Emotion und Leidenschaft konnte man Borussia Dortmund nie absprechen. Auch aktuell nicht. Beide Begriffe werden derzeit allerdings auf andere Weise mit Leben gefüllt.
Früher mündete das in die von Jürgen Klopp erst prognostizierten und dann beinahe in Serie auftretenden Vollgasveranstaltungen. Die sind beim BVB der jüngeren Vergangenheit ein seltenes Gut geworden, wenngleich sie in der kurzen Erfolgsphase unter Peter Bosz zu Saisonbeginn wieder etwas aufkeimten.
Nun aber kommen die Dortmunder spielerisch ziemlich leblos daher. Emotion und Leidenschaft sind in dieser Mannschaft zuletzt geringer geworden, wenn man sich vor Augen führt, dass diese Werte in den Klopp-Jahren die DNA des BVB ausmachten.
Bürki eröffnet unnötigen Nebenkriegsschauplatz
Abseits des Spielfelds geht es bei der Borussia dafür seit rund einem Jahr in einer Intensität ab wie früher nur auf dem Platz. Nach dem äußerst schmeichelhaften 2:2-Unentschieden gegen den eigentlichen Lieblingsheimgegner SC Freiburg trat ein neuer Konflikt zu Tage.
Torhüter Roman Bürki kritisierte sehr deutlich das Verhalten von Teilen des Publikums, nur Minuten später wurde er dafür von Sportdirektor Michael Zorc öffentlich in den Katakomben des Signal Iduna Parks abgewatscht.
Zwar liegt Bürki mit der Beobachtung, dass das Dortmunder Publikum kritischer geworden ist, nicht vollkommen falsch. Allerdings muss er sich nach einem farblosen Auftritt wie am Samstag diesen emotionalen Ausbruch schlichtweg verkneifen.
Ergebniskrise wird von spielerischer Krise begleitet
Und so ist eben ein weiterer Nebenkriegsschauplatz eröffnet, den niemand braucht und der niemandem hilft. Immerhin ist die Saga um Pierre-Emerick Aubameyang endlich vorüber und der BVB hat nun noch vier Monate Zeit, um eine jetzt schon verkorkste Spielzeit nicht endgültig in den Sand zu setzen.
Um das Bild noch zu begradigen, muss eines passieren: Dortmund qualifiziert sich am Saisonende für die Champions League. Das ist weiterhin sehr gut möglich, doch die ab Platz zwei sehr enge Tabellenkonstellation rund um die europäischen Plätze beschönigt den Blick auf den BVB aktuell ein wenig.
Schließlich gelang den Westfalen im neuen Jahr noch kein Sieg, die Leistungen gegen Wolfsburg, Hertha und Freiburg - also Teams, die Dortmund auf dem Papier schlagen muss - waren allenfalls bieder. Weil diese kleine Ergebniskrise von einer spielerischen Krise begleitet wird.
Der frommste Wunsch des BVB
"Wenig Bewegung, wenig Laufwege, wenig sauberes Passspiel", fasste Nuri Sahin am Wochenende die Probleme zusammen. Und Bürki ließ in seiner Kritik noch den Zusatz fallen, dass sich die Mannschaft "ein bisschen verunsichert fühlt".
Das ist nur ein kleiner, aber vielsagender Einblick in die momentane Gemengelage beim BVB. Der frommste Wunsch der Verantwortlichen dürfte sein, dass sich mit dem Wechsel von Aubameyang die Situation künftig wieder entspannt und die von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke geäußerte Hoffnung, es möge rund um den Klub wieder Ruhe einkehren, erfüllt.
Dafür muss sich aber auf dem Platz einiges ändern. Peter Stöger hat nun fünf Spiele in schwarzgelb gecoacht, die man in zwei Abschnitte einteilen sollte: vor und nach der Winterpause.
Dortmund geht die offensive Geschwindigkeit ab
Vor Weihnachten nahm Stöger vor allem defensivstrategische Veränderungen vor - was wohl jeder Trainer machen würde, der auf Bosz folgt. Dortmund steht unter dem Österreicher tiefer, presst später und Julian Weigl wurde wieder auf seine "Ankerposition" zurückversetzt. Zwei Siege, einer davon glücklich, waren das Resultat.
In 2018 hat sich an den Abläufen gegen den Ball verständlicherweise nichts geändert. Doch dem BVB fehlt es an einer Idee im Offensivspiel. Dortmunds Bemühungen sind dann vorhersehbar und leicht zu verteidigen, weil ihnen die sonst so gefürchtete Geschwindigkeit abgeht.
Schon die Spielauslösung hakt, da weder Sokratis noch Ömer Toprak Innenverteidiger sind, die den Aufbau ankurbeln und regelmäßig auch eine gegnerische Defensivlinie überspielen können. Marc Bartra wäre hierfür ein geeigneter Kandidat, spielt jetzt aber bei Real Betis.
BVB verfällt ins immergleiche Schema
Und so verfällt Dortmund ins immergleiche Schema: Der Sechser lässt sich nach hinten fallen, ihm fehlt es dann vor allem an Tempo und der Ball wird irgendwie Richtung Halbraum oder Außen durchgesteckt. Gelingt dies, ist auch dort das Tempo zu gering, um die oft massierten Defensivreihen der Kontrahenten in Verlegenheit zu bringen.
Auf der Achter-Position im Zentrum ist Mario Götze schon die gesamte Saison über der auffälligste, weil ideenreichste Spieler. Götze sucht häufiger als seine Kollegen den Ball in die Tiefe, aber auch er leidet an der mangelnden Bewegung seiner Nebenleute.
Da es auch im Zentrum wenig Optionen gibt, muss oft ratlos zurück zu Bürki gepasst werden, der gegen Freiburg ganze 34 Pässe spielte - ein Wert, der dem eigenen Offensivspiel kein gutes Zeugnis ausstellt.
Es fehlen derzeit beispielsweise die früher erfolgreich praktizierten Überladungen der Flügel und Halbräume, um dribbelstarke und temporeiche Spieler wie Christian Pulisic auf der Gegenseite häufiger zu isolieren und dann per Verlagerung ins Eins-gegen-eins zu schicken.
Sahin sorgt sich um die Saisonziele des BVB
Der US-Amerikaner wagte sich gegen den SCF in fünf bisweilen aussichtslose Dribblings. Drei Mal blieb er dabei hängen und war wie sein Team ohnehin weit entfernt davon, in den Rücken der gegnerischen Abwehr zu kommen.
Kurzum: Ein ausgeklügelter Spielplan geht dem BVB bislang auch unter Stöger ab, die nötige Emotion und Leidenschaft für den Wettkampf in Teilen ebenso. Die Dortmunder sind zwar immer für einen Treffer gut, der Trainer braucht jedoch dringend einen gesamtheitlichen Plan, damit nicht auch noch das letzte verbleibende Saisonziel verspielt wird. Die Formstärke mancher Konkurrenten spricht derzeit nicht für den BVB.
"Ja, natürlich", sagte Sahin am Samstag auf die Frage, ob er Angst um die Saisonziele habe. "Als Borussia Dortmund müssen wir in die Champions League. Die Ergebnisse, die wir im Moment erzielen, gehen nicht in die Richtung, dass wir unser Ziel erreichen."
Vieles steht auf der Kippe bei Borussia Dortmund während dieses Jahresbeginns. Allerdings nicht nur die Stimmung im Stadion, könnte man Bürki entgegnen.