Welttorhüter? Torhüter von Welt!

Von Johannes Mittermeier
Servus, Edwin! Oliver Kahn und van der Sar bei einem Länderspiel im August 2005
© getty

Früher beeindruckten sie mit ihren Paraden, Hechtsprüngen und Reflexen. Mit Draufgängertum und einer frivolen Ader. Heute sind die Torwart-Legenden der 90er Jahre in anderen Bereichen unterwegs. Eine Geschichte von Restaurantbesitzern, Rennfahrern - und der neuen Leichtigkeit des Titanen.

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Ganz geheuer ist ihm die Sache ja nicht, so viel steht fest. Sein altes Trikot soll er unterschreiben, als Widmung sozusagen, und dann ist es ausgerechnet das Shirt dieses verhängnisvollen 30. Juni 2002. Aber Rivaldo bittet höflich darum, also kneift Oliver Kahn die Lippen zusammen und setzt seine Signatur auf das blaue Torwarttrikot von Yokohama. Jetzt ist Rivaldo glücklich. Und Kahn? Vielleicht.

Die Pointe an der Story ist, dass es natürlich ein harmloser Schuss von Rivaldo war, den sich der beste Spieler der WM 2002 selbst aus den Fangarmen löffelte. Brasilien wurde Weltmeister, Deutschland nicht. Rivaldo ist noch immer der Schlaks von damals, inzwischen 42 Jahre jung, sein Gesicht wirkt dürr, fast eingefallen. Daneben steht Kahn, drei Jahre älter, Fußball-Pensionär seit 2008. Rivaldo hat den Dienst erst in diesem Frühjahr quittiert.

Seite an Seite, wie in später Brüderlichkeit vereint, thronen sie auf dem Podest des "ZDF"-Studios an der Copacabana, in Erwartung des WM-Halbfinals zwischen Brasilien und Deutschland. Wenige Tage nach seinem Abschiedsspiel im September 2008 war Kahn zum TV-Experten geworden, sechs Jahre macht er den Job mittlerweile.

"Beim Fernsehen ist es viel entspannter"

Seitdem hat sich alles verändert auf der Welt, aber Kahn hat sich regelrecht gewandelt. Früher war er der Über-Ehrgeizling im Torgehäuse, ein verbissener, zuweilen manischer Einzelkämpfer, hart zu anderen, sehr hart zu sich. Heute ist Kahn Unternehmer, Autor und Redner, er leitet eine Stiftung und hat BWL studiert. Erfolgreich, logisch, der Wettkampftyp. Die Aufgabe im Fernsehen ergänzt das Portfolio.

In dieser Rolle hat er einen Prozess durchlaufen müssen. Anfangs trat nicht Oliver Kahn auf, sondern der Titan, und manchmal schien es, als würde er jeden Moment den Moderator mit Heiko Herrlichs Hals verwechseln. Und falls nicht den Moderator, dann das Mikrophon.

Mit zunehmender Bildschirmpräsenz ist Kahn locker geworden, verblüffend relaxed, manchmal versucht er sich gar an einem Witz. Den "Druck", der ihn zu Spielerzeiten elendig peinigte, "den empfinde ich nicht mehr. Darüber bin ich froh, weil dieses ständige Adrenalin ungesund ist. Früher war ich vor jedem Match im Tunnel. Beim Fernsehen ist es viel entspannter, da versuche ich über Fußball zu reden und, wenn möglich, dem Zuschauer einen Mehrwert zu liefern", erklärt er dem "Tagesspiegel".

Auf dem Rasen in Madrid...

Seine Ägide als Keeper, die ihn mit zig persönlichen und kollektiven Auszeichnungen überhäufte, vermisse er nicht, sagt Kahn. "Wirklich nicht. Ich vermisse nur in manchen Situationen das Zusammensein mit der Mannschaft. Deshalb ist dieser TV-Job die Chance für mich, weiterhin nah am Fußballgeschehen zu sein. Wenn ich in Madrid den Rasen betrete, kommen die alten Bilder nochmal hoch."

Als Profi hat Kahn alles gewonnen, nur nicht die Zuneigung des Volkes. Es ist schon erstaunlich, was etwas Abstand zum Fußballkosmos auslösen kann. Sogar Fans, die dem FC Bayern und seiner langjährigen Symbolfigur negativ gegenübertraten, finden Kahn plötzlich "irgendwie sympathisch." Ein bisschen zumindest.

Mehmet Scholl mochten sie schon früher, trotz seiner Münchner Verbundenheit. Noch so ein Mysterium. Der Ex-Dribbler ist Kahns Pendant bei der "ARD", ein Humorbolzen mit Charme. Kahn und Scholl personifizieren eine Generation, die sich vom Fußballfeld abgeseilt hat, ohne den Kontakt zur Branche zu verlieren. Bei anderen Stars, die zur Jahrtausendwende in der Bundesliga glänzten, fällt der Kontrast größer aus: Johan Micoud, der geniale Bremer Spielgestalter, betreibt ein Weingut nahe Bordeaux. Giovane Elber ist Rinderfarmer in Brasilien. Während der WM lieferte er Analysen für's deutsche Fernsehen - so ganz können sie vom Fußball dann doch nicht lassen.

Zanetti, Giggs, Puyol: Dem Klub verbunden

Genau wie Javier Zanetti (41), dessen Karriereende unmittelbar in die Funktionärsebene bei Inter Mailand mündet. Genau wie Carles Puyol (36) in Barcelona und Ryan Giggs (40) bei Manchester United. Einige Legenden der letzten Dekade(n) haben sich unlängst vom Profidasein verabschiedet, der Argentinier Juan Sebastian Veron (39) und der Brasilianer Juninho (39) passen in diese Reihe. Dagegen zögern alte Helden vom Schlage Alessandro del Piero (39), Gianluigi Buffon (36), Andrea Pirlo (35), Thierry Henry (37) oder Raul (37) ihre Karriere nach der Karriere noch hinaus.

Rauls ehemalige Madrider Komparsen sind da einen Schritt weiter. David Beckham bastelt in Miami gerade an seinem eigenen Klub, Luis Figo tritt als Botschafter - für den Kampf gegen Tuberkulose - und alle Monate wieder als Losfee der UEFA in Erscheinung.

Zudem hat der Weltfußballer des Jahres 2001 eine Stiftung ins Leben gerufen, die Kinder aus der Dritten Welt unterstützt. Mit derartigen Initiativen ist er nicht allein, siehe Kahn, siehe auch Vitor Baia. Der Portugiese ist einer jener Torhüter, die in den 90er und frühen 2000er Jahren zu Ikonen avancierten - und sich heute anderen Tätigkeitsfeldern zuwenden. Die Palette reicht vom Restaurantbesitzer zum Rennfahrer.

Seite 1: Oliver Kahn und die Rücktrittswelle

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Seite 5: Edwin van der Sar und David Seaman