Das spannendste Projekt der Liga

Von Stefan Rommel / Fatih Demireli
Neues Quintett: Gladbachs Trainer Favre (l.) und Manager Eberl (r.) mit den prominenten Zugängen
© Getty

Max Eberl stand vor wenigen Wochen noch unter Druck - jetzt hat sich Gladbachs Sportdirektor mit einer beeindruckenden Transferbilanz freigeschwommen. Dabei nimmt er auch ein gewisses Risiko gerne in Kauf. Die Voraussetzungen in Mönchengladbach sind exzellent. Lediglich die Formulierung des Saisonziels ist noch nicht ganz entschieden.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Das muss man erstmal schaffen: Es ist läppische zwölf Monate her, da zeigte sich das Binnenverhältnis bei Borussia Mönchengladbach als äußerst angespannt.

Die Borussia war eben erst dem Abstieg entronnen, Trainer-Neu-Entdeckung Lucien Favre hatte das beinahe Unmögliche doch noch möglich gemacht. Die Opposition um Stefan Effenberg war nur kurz zuvor bei der Übernahme der Geschicke gescheitert. Einem leblosen Klub wurde wieder neue Energie verliehen.

Immer mal wieder mal Spannungen

Favre war bereit, atemlos, wollte den Schwung mitnehmen in die neue Spielzeit und einen Kader bauen, der nach seinen Vorstellungen auszusehen hatte. Dann zogen die Wochen ins Land, es war Mitte Juli und Borussia Mönchengladbach hatte exakt einen neuen Spieler verpflichtet. Yuki Otsu, ein ziemlich unbekannter Japaner, losgeeist für rund 300.000 Euro aus der J-League.

Favre nahm die Zurückhaltung auf dem Transfermarkt erst ruhig zur Kenntnis, wurde dann aber fordernder und lauter. Er rieb sich an Max Eberl, dem zweiten starken Mann bei der Borussia. Im Winter kam es dann erneut zu Spannungen.

Favre war wenig erfreut, dass sich in Marco Reus und Roman Neustädter nach der Saison zwei Schlüsselspieler anderen Klubs zuwenden würden. Er stellte seine Position und Weiterbeschäftigung in Frage, kokettierte leise mit einem Wechsel.

Vorübergehender Transfermeister

Für Eberl, einen der unaufgeregten, dafür aber sehr effizienten Manager der Liga, ein Problem. Ebenso wie jenes, das die hervorragend verlaufene Saison ihm zusätzlich vor die Füße warf: Platz vier genügt zum Casting für die Champions League, aber eben nicht als Billet. Für jemanden, der immer auch den Spagat zwischen sportlichem und wirtschaftlichem Risiko schaffen muss, eine ganz besondere Herausforderung, an der in den letzten Jahren der eine oder andere Kollege schon gescheitert ist.

Eberl und Borussia-Geschäftsführer Stephan Schippers haben die Flucht nach vorne ergriffen. Heute - es ist wieder Mitte Juli - steht Borussia Mönchengladbach, der Fast-Absteiger und Zögerling, als der vorübergehende Transfermeister in den Schlagzeilen.

Gewiss sind die Voraussetzungen auch ganz andere. Die Millionen aus den Reus- und Dante-Transfers galt es auszugeben, Eberl hatte schon früh angedeutet, dass die eingenommenen Millionen in die Neustrukturierung des Kaders zurückfließen sollen. Dazu hat die Borussia auch in den Bereichen Merchandising und Ticketing Rekordsummen erwirtschaftet.

Zwei Rekordzugänge binnen Wochen

Trotzdem stehen bis jetzt auch andere Bestmarken: Der teuerste Zugang der Vereinsgeschichte (Granit Xhaka, rund 8,5 Millionen Euro) durfte sich nur ein paar Wochen über seinen Titel freuen. Am Mittwoch wurde er schon wieder abgelöst von Luuk de Jong, als Fixsumme zwölf Millionen Euro schwer; plus Nachschlagszahlungen an Twente Enschede in bestimmten Erfolgsfällen.

Gemeinsam mit dem Spanier Alvaro Dominguez, für den rund acht Millionen Euro an Atletico Madrid geflossen sind, hat die Borussia drei der zehn großen Transfers in der Bundesliga getätigt. Nimmt man Peniel Mlapa (2,5 Millionen an Hoffenheim) noch dazu, belaufen sich die Ausgaben auf 31 Millionen Euro. Ein Spieler wie Branimir Hrgota, der für 200.000 Euro von Jönköping Södra gekommen ist, fällt da schon total aus dem Rahmen.

Nummer vier im Europa-Ranking

In der Bundesliga hat kein anderer Klub derart risikoreich und kostspielig investiert, die Unterdeckung von Transferausgaben zu -einnahmen beträgt rund zehn Millionen Euro, vielleicht auch eine Million mehr. Je nachdem, welche kolportierten Zahlen man zu Grunde legt. An der Tendenz und den Fakten ändert das aber wenig.

Im europäischen Vergleich liegt die Borussia hinter den Powershoppern Paris St.-Germain (rund 90 Mio. Euro), FC Chelsea (rund 50 Mio. Euro) und Juventus Turin (ca. 45 Mio. Euro) auf Rang vier. Daheim in Deutschland kommen weder die Bayern, noch Borussia Dortmund, noch der VfL Wolfsburg oder Schalke 04 an Mönchengladbach heran.

"Der Verein macht einen großen Schritt"

"Der Verein Borussia Mönchengladbach macht gerade einen großen Schritt", fasst Eberl in einem Satz zusammen, was nahezu unglaublich erscheint. Er selbst hatte vor nicht allzu langer Zeit noch bekräftigt, es werde "keine einzelnen Transfers für 15, 16 Millionen" geben. "Das passt nicht in die Gladbacher Landschaft."

An und für sich ist sich Eberl auch treu geblieben. Seine Transferbilanz war fast durch die Bank positiv, er hat schon immer ein Händchen für Spieler gezeigt. Der Unterschied zu den Jahren davor ist jetzt aber, dass er die Risikostufe um einiges nach oben geschraubt hat. Der Gladbacher Weg ist mutig, so viel kann man jetzt schon behaupten, wo noch keine Sekunde gespielt, geschweige denn die Entscheidung über eine Teilnahme an der Königsklasse gefallen ist.

Nachdem jahrelang verkauft werden musste - neben Reus, Neustädter, Dante verließen in den letzten Jahren auch hoffnungsvolle Spieler wie Marko Marin oder Marcell Jansen den Klub - durfte jetzt auch mal eingekauft werden. Nicht mehr zögerlich und zurückhaltend, sondern geradeaus und vor allen Dingen auch nachhaltig.

Borussia Mönchengladbach in der Sommerpause

Eine makellose Bilanz

Die vakanten Stellen im Kader sind wieder aufgefüllt. Die Borussia benötigte einen Innenverteidiger, einen Mittelfeldspieler und einen Stürmer. Und hat einen Innenverteidiger, einen Mittelfeldspieler und sogar zwei Stürmer verpflichtet, zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Vorbereitungsphase.

Auf das Vabanquespielchen, erst die CL-Qualifikation abzuwarten, um dann nach schnell-schnell nachzukaufen, wollten sich die Verantwortlichen aus gutem Grund nicht einlassen. Was auf dem Markt war und ins Gladbacher Blickfeld gerückt war, hat der Klub bekommen. Eine bessere Bilanz kann man kaum aufweisen.

"Es hat schon eine gewisse Faszination, Transfers zu realisieren, mit denen niemand gerechnet hat", sagt Eberl.

Die Definition des Saisonziels

"Hut ab vor dem, was Gladbach gemacht hat. Mit diesen Spielern können sie oben mitmischen", sagt Huub Stevens. Selbst die Konkurrenz blickt ein wenig neidisch auf das Gladbacher Tagwerk. Schalkes Coach bringt damit aber auch eine unangenehme Nebenwirkung zur Sprache: Die Definition des Saisonziels.

Platz elf wäre für Eberl normal, Rang acht gut, "unter den ersten Sechs sensationell". Die Politik des Tiefstapelns in allen Ehren, aber damit wird sich die gestiegene Erwartungshaltung nicht besänftigen lassen. Das Gros der Mannschaft ist geblieben und damit auch die Basis des Spielstils. Der muss jetzt auch wegen De Jong, der in seiner Anlage anders gepolt ist als Reus, modifiziert werden.

Dennoch ist das Fundament stark genug, dazu rücken die Talente mehr in den Fokus, die allesamt schon bewiesen haben, was sie zu leisten im Stande sind. "Gladbach ist ein Verein, bei dem man Spaß haben und sich weiterentwickeln kann", sagt Eberl. Und er ist in seiner Gesamtheit mit das spannendste Projekt der Liga.

Und das Beste: Favre bleibt

Von Spielern wie Marc-Andre ter Stegen, Harvard Nordtveit (Vertrag bis 2014 verlängert), Tony Jantschke oder Favre-Musterschüler Patrick Herrmann darf man einen Schritt nach vorne erwarten - beide Letztgenannte stehen auch vor der Aufnahme in die Nationalmannschaft. Sie rücken jetzt automatisch mehr in den Fokus, sollten mit dieser neuen Herausforderung aber klarkommen.

Die Neuen jedenfalls haben klare Vorstellungen von dem, was von der Borussia zu erwarten ist. "Das Ziel ist nicht, Meister zu werden. Aber wir werden versuchen, eine noch bessere Saison als die letzte zu spielen", sagt Xhaka. Luuk de Jong will "im Bereich des vierten Platzes bleiben".

Dafür wurden die Hausaufgaben bis jetzt allesamt erledigt, der fleißige Sportdirektor Eberl darf ein wenig durchatmen. Im allgemeinen Zahlenwirrwarr ging eine Personalie nämlich beinahe unter: Die von Trainer Favre. Der Schweizer hat sich Anfang Juli dann doch wieder für die Borussia entschieden. Der Vertrag wurde bis 2015 verlängert.

Das ist Borussias Kader

Artikel und Videos zum Thema