WIE EIN GESCHEITERTER STABSCHEF DIE MÜNCHNER MODERNE EINLEITETE
Sportlich verkam Jürgen Klinsmanns Amtszeit als Trainer des FC Bayern München zum Fiasko, aber abseits des Platzes errichtete er das Fundament für die Zukunft. Ein Rückblick auf zehn wilde Monate.
Autor: Nino Duit | Design: Yee Shan Lee
Sportlich verkam Jürgen Klinsmanns Amtszeit als Trainer des FC Bayern München zum Fiasko, aber abseits des Platzes errichtete er das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft. Ein Rückblick auf zehn wilde Monate.
Autor: Nino Duit | Design: Yee Shan Lee
Zerstören wir als Erstes einen Mythos: Die Buddha-Statuen auf der Dachterrasse des Klubgeländes an der Säbener Straße waren gar nicht Jürgen Klinsmanns Idee. Verantwortlich dafür zeigte sich ein anderer Jürgen: Innenarchitekt Jürgen Meißner. Trotzdem avancierten diese golden und weiß schimmernden Figuren zum Sinnbild Klinsmanns Zeit beim FC Bayern München. Letztlich zum Sinnbild seines Scheiterns.
Nach fast genau zehn Monaten als Cheftrainer wurde Klinsmann Ende April 2009 schon wieder entlassen. Seine Mannschaft hatte sich in der Champions League gegen den FC Barcelona blamiert, war im DFB-Pokal an Bayer 04 Leverkusen gescheitert und drohte in der Bundesliga die neuerliche Königsklassen-Qualifikation zu verpassen.
"Ich möchte ausdrücklich betonen, dass Jürgen unser absoluter Wunschkandidat war", hatte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge bei Klinsmanns Vorstellungs-Pressekonferenz noch betont. Später nannte er dessen Einstellung seinen "größten Fehler". Vor allem vor dem Hintergrund, dass damals auch ein gewisser Jürgen Klopp verfügbar war - angeblich die präferierte Lösung von Manager Uli Hoeneß.
Sportlich verkam Klinsmanns Amtszeit tatsächlich zum Fiasko. Aber es war nicht alles schlecht, was er tat. Abseits des Platzes leitete Klinsmann den Übergang des FC Bayern in die Moderne ein, den sein Nach-Nachfolger Louis van Gaal anschließend auch sportlich vollbrachte.
Bei Klinsmanns Ankunft 2008 befand sich der FC Bayern inmitten eines für Rekordmeister-Verhältnisse eher dunklen Zeitalters. Der letzte Champions-League-Titel lag sieben Jahre zurück, der nächste sollte erst fünf Jahre später gelingen. Unter Felix Magath und Ottmar Hitzfeld dominierten die Münchner mit Sicherheits-Fußball zwar auf nationaler Ebene, verloren gleichzeitig aber den Anschluss an die internationale Spitze. Es war die Zeit von Christian Lell und Andreas Ottl.
Man sehnte sich in München nach Aufbruchstimmung, nach Spektakel, nach Modernisierung. Kurz: Nach allem, wofür der damals 43-jährige Klinsmann stand. Er sollte es einfach noch einmal machen, noch einmal so wie bei der deutschen Nationalmannschaft. Innerhalb von nur zwei Jahren hatte er das DFB-Team bekanntlich aus der internationalen Versenkung zum Sommermärchen bei der Heim-Weltmeisterschaft 2006 geführt. Nun war auch beim FC Bayern Zeit, dass sich was dreht.
Nach zweijähriger Schaffenspause nahm Klinsmann im Sommer 2008 seine Arbeit in München auf. Ohne Trainer-Erfahrung im Klubfußball, dafür aber mit Dauergrinsen. Angeboren und in seiner kalifornischen Wahlheimat verfeinert. Der Wechsel nach München war für Klinsmann eine Rückkehr: Mitte der 1990er-Jahre hatte er als Stürmer des FC Bayern Titel geholt und Tonnen zertreten. Als Trainer wollte er nach eigener Auskunft "jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen".
Bevor sich Klinsmann aber seinen Spielern widmete, widmete er sich dem Klubgelände an der Säbener Straße. Dieses kam 2008 daher wie der FC Bayern ganz generell: Ein bisschen verstaubt, ein bisschen veraltet. Innerhalb der sechswöchigen Sommerpause ließ es der neue Trainer in ein sogenanntes Leistungszentrum verwandeln. "Wir sind nach der Saison in den Urlaub geflogen und als wir zurückkamen, war im Profibereich an der Säbener Straße alles umgebaut", erinnert sich der damalige Verteidiger Martin Demichelis bei SPOX und GOAL.
Die neue Anlage war laut Klinsmann "einzigartig auf der Welt. Das hat kein Real Madrid, kein Barcelona. Da sind wir echt stolz drauf." Hoeneß zeigte sich "total überwältigt, was da entstanden ist," und nannte den neuen Trainer "Spiritus Rector dieser Geschichte". Großen Anteil hatte aber auch Innenarchitekt Meißner, der schon das Quartier der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2006 gestaltet hatte.
Auf der Dachterrasse bewachten nun Buddhas neu konzipierte Räumlichkeiten, die sich Player Lounges oder Family Rooms nannten. Alles mit modernster Technik und englischen Namen ausgestattet. Es ging an der Säbener Straße längst nicht mehr nur um Fußball, es ging um das Leben. Ein Auditorium mit fünf Kabinen für Simultandolmetscher, eine Bibliothek, Sprachkurse. Englisch lernen, um Oscar Wilde zu verstehen. Das Klubgelände sollte mehr als nur ein Arbeitsplatz sein. Stattdessen ein Ort, an dem die Spieler auch ihre Freizeit gerne verbringen.
"Es gab Aufenthaltsräume mit Tischtennis- und Billardtischen, einer Playstation und einem DJ-Pult. Klinsmann wollte, dass die Spieler am Arbeitsplatz ihren Hobbies nachgehen können", erinnert sich Daniel Sikorski im Gespräch mit SPOX und GOAL. Der österreichische Stürmer aus der eigenen Jugend durfte damals bei den Profis reinschnuppern. Klinsmanns Ankunft empfand Sikorski als "Erfrischung" für den ganzen Klub.
"Der Mann hat fast schon geleuchtet, so viel Energie hat er ausgestrahlt. An diese Ausstrahlung kann ich mich genau erinnern."
Ausstrahlung alleine bewirkt aber keine strahlenden Ergebnisse, moderne Räumlichkeiten machen noch keinen modernen Fußball. In der 1. Runde des DFB-Pokals entging der FC Bayern Mitte August gegen den damaligen Drittligisten Rot-Weiß Erfurt nur hauchdünn einer Blamage, setzte sich dank eines späten Treffers des jungen Toni Kroos mit 4:3 durch.
"Wir haben im Vorfeld des Spiels natürlich beobachtet, was da in München los ist", erinnert sich Erfurts damaliger Trainer Karsten Baumann bei SPOX und GOAL. "Dabei bekam ich das Gefühl, dass es dort nicht hundertprozentig rundläuft. Wir haben uns ein Vorbereitungsspiel gegen Inter angeschaut, das nicht so überzeugend war." Bei der zweiten Auflage des sogenannten Franz-Beckenbauer-Cups verlor der FC Bayern mit 0:1 gegen Inter Mailand. Es war ein weiterer Rückschlag einer generell verkorksten Vorbereitung. Die eigenen Fans pfiffen und Demichelis reihte sich in eine bereits besorgniserregende Verletztentliste ein, unter anderem fehlte zum Saisonstart auch Franck Ribéry.
Baumann beobachtete aber nicht nur die Spiele, selbstverständlich beobachtete er auch die Buddhas: "Ich finde es gut, wenn ein Trainer bei seinem neuen Klub etwas verändert, eine Duftmarke setzt, um sich von seinen Vorgängern abzuheben. Die Frage ist aber, worauf man dabei den Fokus legt. Als Außenstehender habe ich den Eindruck gewonnen, dass es bei Jürgen weniger um Fußball an sich, sondern eher um die Entscheidungskompetenz im Verein ging. Für mein Empfinden war das irgendwie von Vornherein zum Scheitern verurteilt."
Im Vergleich zu Klinsmanns erfolgreicher DFB-Zeit gab es in München einen großen Unterschied: Klinsi fehlte sein Jogi. Der FC Bayern hätte Klinsmann "einen deutschen Top-Trainer an die Seite stellen müssen", bekundete Rummenigge später.
Während ihm beim Verband der spätere Langzeit-Bundestrainer Joachim Löw als högschdkompetenter Assistent die alltägliche taktische Arbeit abnahm, vertraute Klinsmann in München auf international völlig unbekannte Co-Trainer aus Nordamerika. Oder hatte irgendjemand davor oder danach etwas von Martin Vasquez (damals 44) und Nick Theslof (30) gehört? Theslof hatte Klinsmann übrigens beim US-amerikanischen Drittligisten Orange County Blue Star kennengelernt, als er unter dem Pseudonym Jay Goppingen seine Karriere ausklingen ließ.
Wie zuvor bei der deutschen Nationalmannschaft suchte Klinsmann auch in München von Beginn an die Nähe zu seinen Spielern, von denen er viele ohnehin bereits vom DFB kannte: Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose, Lukas Podolski und Neuzugang Tim Borowski von Werder Bremen. Genau wie Massimo Oddo und Hans Jörg Butt kam auch Borowski ablösefrei. Die Saison 2008/09 war die einzige in diesem Jahrtausend, in der die Münchner auf dem Transfermarkt keinen Cent für Ablösen ausgegeben haben.
Der Star war jetzt sowieso der Trainer: Laut Sikorski sei Klinsmann bei den Trainingseinheiten viel involvierter gewesen als seine Vorgänger Magath oder Hitzfeld, gerne kickte er auch ein bisschen selbst mit: "Wenn ihm etwas nicht gepasst hat, ist er auf den Spieler zugelaufen und hat ihm das erklärt." Der Trainer und sein ganzes Betreuerteam "waren immer da und ansprechbar", erinnert sich Demichelis: "Für mich als noch recht junger Spieler war das schön. Ihm sind zwischenmenschliche Beziehungen sehr wichtig."
In vielerlei Hinsicht fehlte Klinsmann jedoch eine klare Linie. Neben Oscar Wilde wäre in der Bibliothek vielleicht das eine oder andere Taktik-Lehrbuch sinnvoll gewesen. Zu Saisonbeginn experimentierte der neue Trainer mit verschiedenen Formationen. Mal Viererkette, mal Fünferkette. Indifferent war auch sein Umgang mit Führungsspieler Mark van Bommel. Klinsmann machte seinen "Aggressive Leader" - ihm musste er immerhin keinen englischen Spitznamen mehr geben - zwar zum Kapitän, setzte ihn dann aber wiederholt auf die Bank.
"Wir hatten keine gute Absprache. Die Mannschaft brauchte einen richtigen Trainer, der vorgibt, was passieren muss. Das war mit Klinsmann nicht so", klagte van Bommel später bei der Bild. "Wir hatten keine Prinzipien, wir hatten keine Idee." Führungsspieler wie Zé Roberto oder Lahm äußerten sich noch während dessen Amtszeit kritisch über die Arbeit ihres Trainers.
Viele Fans betrachteten Klinsmann von Beginn an skeptisch: Sie hatten nicht vergessen, dass er vor der WM 2006 die Klub-Ikonen Sepp Maier als Torwarttrainer und Oliver Kahn als Stammkeeper abgesetzt hatte. Nach einem enttäuschenden Saisonstart samt 2:5-Pleite gegen Werder Bremen während des Oktoberfests hallten schon "Klinsmann raus"-Rufe durch die Allianz Arena, auf der Jahreshauptversammlung gab es Pfiffe für den Trainer.
Erst gegen Ende der Hinrunde stabilisierte sich der FC Bayern, die Herbstmeisterschaft ging dennoch an den furiosen Aufsteiger TSG Hoffenheim. Ungeschlagen gelang immerhin der Einzug ins Champions-League-Achtelfinale.
Klinsmann hatte nicht nur eine Fußballmannschaft zu betreuen, sondern auch einen riesigen Trainerstab. Abgesehen von den beiden unerfahrenen Assistenten umfasste er acht weitere Mitarbeiter, mehr waren es nie zuvor in der Klubgeschichte.
Mit Marcelo Martins und Darcy Norman holte Klinsmann Fitness-Experten aus Nordamerika, wo diese Fachgebiete damals einen deutlich höheren Stellenwert genossen als in Deutschland. "Im Vergleich zu Hitzfeld gab es unter Klinsmann viel mehr Betreuer um das Team herum, vor allem im Fitnessbereich", erinnert sich Sikorski. "Da haben wir auf einmal mit viel moderneren Methoden gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, auf dem neuesten Stand zu sein."
Philipp Laux kümmerte sich als Mentaltrainer um die Psyche der Spieler, Christian Nerlinger gab als Teammanager den Münchner Oliver Bierhoff. "Klinsmann war weniger Trainer, sondern eher Stabschef eines riesigen Trainerteams", sagt Michael Henke zu SPOX und GOAL. Hitzfelds einstiger Co-Trainer blieb dem Klub unter Klinsmann als Chefanalytiker erhalten, ein weiterer neugeschaffener Posten. "Bis dahin gab es beim FC Bayern nur ein paar Scouts, die sich Spiele und Spieler angeschaut haben. Insofern war es eine spannende Aufgabe, eine koordiniert arbeitende Analyseabteilung aufzubauen."
Wie bei so vielen Klinsmann-Neuerungen galt auch hier: die Idee klug, die Umsetzung nicht durchdacht. "Ich habe die Themen auf Deutsch ausgearbeitet, sie dann mit meinem mäßigen Englisch Klinsmann und seinem internationalen Trainerteam erzählt, die es dann an die Mannschaft weitergegeben haben. Bei so einem Prozess gibt es automatisch inhaltliche Verluste", erinnert sich Henke. Spötter könnten sagen: Gut, dass direkt am Klubgelände Sprachkurse angeboten wurden. "Insgesamt sieht man an diesen Prozessen aber, wie komplex die Strukturen waren, mit denen Klinsmann schon damals arbeitete."
Trotz aller noch so komplexer Strukturen misslang der Start in die Rückrunde. Und die Zweifel der Spieler wurden immer größer. Nach drei Niederlagen aus vier Partien hielten sie vor dem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Sporting Lissabon angeblich eine Mannschaftssitzung ohne Klinsmann ab. Dabei sei entschieden worden, abwartender als zuvor zu agieren. Abwartender, als es Spektakel-Liebhaber Klinsmann wünschte. Das Resultat: 5:0 gegen Sporting.
"So defensiv haben wir diese Saison noch nie agiert, aber das musste sein. Wir mussten zurück zur Basis", erklärt van Bommel anschließend. Medial war von einer Entmachtung des Trainers die Rede, was der FC Bayern mit einer wütenden Dementi-Pressemitteilung konterte. Genau wie die Spieler verloren insgeheim aber auch die Bosse zunehmend den Glauben an das Projekt.
In der Winterpause hatten sie Klinsmanns großen Transferwunsch nur per Leihe erfüllt, der US-amerikanische Stürmer Landon Donovan von Los Angeles Galaxy sollte sich für eine langfristige Beschäftigung erst einmal in München empfehlen. Obwohl er in seinen 153 Spielminuten torlos blieb, drängte Klinsmann auf eine feste Verpflichtung. Vergeblich. Rummenigge und Hoeneß wollten die aufgerufene Ablösesumme in Höhe von acht Millionen Euro nicht bezahlen. Es blieb dabei: Kein Cent für neue Spieler unter Klinsmann.
Klinsmann hatte nicht nur eine Fußballmannschaft zu betreuen, sondern auch einen riesigen Trainerstab. Abgesehen von den beiden unerfahrenen Assistenten umfasste er acht weitere Mitarbeiter, mehr waren es zuvor nie in der Klubgeschichte.
Mit Marcelo Martins und Darcy Norman holte Klinsmann Fitness-Experten aus Nordamerika, wo derlei Fachgebiete damals einen deutlich höheren Stellenwert genossen als in Deutschland. "Im Vergleich zu Hitzfeld gab es unter Klinsmann viel mehr Betreuer um das Team herum, vor allem im Fitnessbereich", erinnert sich Sikorski. "Da haben wir auf einmal mit viel moderneren Methoden gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, auf dem neuesten Stand zu sein."
Philipp Laux kümmerte sich als Mentaltrainer um die Psyche der Spieler, Christian Nerlinger gab als Teammanager den Münchner Oliver Bierhoff. "Klinsmann war weniger Trainer, sondern eher Stabschef eines riesigen Trainerteams", sagt Michael Henke zu SPOX und GOAL. Hitzfelds einstiger Co-Trainer blieb dem Klub unter Klinsmann als Chefanalytiker erhalten, ein weiterer neugeschaffener Posten. "Bis dahin gab es beim FC Bayern nur ein paar Scouts, die sich Spiele und Spieler angeschaut haben. Insofern war es eine spannende Aufgabe, eine koordiniert arbeitende Analyseabteilung aufzubauen."
Wie bei so vielen Klinsmann-Neuerungen galt auch hier: die Idee klug, die Umsetzung nicht durchdacht. "Ich habe die Themen auf Deutsch ausgearbeitet, sie dann mit meinem mäßigen Englisch Klinsmann und seinem internationalen Trainerteam erzählt, die es dann an die Mannschaft weitergegeben haben. Bei so einem Prozess gibt es automatisch inhaltliche Verluste", erinnert sich Henke. Spötter könnten sagen: Gut, dass direkt am Klubgelände Sprachkurse angeboten wurden. "Insgesamt sieht man an diesen Prozessen aber, wie komplex die Strukturen waren, mit denen Klinsmann schon damals arbeitete."
Trotz aller noch so komplexer Strukturen misslang der Start in die Rückrunde. Und die Zweifel der Spieler wurden immer größer. Nach drei Niederlagen aus vier Partien hielten sie vor dem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Sporting Lissabon angeblich eine Mannschaftssitzung ohne Klinsmann ab. Dabei sei entschieden worden, abwartender als zuvor zu agieren. Abwartender, als es Spektakel-Liebhaber Klinsmann wünschte. Das Resultat: 5:0 gegen Sporting.
"So defensiv haben wir diese Saison noch nie agiert, aber das musste sein. Wir mussten zurück zur Basis", erklärte van Bommel anschließend. Medial war von einer Entmachtung des Trainers die Rede, was der FC Bayern mit einer wütenden Dementi-Pressemitteilung konterte. Genau wie die Spieler verloren insgeheim aber auch die Bosse zunehmend den Glauben an das Projekt.
In der Winterpause hatten sie Klinsmanns großen Transferwunsch nur per Leihe erfüllt, der US-amerikanische Stürmer Landon Donovan von Los Angeles Galaxy sollte sich für eine langfristige Beschäftigung erst einmal in München empfehlen. Obwohl er in seinen 153 Spielminuten torlos blieb, drängte Klinsmann auf eine feste Verpflichtung. Vergeblich. Rummenigge und Hoeneß wollten die aufgerufene Ablösesumme in Höhe von acht Millionen Euro nicht bezahlen. Es blieb dabei: Kein Cent für neue Spieler unter Klinsmann.
Das Schützenfest gegen Sporting war nur ein kleines Aufflackern, trotz neuer Taktik ließ der FC Bayern weiterhin jegliche Konstanz vermissen und verlor reihenweise wichtige Spiele. Im DFB-Pokal scheiterten die Münchner an Leverkusen, in der Champions League ließen sie sich von Barcelona vorführen. 0:4! Was für eine Demütigung! In der Bundesliga ging der FC Bayern mit 1:5 gegen den späteren Meister VfL Wolfsburg unter. Grafites Hackentreffer war schon ikonisch, als der Ball noch an Ottl vorbei Richtung Torlinie rollte. Auf einem Spruchband in der Allianz Arena hieß es: "Wir haben die Schnauze voll vom Grinsi Klinsi".
Nach einer Heimniederlage gegen den FC Schalke 04 am 29. Spieltag wurde Klinsmann am 27. April schließlich entlassen. Zu keinem Zeitpunkt seiner Amtszeit führte der FC Bayern die Tabelle an. Fünf Spieltage vor Saisonende betrug der Rückstand auf Spitzenreiter Wolfsburg drei Punkte, sogar die Champions-League-Qualifikation war in akuter Gefahr. "Um dieses Mindestziel zu erreichen, mussten wir die psychologische Barriere, die man bei der Mannschaft auf dem Platz gesehen hat, zur Seite räumen", erklärte Rummenigge.
Klinsmanns Nachfolger wurde Jupp Heynckes: Er befand sich eigentlich schon im Ruhestand, ließ sich von seinem Freund Hoeneß aber zum Comeback überreden. Nicht zum letzten Mal, wie sich herausstellen sollte. Unter Heynckes rehabilitierte sich die Mannschaft rasant und qualifizierte sich ohne weitere Niederlage für die Champions League. Der damals 64-Jährige fand wieder Gefallen am Trainerjob, arbeitete anschließend zwei Jahre für Leverkusen, ehe er erneut zum FC Bayern zurückkehrte und 2013 das Triple holte.
Mit Klinsmann mussten zwar auch seine beiden Co-Trainer Vasquez und Theslof gehen, sechs andere Mitarbeiter blieben dem Klub aber genau wie die neuen Räumlichkeiten erhalten. In den darauffolgenden Jahren wurden die von Klinsmann geschaffenen Posten nach und nach neu besetzt, die von ihm ausgedachte Infrastruktur wurde immer weiterentwickelt. "Wir haben den Grundstein gelegt für die Zukunft", sagte Klinsmann zum Abschied. Das galt zwar nicht für die Leistungsfähigkeit der Mannschaft, aber für die neuen Rahmenbedingungen.
Gewissermaßen schuf Klinsmann abseits des Platzes das Fundament, auf dem van Gaal eine erfolgreiche Fußballmannschaft baute, die Heynckes und Pep Guardiola später mit etlichen Titeln dekorierten. "Klinsmann war seiner Zeit voraus", sagt Henke. "Er hat den FC Bayern in die Moderne geführt und davon profitiert der Klub bis heute. Vieles, was er angestoßen hat, ist heute nicht mehr wegzudenken." Und auch einer, dem er zum Debüt verhalf: Thomas Müller.
Während Müller zur Münchner Klub-Ikone avancierte und der FC Bayern zum Serienmeister, trainierte Klinsmann die US-amerikanische Nationalmannschaft sowie Hertha BSC. Bei seiner Vorstellungs-Pressekonferenz in Berlin wurde er auch auf die Münchner Buddhas angesprochen. "Ich habe die nicht installiert", sagte Klinsmann und versicherte: "Und ich habe in meinem Koffer auch keine Mitbringsel dabei, die ich hier installieren möchte." In Berlin scheiterte er auch ohne Buddhas und musste nach nur zehn Spielen gehen.