Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Januar 2021.
Die Geschichte von Cedric van der Gun bei Borussia Dortmund stammt aus einer Zeit, die heute unendlich weit weg erscheint. Der BVB hatte nach Jahren des größenwahnsinnigen Überflusses soeben eine finanzielle Pleite abgewendet und war dem vielzitierten "Vorraum der Pathologie" entkommen. Sportlich befand man sich an einem Nullpunkt und verkörperte biederes Mittelmaß.
Im zweiten Halbjahr der Saison 2004/2005 spielten die Westfalen unter Trainer Bert van Marwijk immerhin die bis dato beste Rückrunde der Vereinsgeschichte. Doch die war auch dringend nötig, denn nach den ersten 17 Spielen hatte man nur 18 Punkte und Platz 14 zustande gebracht. Im Sommer folgte die große Fluktuation.
Vier Neuzugängen, darunter in Dennis Gentenaar und Bernd Meier zwei Ersatztorhüter, standen zwölf Abgänge gegenüber. Spieler wie Ewerthon, der den BVB 2002 zur Meisterschaft schoss, oder Evanilson und Sunday Oliseh verließen den Verein. Lediglich 425.000 Euro konnte man investieren - in Flügelstürmer Delron Buckley von Arminia Bielefeld. Mehr war nicht drin, der Kader folglich dünn besetzt.
Noch schlimmer: Aufgrund des siebten Platzes im Vorjahr hatte Dortmund vor Saisonstart im UI-Cup die wirtschaftlich attraktive Möglichkeit, sich über Umwege für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Gegen Sigma Olmütz schied man aber maximal kläglich aus (1:1, 0:0). Die aufkeimende Euphorie nach dem Run in der Rückserie war früh dahin.
BVB ohne Geld - Cedric van der Gun muss vorspielen
Die angespannte Finanzlage lastete sehr auf den Verantwortlichen, die ein alternativloses Sanierungskonzept aufgelegt hatten. Der seit 2001 als Schatzmeister tätige und im Februar 2005 zum neuen Geschäftsführer berufene Hans-Joachim Watzke machte keinen Hehl aus der misslichen Lage: "Es gibt zu diesem Weg des Sparens keine Alternative, weil uns niemand auch nur einen Euro mehr gibt. Der Etat ist um keinen Cent zu überschreiten."
Es mussten also Spieler her, die kaum etwas kosteten und dennoch einen Mehrwert boten. Spieler wie van der Gun (gesprochen: Chünn). "Ich kenne ihn noch aus seiner Zeit als Talent bei Ajax Amsterdam", erklärte van Marwijk, als der 26-jährige Flügelspieler drei Wochen nach Trainingsstart Ende Juli 2005 zum Probetraining in Dortmund aufschlug.
Van der Gun entstammte der Ajax-Schule, in der Saison 2000/01 erzielte er neun Tore in 33 Ligaspielen für die Niederländer. Der große Durchbruch in seiner Heimat gelang ihm aber nicht, über Den Bosch und Willem II landete van der Gun bei ADO Den Haag. Sechs Treffer in 26 Spielen genügten dem Verein nicht, um seinen auslaufenden Vertrag zu verlängern.
Van der Gun und das dreiwöchige BVB-Probetraining
"In Dortmund kannte mich nur van Marwijk. Daher haben wir vereinbart, dass ich ein paar Wochen mittrainiere, um auch allen anderen zu zeigen, dass ich gut genug bin, um einen Vertrag zu bekommen. Ich war sehr zuversichtlich, dass mir das gelingt", erinnert sich van der Gun im Gespräch mit SPOX und Goal.
Eine sportliche Perspektive war für ihn durchaus gegeben. Der beidfüßige und auf beiden Seiten einsetzbare Offensivspieler sollte dem BVB zu mehr Durchschlagskraft verhelfen, zumal Stürmer Nummer eins Jan Koller zu diesem Zeitpunkt etwas die Form fehlte und Konkurrenzkampf gerade auf den offensiven Flügeln in van Marwijks 4-3-3-System gern gesehen war.
Van der Gun machte in den gut drei Wochen, die sein Probetraining andauerte, einen soliden, aber keinesfalls herausragenden Eindruck. Sportdirektor Michael Zorc betonte mehrfach, dass man in dieser Personalie nicht unter Zeitdruck stünde. Als van der Gun dann in einem Testspiel gegen Al Wahda aus Abu Dhabi zweimal traf, lobte auch Zorc: "Er ist fitter und sein Spiel besser geworden."
Van der Gun über BVB-Vertrag: "Das Geld war mir egal"
Kurz darauf unterschrieb van der Gun, dem in der Eredivisie in 133 Spielen 27 Tore gelangen, einen Einjahresvertrag. Es sei ein "sehr, sehr leistungsbezogenes Angebot, seine Verpflichtung belastet uns finanziell nur minimal", sagte Zorc.
Van der Gun bekam die Nummer 16 und ein jährliches Grundgehalt von 100.000 Euro. Diesen Betrag konnte er über Prämien verdoppeln - im günstigsten Fall erhielt er somit etwas mehr als die Hälfte dessen, was der kurz zuvor gekündigte Merchandising-Chef des BVB einstrich. "Bei niederländischen Klubs hätte ich deutlich mehr verdienen können, aber das Geld war mir egal. Als Dortmund Interesse an mir zeigte, wollte ich unbedingt dorthin wechseln", erzählt van der Gun.
Van Marwijk, dessen Vertrag nach der starken Rückserie bis 2007 verlängert wurde, hoffte: "Wenn er das Niveau hat, das er bei Ajax Amsterdam hatte, dann ist er eine sehr gute Verstärkung." Zwar lag diese Zeit bereits vier Jahre zurück, doch Dortmunds Risiko bei diesem Einkauf tendierte gegen Null. Für die beiden 21-jährigen Eigengewächse Salvatore Gambino und David Odonkor bedeutete der Niederländer neue Konkurrenz. Odonkor wollte gar gehen: "Ich will wieder regelmäßig spielen, in Dortmund habe ich dann wohl keine Chance mehr."
Van der Gun: Kreuzbandriss im zweiten Spiel für den BVB
Van der Gun war kaum BVB-Spieler, folgte der nächste Rückschlag für den Klub: Pokal-Aus in Runde eins bei Zweitligist Braunschweig. In der Woche darauf absolvierte van der Gun für die Amateure des BVB sein erstes offizielles Spiel, beim Oberliga-Topduell gegen Gütersloh wurde er beim 3:0-Sieg auf der linken Seite aber kaum einbezogen. Wenig später debütierte er im deutschen Oberhaus: Am 3. Spieltag beim 1:1 in Duisburg, dem 400. Bundesligaspiel von Abwehrchef Christian Wörns, kam van der Gun 60 Sekunden nach Lars Rickens Führungstor für Ebi Smolarek in Minute 62 ins Spiel - und hinterließ einen guten Eindruck.
Das Schicksal hinderte ihn jedoch daran, diesen zu bestätigen. Stattdessen passierte etwas, was van der Gun bis heute zum wohl größten Pechvogel der Dortmunder Vereinsgeschichte machte. Bei Dortmunds erstem Saisonsieg zu Hause gegen Köln am 4. Spieltag zog sich Buckley eine Blessur an der Achillessehne zu. Van der Gun ersetzte ihn in der 40. Minute.
Vier Zeigerumdrehungen nach der Pause jedoch der Schock: Van der Gun verdrehte sich das rechte Knie. Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes. "Ich bin etwas in die Luft gesprungen, um einen Ball zu einem Mitspieler zurück zu spielen. Als ich wieder am Boden aufkam, verdrehte ich mir das Knie und wusste sofort, dass etwas Schwerwiegendes passiert ist. Das lief alles sehr unglücklich für mich", blickt van der Gun zurück.
Cedric van der Gun: Seine Karriere im Überblick
Zeitraum | Verein |
1998-2003 | Ajax Amsterdam |
1999-2000 | FC Den Bosch (Leihe) |
2002-2003 | Willem II Tilburg (Leihe) |
2003-2005 | ADO Den Haag |
2005-2006 | Borussia Dortmund |
2006-2009 | FC Utrecht |
2009-2011 | Swansea City |
2012-2014 | FC Utrecht |