Kampf dem ewigen Pendel

Von Daniel Reimann
Roberto Di Matteo übernahm Schalke 04 im Oktober vergangen Jahres
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Feuer frei für Schalkes Gegner

Allerdings gibt es auch nach mittlerweile 21 absolvierten Partien unter dem neuen Coach noch Elemente im Schalker Spiel, die so gar nicht zu Di Matteo passen. Baustellen, an denen er mit seinem Team wohl noch länger arbeiten muss, um seine Vorstellung eines FC Schalke im Zeichen Di Matteos abzurunden.

So macht es Königsblau, wie zuvor beschrieben, seinen Gegnern zwar im Abschluss nicht mehr ganz so leicht, doch die Menge an zugelassenen Schüssen ist für die Ansprüche eines Champions-League-Kandidaten noch immer viel zu hoch. Mit insgesamt 361 gegnerischen Abschlüssen in den 23 Bundesligaspielen weist Schalke die meisten aller Bundesligisten auf. Keine andere Mannschaft ließ diese Saison durchschnittlich 15,2 Schüsse des Gegners pro Partie zu.

Seit Di Matteos Übernahme fiel S04 in dieser Statistik von einem ohnehin schon bedenklichen 16. Platz ans Tabellenende. Zum Vergleich: In Kellers gesamter Amtszeit kam das gegnerische Team lediglich auf durchschnittlich 12,5 Abschlüsse pro Spiel.

Die negative Krönung setzte es am vergangenen Spieltag: Sage und schreibe 30 Torschüsse ließ Königsblau gegen den BVB zu.

Mit einem gut gestaffelten Pressing und situativen Pressingfallen wurde Schalke früh zu Ballverlusten gezwungen. Dortmunds Offensive legte die Lücken des zwar eng besetzten aber mit schnellem Kombinationsspiel rasch überbrückbarem Schalker Defensivzentrums schonungslos offen.

Dortmunds 30 Torschüsse im Derby gegen Schalke 04

Standards weit unter den Möglichkeiten

Neben den zahlreichen gegnerischen Chancen ist auch eine weitere Schwäche des Schalker Spiels gravierend und gewiss nicht im Sinne Di Matteos: die mangelnde Torgefahr bei Standardsituationen. Waren die starken Standards noch eine Geheimwaffe des effektiven Chelsea unter Di Matteo (Finale dahoam...), ist Königsblau davon derzeit weit entfernt.

Dabei sind gefährliche Freistöße und Ecken oft ein hilfreiches Stilmittel taktisch sehr disziplinierter Mannschaften, deren Fokus auf geduldiger Defensivarbeit liegt. Einer der Vorreiter im europäischen Fußball ist Atletico Madrid. Dort lässt Diego Simeone indirekte Freistöße und Ecken bis zur Perfektion trainieren. Simeone ist der Überzeugung, dass sie zu den wenigen Elementen im Fußball gehören, bei denen man völlig unabhängig vom Gegner seine Vorteile ausspielen kann.

In Di Matteos Team wimmelt es von großgewachsenen, kopfballstarken Spielern. Matip, Choupo-Moting, Santana, Kirchhoff, Höwedes, Nastasic, Ayhan - sie alle messen zwischen 1,85 und 1,95 Metern.

Und mit Christian Fuchs verfügt Schalke über einen der gefährlichsten Flankengeber der Liga. Dennoch verwertet Königsblau laut Opta "nur" 37,5 Prozent seiner Standards. Im Vergleich zum Rest der Liga ein lediglich mittelmäßiger Wert. Zum Vergleich: Spitzenreiter Freiburg kommt auf 54,2 Prozent.

Das Pendel schwingt gewaltig aus

Doch am schwersten von allen Baustellen wiegt, dass trotz des Umbruchs unter Di Matteo das größte Problem, welches sich schon unter Keller wie ein roter Faden durch die jüngere Schalker Geschichte zog, weiterhin Bestand hat: Inkonstanz.

In der Keller-Ära zeigten die Knappen regelmäßig zwei Gesichter. Einerseits spielte Keller vergangene Saison die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte, andererseits war Schalke gegen große Gegner oft bedenklich machtlos.

Keller wurde zur Personifikation der sportlichen Achterbahnfahrt. "Es fehlt die notwendige Konstanz, um unsere gesteckten sportlichen Ziele zu erreichen. Daher haben wir uns dazu entschieden, einen Schnitt zu vollziehen", begründete Sportdirektor Horst Heldt die Demission des Cheftrainers Anfang Oktober.

Doch auch unter Di Matteo geht das ständige Auf und Ab nahtlos weiter. S-S-N-S-N-N-S-N-S-S-S-N-S-U-S-U-S-N-N-U-N - so lautet seine Bilanz. Dabei spiegelt sich die Inkonstanz nicht nur in Ergebnissen wieder, sondern auch im Schalker Spiel. Es reicht von spielerischen Glanzpunkten wie beim 3:2 gegen Wolfsburg über bemerkenswerte Unterlegenheit (0:3 in Dortmund) bis hin zu kolossalen Demütigungen (0:5 gegen Chelsea).

Das Schalker Pendel schwingt auch unter Di Matteo noch viel zu gewaltig aus, um dauerhaft im Konzert der Großen - sprich: Champions League - mithalten zu können. Doch nicht weniger als das entspricht der eigentlichen Ambition der Vereinsbosse.

Denn trotz einiger spürbarer Fortschritte unter dem neuen Trainer ist klar: Erst wenn Di Matteo die traditionelle Inkonstanz eindämmen kann, hat Schalke eine wirkliche Wandlung zum Positiven vollzogen.

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