Fühlen Sie sich von den englischen Fans wertgeschätzt?
Arnautovic: Zu Beginn war das nicht der Fall. Schlechte Resultate unserer Mannschaft färbten sich auf mich ab, weil ich damals der teuerste Neuzugang war. Danach schaffte ich die Wende.
Wie würden Sie die Anhänger von West Ham charakterisieren?
Arnautovic: Für diese Fans musst du alles geben. Du musst sterben auf dem Platz. Das lieben sie. Sie sind sehr emotional und brauchen Spieler, die Emotionen auf dem Feld zeigen und sie mitreißen. Ich denke, ich bin so einer. Ich versuche, sie mitzureißen. Wir haben viele richtige Vollblut-Fans, wir müssen es aber schaffen, mit unseren Leistungen das Stadion zu füllen. Bei Chelsea, Arsenal oder Tottenham gibt es viele Touristen auf der Tribüne
Ist das einem Fußballer überhaupt wichtig, ob lokale Anhänger ins Stadion kommen?
Arnautovic: Ich sage es immer wieder: Fans sind das Wichtigste im Fußball. Sie zahlen viel Geld, damit sie ins Stadion kommen. Es ist relativ egal, die Hauptsache ist, dass sie hinter der Mannschaft stehen. Die Atmosphäre gibt den Fußballern Kraft, Stärke und Energie, noch einmal zusätzliche zehn Prozent herauszukitzeln.
Wie ist Ihre Stimmung nach den Transfergerüchten im Winter?
Arnautovic: Gut! Da gab es viel unnötige Aufregung wegen eines Wechsels, der dann nicht stattfand. Es gab ja nicht nur das China-Gerücht. Es hieß, ich könnte auch bei Manchester United landen. Da kamen schon die ersten Stimmen auf, die sagten: 'Du musst der Mannschaft treu sein. Du musst dies und das tun.' Ich bin zu West Ham gekommen, weil der Klub ein Projekt verkörpert und weiter nach oben will. Der Klub hat viel Geld investiert, das wird sich im nächsten Jahr fortsetzen. Deshalb habe ich auch meinen Vertrag verlängert. Ich merke aber, dass die Fans noch immer nicht ganz glücklich sind.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Arnautovic: Wenn es nicht so gut läuft, dann heißt es schnell: 'Der Arnautovic will nicht mehr für uns spielen.' Es ging alles ganz schnell: Ich verwandelte mich vom Fan-Liebling zu einem Spieler, der von einzelnen Fans gehasst wird. Ich akzeptiere das. Als Außenstehender glaubt man vielleicht schnell, dass das Fußballleben so einfach ist. Aber Außenstehende bedenken den Druck nicht. Wahrscheinlich wollen sie dich in eine schlechte Stimmung bringen. Im ersten Schritt verarbeitet man das gut, aber wenn man zur Ruhe kommt, alleine ist und darüber nachdenkt, dann verarbeitet man das alles erst richtig. Man muss mental stark sein.
Welche Rolle spielte Ihre Familie bei der Entscheidung?
Arnautovic: Ich habe mich stundenlang mit ihr beraten. Es war alleine unsere Entscheidung, zu bleiben. Dann liest man natürlich, dass Vereine die Ablösesumme nicht zahlen wollten. Das ist alles Schwachsinn. Fakt ist, dass ich den Trainer und den Präsidenten angerufen und ihnen meine Entscheidung mitgeteilt habe. Jeder schaut auf Social Media und glaubt die Dinge, die dort kursieren.
Arnautovic über Drohungen von West-Ham-Fans: "Das ist Social Media"
Es soll einzelne Teamkollegen gegeben haben, die Ihnen die Transfergespräche übelnahmen. Stimmt das?
Arnautovic: Das ist völliger Unsinn. Ich hatte mit keinem Spieler Stress. Sie wissen ja auch, wie dieses Fußballbusiness funktioniert. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte mich geweigert, zu spielen. Das ist ist nicht wahr. Es war die Entscheidung des Trainers, mich nicht in den Kader aufzunehmen, weil ich im Kopf nicht klar war. Aber ich war es, der die ganzen negativen Nachrichten bekam.
Welche Nachrichten?
Arnautovic: Einzelne Fans forderten meinen Rauswurf, oder die Strafversetzung in die U23. Es ging auch in Richtung Drohungen: Sie wünschten mir einen Beinbruch. Okay, das ist Social Media - ich verstehe die Emotionen. Sie sind sauer, weil sie mich lieben.
Wie meinen Sie das?
Arnautovic: Wenn ich bei West Ham ein Ergänzungsspieler wäre und nach China wechseln wollte, würde keiner etwas dagegen sagen. Dadurch, dass ich als Führungsspieler über das Angebot aus China nachdachte, wurde ich plötzlich zu einem schlechten Menschen. Einen Tag bist du top, am nächsten aber schon ein Flop - für jeden. Daher suchte ich den Kontakt zu einigen Fans und rief sie an.
Moment. Sie machten was?
Arnautovic: Ich kann keine 60.000 Menschen anrufen, dann wäre ich in zwei Jahren noch nicht fertig. Aber ich suchte mir eine Handvoll Fans raus, die mir schwachsinnige Nachrichten auf Instagram schickten, und fragte sie nach ihrer Nummer. Ich glaube, das hat noch kein Spieler der Welt getan. Sie konnten es zunächst nicht glauben.
Worüber haben Sie mit den Fans gesprochen?
Arnautovic: Ich sagte ihnen meine Meinung, sinngemäß: 'Hör zu, ich bin ein Mensch - genauso wie du. Und ich respektiere dich, genauso wie ich will, dass du mich respektierst. Und jetzt kannst du mir all die schlimmen Dinge sagen, die du mir geschrieben hast.' Und ich stellte ihnen eine zentrale Frage: 'Was machst du, wenn du in deinem Job ein besseres Angebot bekommst? Lehnst du sofort ab?'
Wie haben die Fans reagiert?
Arnautovic: Sie haben die Frage verneint. Sie zeigten Verständnis für die Situation. Es ist nicht in die Welt hinausgegangen, dass ich die Leute angerufen habe. Die Fußballwelt ist verrückt, da muss man die Balance halten.
Gelingt Ihnen das?
Arnautovic: Sehr gut sogar. Auch in diesem Jahr werde ich wieder auftrumpfen. Viele halten mich mit meinen 30 Jahren für zu alt. 30 ist aber nur die Zahl, die auf dem Papier steht. Man findet sie nirgendwo in meinem Körper. Dass die Leute von einer Formkrise sprechen, ist nicht angebracht. Egal, welche Verteidiger mir gegenüberstehen: Diese sollen sich besser vor mir fürchten. Ich werde mir immer treu bleiben. Bei mir gibt es kein Tief.
Marko Arnautovic: Franco Foda? "Hut ab!"
ÖFB-Teamchef Franco Foda besuchte Sie vor wenigen Wochen in London. Was waren die Hintergründe?
Arnautovic: Er reist zu vielen Teamspielern. Ich bin eine Führungsperson im ÖFB-Team. Er wollte sehen, ob alles gut ist. Ich bin der alte Marko, um mich muss man sich keine Sorgen machen. Wir hatten einen netten Abend zusammen, an dem wir uns nicht nur übers Fußballerische, sondern auch über private Dinge unterhielten.
Was ist der größte Unterschied zwischen Marcel Koller und Foda?
Arnautovic: Wir haben eine Monster-EM-Qualifikation hingelegt unter Koller. Bei der WM-Qualifikation passte dann gar nichts mehr. Viele Leute finden, der Trainer sei schuld. Das ist falsch, denn die Schuld trifft die Spieler auf dem Platz. Die müssen es richten. Für mich ist der Trainer nie schuld.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Foda? Er gab Ihnen im vergangenen Herbst die Kapitänsbinde.
Arnautovic: Es war eine große Geste des Trainers. Mit der Binde sagte er mir, es sei ihm egal, was von außen kommt. Das habe ich sehr an ihm geschätzt. Hut ab, wie er mit den Spielern umgeht. Mir gefällt, wie er sein Ding mit seinem Team durchzieht. Das ist genau meine Mentalität.
Sie sorgten mit einem Torjubel für Aufsehen, bei dem Sie die Kapitänsbinde in Richtung der Ehrentribüne hielten. Bereuen Sie diese Aktion?
Arnautovic: Ich kann es nicht akzeptieren, dass Leute, die mich persönlich nicht kennen, Unwahrheiten über mich verbreiten, mir anschließend aber herzlich ins Gesicht lachen. Mit der Geste habe ich ihnen die Kapitänsschleife angeboten. Ich zeigte ihnen aber gleichzeitig, dass ich als Kapitän die Mannschaft zum Sieg geschossen habe. Ich habe es allen bewiesen.
Was genau war Gegenstand der Kritik?
Arnautovic: Mir wird gerne vorgeworfen, dass ich die Hymne nicht mitsinge. Ich singe die Hymne innerlich mit. Muss ich die Hymne vor jedem Spiel hinausschreien? Ich bin kein Sänger, ich bin Fußballer. Präsident Leo Windtner kommt regelmäßig ins Spielerhotel und hält dort auch Ansprachen. Wenn er etwas sagen will, kann er gerne jederzeit auf mich zukommen. Von den anderen rund zehn Funktionären kenne ich keinen einzigen. Deshalb sollten sie auch meinen Namen nicht in den Mund nehmen und irgendwelche Unwahrheiten raushauen.
Der aktuelle ÖFB-Teamkader besitzt eine enorme individuelle Qualität. Sind Sie trotz des schwachen Auftakts in der EM-Quali reif für die EURO 2020?
Arnautovic: Vor zehn Jahren hätte nie jemand gedacht, dass wir uns für ein Großereignis qualifizieren würden. Jetzt verlangen die Leute das, weil sie sehen, dass der Großteil in den Top-Ligen spielt. Sie wollen diese Leistungen auch in der Nationalmannschaft sehen. Wir haben eine junge, hungrige Mannschaft. Die jungen Spieler müssen wissen: Sie spielen für das Land Österreich. Das ist dementsprechend ein Druck, aber dafür sind Führungsspieler wie Julian Baumgartlinger, Basti Prödl und ich da, um ihnen klarzumachen, worum es geht. Uns bleibt nicht viel Zeit, um uns aufeinander einzustimmen.