Fast unscheinbar zwischen all den Millionen-Transfers am Deadline Day angelte sich der VfL Wolfsburg völlig überraschend in Divock Origi seinen Königstransfer des Sommers. Zu offensichtlich waren die Schwächen in der Wolfsburger Offensive, zu eindimensional war das Spiel auf Mario Gomez ausgelegt, um nicht doch noch auf dem Transfermarkt tätig zu werden.
"Wolfsburg ist der perfekte Ort für mich. Ein wundervoller Klub mit einer großartigen Infrastruktur und Organisation", phrasierte Origi nach seiner ersten Trainingseinheit in der Autostadt. Mit Blick auf die chronische Torungefährlichkeit der Wolfsburger, die den VfL in der vergangenen Saison an den Rand der 2. Liga drängte, kann man Origi kaum widersprechen.
Wolfsburg braucht jemanden, der Mario Gomez unterstützt. Einen mit läuferischen und technischen Qualitäten. Origi hat diese Fähigkeiten sowohl beim FC Liverpool, als auch bei OSC Lille schon unter Beweis gestellt. Und doch wirft der Wechsel Fragen auf.
Origi und das Positionsproblem
"Ich bevorzuge es, zentral im Sturm zu spielen", sagte der Neuzugang der Wölfe bei seinem ersten Streifzug über das Wolfsburger Trainingsgelände. Zwar hatte der VfL eher Nachrüstungsbedarf auf den offensiven Außenpositionen, holte sich auf dem Transfermarkt jedoch einige Körbe ab. Origi behauptet von sich selbst, er könne auch auf dem Flügel spielen und alles sei möglich, doch die Gefahr besteht, dass der belgische Nationalspieler in eine Position gedrängt wird, die er nur ungern bekleiden will.
Gomez ist unter Trainer Andries Jonker im Sturmzentrum gesetzt. Daran dürfte auch eine längere Tor-Flaute nichts ändern. Also muss Jonker für Origi eine Position im Wolfsburger System finden. Geht es nach VfL Sportdirektor Olaf Rebbe, dürfte das für einen Spieler mit den Qualitäten von Origi kein schweres Unterfangen sein: "Er ist ein schneller, durchsetzungsstarker und gefährlicher Offensivspieler, der unser Angriffsspiel noch variabler macht."
Hinter eben jener Variabilität steht mit Blick auf Origis Vita und Statistiken allerdings ein dickes Fragezeichen. In 93 Spielen für Lille und Liverpool lief Origi als Mittelstürmer auf und brachte es dabei auf 30 Tore und zehn Vorlagen. Kam er auf den Außen zum Einsatz, war er in 21 Spielen bei weitem nicht so gefährlich und effektiv (vier Tore, eine Vorlage).
Mit seiner Statur und Spielweise entspricht Origi auch eher dem Profil eines Mittelstürmers. Sollte Gomez im Laufe der Saison verletzt ausfallen, hat Jonker mit dem Belgier eine ideale Alternative für das Sturmzentrum zur Hand. Doch die entscheidende Frage wird eben sein, wie Origi auch neben Gomez in der Startelf funktionieren kann.
Jonkers Aufgabe: Wie passen Gomez und Origi zusammen?
Bisher hat Jonker stets auf eine Formation mit einem Stürmer vertraut und trotzdem muss er jetzt eine Lösung finden, um seinen Königstransfer einzubauen. Dazu kommt, dass Origi aufgrund einer kuriosen Vertragsklausel auch im Winter schon wieder weg sein könnte. Sollte Jürgen Klopp in seiner Offensive personelle Probleme bekommen, können die Reds ihren Leihspieler zurückholen.
Ohnehin fühlt sich der Transfer für Wolfsburg ein wenig nach Zwickmühle an. Einem Bericht der Bild zufolge steigt die Gebühr für Origi um 20 Prozent, wenn er nicht bei 80 Prozent aller Wolfsburger Pflichtspiele in der Startelf steht.
Das heißt: Schlägt Origi ein, verliert Wolfsburg spätestens in zehn Monaten eine wichtige Stütze in seiner Offensive und darf im Sommer erneut nach Ersatz suchen. Eine Tatsache, die ein Leihgeschäft ohne Kaufoption eben mit sich bringt. Sollten Origis Leistungen aber zu wünschen übrig lassen und Jonker keine geeignete Position für den Belgier finden, wird es teuer für den VfL.
Origi wartet auf den nächsten Schritt
Jonker muss im ersten Schritt auf den kurzfristigen Erfolg schauen. Dabei wird auch entscheidend sein, wie schnell sich Origi an sein neues Umfeld gewöhnt. In Liverpool ist ihm der Durchbruch nicht auf Anhieb gelungen, eigentlich wartet er seit 2014 auf den nächsten Schritt in seiner Entwicklung.
Damals verpflichtete der LFC den belgischen Nationalspieler nach überzeugenden Auftritten in der Ligue 1 und bei der WM für knapp zwölf Millionen Euro, ließ Origi aber noch für ein Jahr in Frankreich.
Die Saison 2014/2015 lief für Origi allerdings durchwachsen, in 33 Spielen traf er acht Mal. Das lag zwar auch an Lilles dürftiger Gesamtleistung in dieser Spielzeit, die L'Equipe berief jedoch einzig Origi aufgrund seiner überwiegend schwachen Spiele in die Flop-Elf der Spielzeit.
Origi bei Liverpool: Verletzung, Durchbruch, Abschied
Es folgte der Wechsel auf die Insel. In seiner ersten Saison beim FC Liverpool tat sich Origi ebenfalls schwer und war aufgrund von Verletzungen sowie Nichtberücksichtigungen oft zum Zuschauen verdammt. Erst in der vergangenen Saison konnte Origi zeigen, warum Klopp ihn unbedingt an die Anfield Road holen wollte.
Im November und Dezember 2016 schien es so, als würde Origi endlich durchstarten. In vier aufeinanderfolgenden Pflichtspielen traf er vier Mal. Daraufhin setzte Klopp gerade in der zweiten Hälfte der Saison vermehrt auf den Belgier, doch der konnte das in ihn gesetzte Vertrauen nur noch selten mit Toren zurückzahlen. Und wenn er mal traf, tat er das in neun von zehn Fällen als Mittelstürmer. Zu wenig für einen Stammplatz in der starken Liverpooler Offensive, die neuerliche Leihe folgte.
Nun soll Origi die lahmende Wolfsburger Offensive auf Touren bringen. Die Wölfe hatten Origi bereits vor drei Jahren auf dem Zettel. Zu diesem Zeitpunkt haperte es im Sturmzentrum und nicht auf den Außen, wo der VfL mit Daniel Caligiuri und Ivan Perisic noch gut besetzt war. Aber Liverpool setzte sich durch.
Dieses Mal haben die Wölfe das Rennen um Origi gemacht, doch nun sind sie mit Gomez im Zentrum eigentlich gut aufgestellt und bräuchten Unterstützung auf Außen. Es könnte sein, dass beide Seiten zur falschen Zeit zusammengefunden haben.