"Dembele ist ein absoluter Sensationstransfer"

Jonas Boldt ist seit 2007 für Bayer Leverkusen tätig
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SPOX: Wieso haben diese Transfers letztlich nicht geklappt?

Boldt: Coman hat dann Juventus Turin zugesagt, bei Costa hat es zum damaligen Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen nicht gepasst.

SPOX: Neppe war derjenige, der Bayern-Neuzugang Renato Sanches entdeckte. Hatte Leverkusen ihn auch auf dem Zettel?

Boldt: Natürlich, aber es war klar, dass wir solch einen Spieler von Benfica nicht mehr bekommen würden. Das zeigt sich ja an der Ablöse, die die Bayern jetzt für ihn gezahlt haben. Dass Marco diese Qualität hat, deutete er bereits bei uns an. Sein Weggang war sportlich wie menschlich sehr schade für uns. Marco hat eine unglaubliche Wissbegierde, den nötigen Fleiß und die Belastbarkeit für diesen Job. Dazu kann er Spieler sehr gut einschätzen und hat vor allem das Verständnis für die Komplexität einer Kaderzusammenstellung. Ihm traue ich in Zukunft einiges zu.

SPOX: Apropos Fleiß: Den haben Sie im Vorjahr beim Last-Minute-Transfer von Chicharito auch bewiesen. Sie sagten, dass Sie die Befürchtung hatten, für verrückt erklärt zu werden. Nennen Sie doch bitte einmal ein paar Bausteine, die einen solch überraschenden Wechsel letztlich vervollständigen?

Boldt: Als ich damals intern mit diesem Namen angekommen bin, haben mich viele verwundert angeguckt. Nach dem Motto: Jetzt bleib' mal auf dem Boden. Das war irgendwo auch verständlich, denn andere Vereine können viel mehr für ihn bezahlen als wir. Irgendwann hat man also diese Idee und nimmt Kontakt zu seinem Berater auf. Es war dann letztlich eine Frage des Zeitpunkts.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Boldt: Wir haben ihn am letzten Tag der Transferperiode verpflichtet, irgendwann musste er sich entscheiden. Ich habe vier Monate vorher Vollgas gegeben, ohne dass es jemand mitbekommen hat. Ich habe seine Spiele verfolgt, stand in regelmäßigem Austausch und habe ihn besucht. Man hat sich einfach gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht. Das spüren dann die Spieler. Er hat gemerkt, dass wir uns gestreckt haben und dann wollte er auch zu uns. Warum kommen denn Spieler wie Aranguiz und Volland zu uns? Weil sie gemerkt haben, dass wir dahinter stehen und zwei Jahre lang nicht locker gelassen haben.

SPOX: Wie viele Vereine waren bei Chicharito am Ende dann noch in der Verlosung?

Boldt: Bestimmt fünf oder sechs, die auch finanzkräftiger sind als wir. Er wollte und will regelmäßig bei einem Champions-League-Klub spielen - dies ist bei uns gewährleistet. Das war sicherlich unser Pfund, zusätzlich zu der Wertschätzung, die ihm in Manchester und Madrid etwas abhanden gekommen ist. Seitdem hat er nie geäußert, uns verlassen zu wollen. Er fühlt sich augenscheinlich pudelwohl und weiß, was er an uns hat.

SPOX: Dass man solche begehrten Spieler auch mit weniger Geld auf dem Konto bekommen kann, zeigt ja auch das Beispiel Ousmane Dembele, der sich gegen England und für den BVB entschieden hat.

Boldt: Dembele ist für mich ein absoluter Sensationstransfer, zu dem ich den Dortmundern auch schon gratuliert habe. Ich finde diesen Spieler überragend. Der BVB hat sich rechtzeitig festgelegt, voll auf diese Karte gesetzt, sich lange um ihn bemüht und auch das nötige Kleingeld in der Hinterhand. Dass Dortmund so etwas gelingt zeigt, dass sie aktuell sicherlich näher an den Bayern dran sind als wir an der Borussia.

SPOX: In England werden nicht erst seit dieser Transferperiode Unsummen ausgegeben, der Erfolg ist bislang aber noch überschaubar. Wieso schafft man es dort, nachhaltig in Steine, aber nicht in Beine zu investieren?

Boldt: Das ist einfach ein anderes Konstrukt. Es ist deutlich abhängiger vom Trainer, der ja auch Manager genannt wird und viel mehr bestimmt als bei uns - besonders in Sachen Transfers. Ein Trainer kann aber eigentlich nie so tief im Thema Spielerakquise drin sein wie beispielsweise ein Scout. In Deutschland hat ein Trainer natürlich auch viel Mitspracherecht, aber dass eine ganze Mannschaft ausgetauscht wird, wenn ein neuer Coach kommt, ist hier eher ungewöhnlich.

SPOX: Man bräuchte also mindestens einen was das Mitspracherecht angeht gleichberechtigten Sportdirektor?

Boldt: Vor einiger Zeit hat der FC Southampton unter Trainer Mauricio Pochettino und Paul Mitchell, der Head of Recruitment genannt wurde, sehr gut gearbeitet und wirklich viel aus seinen Möglichkeiten herausgeholt. Diese beiden sind nun auch bei Tottenham erfolgreich. Dort merkt man die Abstimmung zwischen Trainer und dieser Art sportlichem Leiter, da beide den Fußball durch dieselben Augen zu sehen scheinen.

SPOX: Wenn es die Engländer schaffen, mit ihrem vielen Geld klug umzugehen, dürfte es für den deutschen Markt bitter werden. Wie lange wird das Ihrer Ansicht nach noch dauern, bis dort genug Expertise in allen Bereichen Einzug erhalten hat?

Boldt: Ich weiß nicht, ob das überhaupt einmal passiert. Dort, wo viel Geld ist, drängen auch andere Leute und Einflüsse hinein - und es ist ja nicht gesagt, dass dies dann fruchtbar ist. Für Leverkusen wäre Ihr skizziertes Szenario in manchen Fällen vielleicht auch gar nicht so schlimm, denn lieber verkaufen wir mal einen Spieler für teures Geld ins Ausland, als für die Hälfte des Preises nach München oder Dortmund.

SPOX: BVB-Trainer Thomas Tuchel beschwerte sich unlängst über die explodierten Ablösesummen, auch wenn er selbst Teil des Systems ist. Wie bewerten Sie dies sowie seine Einschätzung, der Fußball würde dadurch den Bezug zu den Zuschauern verlieren?

Boldt: Ich kann Thomas Tuchels Argumentation verstehen, sehe es aber dennoch anders. Wir hätten in diesem Sommer aus Dortmund allein für zwei Spieler rund 60 Millionen Euro bekommen können. Die Frage ist: Wäre es volksnah, wenn es nur um die Hälfte des Betrages ginge? Am Ende ist es meiner Ansicht nach entscheidend, wie Vereine und Spieler eine Volksnähe vorleben. Die Transferentschädigung ist eine Summe, eine Fantasiezahl, die sich aus dem ergibt, was man zur Verfügung hat und bereit ist auszugeben. Natürlich fließt dieses Geld irgendwo. Eine Million Euro ist meiner Auffassung nach aber doch auch schon völlig absurd viel Geld. Ich sehe es daher als Zahl, die der Markt hergibt. Es ist der Kreislauf des Systems, der sowieso eine Fantasiewelt ist, da das System in sich nicht logisch ist. Denn wer sagt denn, wie viel ein Spieler letztlich wert ist?