"Die Schule hat mich eh gestört"

Das Leben ist zu kurz für den Mainstream - sagt Bobby Dekeyser
© getty
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SPOX: Hatten Sie je Zweifel, den gutbezahlten Fußballerjob einfach so aufgegeben zu haben?

Dekeyser: Jahre danach habe ich mir gedacht, wie verrückt ich gewesen bin. Ich hatte so viele Angebote, habe aber alle ausgeschlagen - trotz Familie und zwei Kindern.

SPOX: Dennoch fiel es Ihnen nicht schwer, dieses Leben aufzugeben. Auch, weil Sie mit Ihrer generellen Einstellung oder dem Wunsch nach Familie und Kindern ohnehin eher die Antithese zum Fußballerklischee waren?

Dekeyser: Ich war immer etwas atypisch. Ich war vom Typ her nie ein Fußballer, eher ein Freiheitskämpfer. Egal, in welchem Bereich: Ich bin für eine Atmosphäre des Miteinanders, im Fußball war ich ein Einzelkämpfer. Ich war auch nie sehr talentiert, sondern habe einfach extrem viel trainiert. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse doppelt so hart arbeiten wie alle anderen. Immer hochkonzentriert, um meine Leistungen zu halten. Ich war tatsächlich so ein bisschen in meiner eigenen Welt, jedoch eher aus Angst und Respekt, das nicht schaffen zu können.

SPOX: Jetzt sind Sie Unternehmer, Firmen-Leiter, Geschäftsmann, ständig in tausend Sachen eingespannt und haben dennoch gesagt, Sie seien "freiheitsliebend am Rande des Komplexes". Ist das jetzt die umgekehrte Antithese?

Dekeyser: Das hat nicht nur etwas mit Freiheit zu tun. Ich wollte mir immer treu bleiben, bei dem, was ich tue. Mich nicht einnehmen lassen von äußeren Meinungen. Das habe ich im Fußball gelernt: Man ist nie so gut, wie man gemacht wird, aber auch nie so schlecht. Man muss seine eigenen Parameter finden und seine eigenen Ziele definieren. Mit meinem Unternehmen kam nach und nach der riesige Erfolg, ich war in der ganzen Welt unterwegs, um das Unternehmen zu repräsentieren. Doch ich wollte immer anders leben, mit der Familie auf dem Bauernhof. Ich versuche, mein Leben auch regelmäßig von außen zu betrachten: Was fühle ich wirklich? Mache ich das, was ich will? Was sind meine Prioritäten? Das ist wahnsinnig anstrengend, aber auch wahnsinnig sinnvoll.

SPOX: Zusammenfassend: Der Mainstream war noch nie das Ihrige.

Dekeyser: Dafür ist das Leben zu kurz! (lacht)

SPOX: Ist dieses Anderssein, das Ausbrechen, das Schwimmen gegen den Strom eine vergessene Kunst?

Dekeyser: Ja, und zwar in allen Bereichen. Auch und vor allem bei jungen Leuten. Ob es die Musik ist, die Kleidung, die Zukunftsvorstellungen - alles ist zu einem gewissen Grad konform. Jeder will individuell sein, jeder will aber auch dazu gehören. Das Für-sich-sein ist aber nicht nur konsumieren, sondern vor allem kreieren, also mit Arbeit verbunden. Bei sich zu bleiben ist auch ein Kampf gegen das System.

SPOX: Ein Kampf, der auch im Fußball vielen guttun würde?

Dekeyser: Absolut. Man steht einfach unter riesigem Druck in dieser künstlichen Blase. Man ist ein Teil der Entertainment-Branche, ein Teil einer Parallelwelt. Es ist leicht, sich dabei fangen zu lassen, weil alles einfach scheint. Man ist bekannt, man bekommt Komplimente, man hat finanziell alle Möglichkeiten. Heute noch viel mehr als früher. Es ist eine große Herausforderung, die die Spieler oft überfordert. Niemand will oder darf in diesem System Fehler machen, deshalb ist auch alles so glatt gebügelt, ohne Ecken und Kanten.

SPOX: Würde Bobby Dekeyser denn im heutigen Fußball noch funktionieren?

Dekeyser: Ich könnte zumindest nicht in diesem System mitschwimmen. Ich bin jemand, der irgendwann seine Meinung sagen und seinen eigenen Weg gehen muss. Deswegen war ich schon damals nicht wirklich kompatibel für den Mannschaftssport. Wobei ich glaube, dass einige Aspekte mittlerweile besser geworden sind. Ich habe das Gefühl, dass viele Trainer nicht mehr so hierarchisch denken, sondern Spielkunst, Erfolg und Unterhaltung für die Zuschauer priorisieren. Das war früher nicht so. Bei den Bayern gab es da die Alten und die Jungen. An Erstere kam man nicht heran, egal wie gut man war. Wenn ich so darüber nachdenke, hätte es mir - vom Anspruch an das Große und Ganze her - heute wohl sogar besser gefallen. (lacht)

SPOX: Wenn man sich das alles so anhört, stellt sich einem die Frage: Interessiert Sie Fußball heute überhaupt noch?

Dekeyser: Weniger. Man muss ja auch beim Zuschauen einen gewissen Rhythmus haben, das ist bei meinen ganzen Reisen nicht möglich. Was mir in meiner Zeit in Amerika aufgefallen ist: Man muss den Menschen im Stadion viel mehr bieten. Nehmen Sie doch nur einmal den Superbowl. Da ist der Sport fast schon sekundär bei dem ganzen Trubel drum herum. Zwanzig Events in einem Event - aber der Football ist das Medium dafür. Wenn ich in Europa in einem Stadion sitze, denke ich mir: "Ist ganz okay, aber ich will mehr geboten bekommen." Mehr Rahmenprogramm, keine Unentschieden, solche Dinge.

SPOX: Vermissen Sie dennoch was aus Ihrer Zeit im Fußball?

Dekeyser: Klar! Der sportliche Ehrgeiz, rauszugehen ins Stadion und alle pfeifen dich aus, das ist wahnsinnig spannend. Der Rhythmus des Wettkampfes, der fehlt mir schon irgendwo.

SPOX: Würden Sie dennoch sagen, dass die Verletzung, die Sie zum frühzeitigen Aufhören gebracht hat, im Nachhinein betrachtet sogar "gut" war, weil Sie dadurch zu Ihrem Glück gezwungen wurden?

Dekeyser: Alles in meinem Leben war so gesehen "gut" und hat mich weitergebracht, bis auf den Tod meiner Frau, den habe ich nie verstanden. Aber ich habe alles immer umgewandelt in Energie. Man darf sich kurz bemitleiden, aber im Endeffekt haben mir solche Sachen immer Kraft und eine Jetzt-erst-recht-Mentalität gegeben. Ich habe mich mit dem Gedanken, dass dies und jenes keinen Sinn machen könnte, nie lange aufgehalten. Ich habe noch nie mit Dingen gehadert, auch heute nicht. Das kommt mitunter auch vom Fußball. Vor allem als Torwart: Egal, ob man den Ball durch die Beine bekommt und es 1:0 für den Gegner steht - man muss immer mit dem Gedanken weitermachen, das Spiel noch gewinnen zu können. Diese Disziplin, seine Ängste beiseite zu schieben und nach vorne zu schauen, die habe ich auch aus dem Sport.

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