SPOX: Herr Tedesco, vor etwas mehr als sieben Monaten waren Sie noch Trainer der U19 bei 1899 Hoffenheim. Jetzt sind Sie Bundesligacoach auf Schalke. Hatten Sie schon mal Zeit über Ihren rasanten Aufstieg nachzudenken?
Domenico Tedesco: Zur Reflexion bin ich noch nicht gekommen, dafür ging alles zu schnell. Vielleicht ist es auch besser so.
SPOX: Zumal es ja fast nicht so weit gekommen wäre. Beim VfB Stuttgart standen Sie 2013 vor der Entscheidung: Weitermachen als Trainer oder als Ingenieur zurück in die Wirtschaft. Sie haben ein abgeschlossenes Studium als Wirtschaftsingenieur und in Innovationsmanagement.
Tedesco: Das Nachdenken hat nur ein, zwei Tage gedauert. Ich muss aber fairerweise auch sagen, dass der Zufall und das Glück eine große Rolle gespielt haben.
SPOX: Inwiefern?
Tedesco: Die Profis beim VfB steckten damals im Abstiegskampf und Thomas Schneider wurde als Trainer von der U17 hochgezogen. Wir haben dann beide Spiele mit mir als Interimstrainer gewonnen: 4:1 gegen Ingolstadt und 12:0 gegen Nürnberg. Da konnte der Verein gar nicht mehr anders, die Spieler hatten Bock auf mich. (lacht) Normalerweise hätte der Verein einen anderen Trainer geholt und mich weiter als Co-Trainer beschäftigt. Aber so stand ich vor der Wahl: Entweder unterschreibe ich beim VfB einen Zwei-Jahresvertrag als U17-Trainer oder ich schließe mich fix dem Ingenieursdienstleister an, für den ich damals Projekte bei Daimler betreut habe.
SPOX: Sie haben sich für den Fußball entscheiden.
Tedesco: Ja, die Arbeit mit den Jungs hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber es ist gut zu wissen, jederzeit zurück in die Industrie zu können, auch wenn ich daran aktuell überhaupt keinen Gedanken verschwende. Das Feuer für den Job als Bundesligatrainer brennt in mir. Und so lange das so ist, bin ich selbst auch Feuer und Flamme.
SPOX: Bei Ihrem Einstieg auf Schalke kam es zu den fast schon reflexartigen kritischen Kommentaren bezüglich Ihres Alters. Jetzt ist mit Jupp Heynckes ein 72-Jähriger beim FC Bayern auf die Trainerbank zurückgekehrt, was sehr positiv bewertet wurde. Sollte diese Auflösung der Altersgrenze nach oben auch nach unten gelten?
Tedesco: Ich denke schon, ja. Es geht bei Trainern wie bei Spielern nicht um jung oder alt, sondern um die Qualität und darum, ob der Trainer zum Verein und zur Philosophie passt. Außerdem habe ich ein Trainerteam um mich, das zwar auch noch jung, aber erfahren ist. Torwarttrainer Simon Henzler war auf Schalke schon im Team von Andre Breitenreiter und Markus Weinzierl, mein Co-Trainer Peter Perchtold hat in Mainz mit Martin Schmidt zusammengearbeitet. Beide waren selbst lange Zeit Profis.
SPOX: Fehlt in Deutschland noch das Verständnis für junge Führungskräfte?
Tedesco: Ich halte den Mut in Deutschland für eher ausgeprägt. Während meiner Zeit bei Daimler hatte ich einen Teamleiter, der 33 war. In der Industrie ist das Alter nicht entscheidend, da geht es um Führungsqualität, Persönlichkeit und Knowhow. In Italien wäre ein 30-jähriger Trainer aktuell eher noch schwer vorstellbar.
SPOX: Formulieren wir um: Muss in der deutschen Fußballlandschaft noch ein Umdenken einsetzen?
Tedesco: Auch hier sind die Verantwortlichen mutig. Es gibt Spieler, die mit 18, 19 Jahren debütieren. Auch das ist in Italien anders. Und selbst wenn: Die Denke Jung und Alt darf es nicht geben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meiner Zeit als Trainer bei Erzgebirge Aue: In der Spielvorbereitung auf St. Pauli habe ich mir viele Spiele angesehen. Ewald Lienen hat dort als Trainer sehr innovativ gearbeitet. Oder schauen Sie nach Düsseldorf, wo Friedhelm Funkel mit seinem Team Zweitliga-Spitzenreiter ist. Von Jupp Heynckes ganz zu schweigen, seine Erfolge sprechen für sich. Innovationsfähigkeit hat nichts mit dem Alter zu tun.
SPOX: Sportvorstand Christian Heidel hat Sie vor der Saison im SPOX-Interview auch gegen den Vorwurf mangelnder Erfahrung verteidigt. Wie ist Ihr Austausch mit ihm?
Tedesco: Sehr gut, sehr offen. Es ist nicht so, dass er jede Trainingsform genau erklärt haben will, aber er hat ein gesundes Interesse an unserer Arbeit. Wir fühlen uns im Trainerteam pudelwohl, weil wir Christians Vertrauen und die Rückendeckung spüren.
SPOX: Nach etwa zehn Jahren in der Jugendarbeit: Gab es irgendetwas, das Sie im Profifußball total überrascht hat?
Tedesco: Eigentlich nicht. Inhaltlich ist vieles sehr ähnlich. Natürlich ist das Niveau höher, die Gesprächsführung mit einem Erwachsenen eine andere, aber sportlich geht es um die gleichen Themen wie Spielaufbau, Pressing et cetera. Der größte Unterschied ist die Arbeit mit den Medien, die nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, im Jugendfußball geht es mehr um die Sache.
SPOX: Es gibt wenige Trainer, die in der freien Wirtschaft gearbeitet haben und dann Bundesligatrainer wurden. Welche Parallelen sehen Sie zwischen den unterschiedlichen Branchen?
Tedesco: Das A und O ist Zeitmanagement. Ich darf weder als Ingenieur noch als Trainer zu viel Zeit für unnötige Sachen verbrauchen, ich muss Prioritäten setzen. In der Bundesliga besteht die Gefahr, sich zu wenig mit Fußball zu beschäftigen.
SPOX: Dabei arbeiten Sie laut Aussage von Heidel fast täglich von 8 bis 23 Uhr. Reichen 15 Stunden nicht?
Tedesco: Auch bei mir hat nicht jeder Arbeitstag 15 Stunden. Aber die Gefahr ist schlichtweg da und deshalb setze ich mir bewusst Grenzen, denn es geht um Fußball.
SPOX: Wie viel Zeit wollen Sie allein für den Fußball haben?
Tedesco: Wenn ich von den 15 Stunden ausgehe, sollten es schon elf bis zwölf sein. Dazu zähle ich das Training, die Vorbereitung und Nachbereitung der Einheiten, Gespräche mit den Spielern sowie Video- und Datenanalyse.
SPOX: In der Wirtschaft ist die Work-Life-Balance ein großes Thema. Sie sind ein junger Familienvater, wie viel Zeit bleibt bei einem 15-Stunden-Tag noch für Ihre Frau und Ihre Tochter?
Tedesco: Work-Life-Balance klingt schön und ist auch wichtig, aber um ehrlich zu sein mache ich mir aktuell darüber keine Gedanken. Während eines Arbeitstags reicht es vielleicht mal für ein Telefonat oder Face-Time. Meine Frau unterstützt mich da auch fantastisch. Sonst wäre das in dieser Form gar nicht möglich. Klar ist aber auch: Wenn ich einen freien Tag habe, ist der nur für die Familie da.