenn es jemanden in Deutschland gäbe, wäre der längst aufgetaucht. Hier sieht man zudem meist nur regionale Investments, siehe zuletzt Porsche beim VfB Stuttgart oder den neuen Pool bei Werder Bremen. So etwas gibt es in Bochum nicht. Ohnehin ist die Ausgangslage mittlerweile folgende: Bei neun von zehn Investoren weltweit wird das internationale Geld von amerikanischen Firmen verwaltet. In Deutschland wiederum herrscht die Denke vor, nicht zu zeigen, dass man Geld hat. Für viele wäre es daher eher der absolute Wahnsinn, damit in den Fußball zu gehen. (lacht)

Martin Kind
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Gibt es denn eine Art Deadline oder Wunschdatum, bis wann die Suche des VfL abgeschlossen sein sollte?

Kaenzig: Nein. Es muss sich ja jemand in uns verlieben, es soll keine Zweck-Ehe werden. Wir machen kontinuierlich weiter und zeigen viel Demut bei dieser Suche. Sehen Sie: Bei einem Sponsor läuft irgendwann einmal der Vertrag aus, ein Investor bleibt. Er verändert aufgrund seiner Macht einen Verein. Wenn man den Falschen auswählt, wird das einem die Geschichte nicht mehr verzeihen. Ich sehe das auch völlig emotionslos: Wenn wir nicht den Richtigen finden, dann halt nicht. Wir sind ja auch ohne Investor in unserer Entwicklung so weit gekommen.

Wie sähe für Sie der ideale Investor für den VfL aus?

Kaenzig: Wir wollen jemanden, der sich explizit für unsere Story und Realitäten interessiert und genau deshalb - und natürlich auch, weil sein Investment werthaltiger werden soll - einsteigen will. Das Problem ist gewissermaßen, dass die Investoren alle dazugelernt haben.

In welcher Hinsicht?

Kaenzig: Die interessieren sich mittlerweile nicht mehr für die Story, sondern vergleichen die Zahlen beim VfL Bochum mit denen von Klub XY. Dazu bringen sie ihre eigene Geschichte mit und sagen: Wenn wir kommen, dann drehen wir an Schraube A, B und C, weil wir das so für richtig halten. Sie wollen sich nicht einreihen, sondern die Story selbst sein.

VfL Bochum, Vonovia Ruhrstadion
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Kann das, egal wo, überhaupt funktionieren?

Kaenzig: Nein, nicht in Deutschland und garantiert nicht in Bochum. So ticken die aber - und wenn sie nach Frankreich, Italien, Spanien oder England gehen, dann können sie auch genauso vorgehen. Die deutschen Klubs sind dazu teurer als die im Ausland und hier haben sie noch die Fanszenen im Nacken sitzen. Es gibt nur ganz wenige erfolgreiche Investoren-Projekte und ganz viele, die einfach nur Geld verbrennen.

Die eingangs erwähnten Sehnsüchte der Fans gibt es ja nicht nur in Bochum, sondern an vielen anderen Standorten auch. Nicht jeder Verein ist etwa besonders familiär oder hat ein solch nostalgisch-schönes Stadion wie der VfL. Wie schafft man es, diese Sehnsüchte flächendeckend wieder häufiger anzusprechen?

Kaenzig: Das ist eine gute Frage, die uns auch beschäftigt. Wir haben im Mai 2023 als erster Klub einen sogenannten 'Beirat Zukunft' gegründet. Das ist kein Marketing-Gag, sondern darin sitzen junge Leute zwischen 14 und 25 Jahren. Wir müssen den Fußball schließlich aus allen Blickwinkeln sehen. Oft heißt es bei den Fans: Gegen den modernen Fußball! Doch was ist mit dem 15-Jährigen, der kennt den Fußball aus den 1990er Jahren ja gar nicht? Vielleicht empfindet er die Kommerzialisierung auch als nicht so schlimm. Den können wir nicht einfach ignorieren, auch dessen Sehnsüchte müssen wir wecken. Wir brauchen die junge Generation.

Das ist richtig. Man braucht aber nicht nur sie, oder?

Kaenzig: Nein. Wir müssen herauskriegen, welche die Sehnsüchte sind, die auf alle umgelegt werden können - auf den alten, den jungen, den Hardcore- und den Gelegenheits-Fan. Das ist eine Herausforderung. Doch sie lohnt sich, denn letztlich leben wir von denjenigen, die diese Sehnsüchte haben. Wenn sie verloren gehen, dann gibt es den Fußball nur noch als Hochglanz-Entertainment wie in der Champions League und nicht mehr als Volkssport - und der VfL ist eben Volkssport. Wenden sich die Leute vom Volkssport ab, dann ist es vorbei. Klar ist immerhin jetzt, dass die Sehnsüchte mit einem Investor definitiv nicht befriedigt werden können. (lacht)

Ilja Kaenzig: Seine Karriere als Fußball-Funktionär im Überblick

ZeitraumVereinFunktion
1994-1998Grasshopper Club ZürichNachwuchskoordinator
1998Bayer LeverkusenNachwuchskoordinator
1998-2002Bayer LeverkusenTeamkoordinator
2002-2004Bayer LeverkusenManager
2004-2006Hannover 96Manager
2010-2012Young Boys BernGeschäftsführer
2015-2017FC SochauxVorstandsvorsitzender
seit 2018VfL BochumGeschäftsführer