Drei Trainer,
etliche Blamagen
und die große Liebe
Die Geschichte des wohl schlechtesten FC Bayern aller Zeiten
Ein paar Sekunden muss Manfred Bender, den alle nur Manni nennen, überlegen, dann lacht er laut ins Telefon und ruft: "Ach, Sie meinen diese legendäre Saison mit drei Trainern, in der wir nur Zehnter wurden." Exakt darum geht es, es geht um die Saison 1991/92.
In der Bundesliga befand sich der FC Bayern München damals lange in Abstiegsgefahr und in den Pokal-Wettbewerben setzte es Blamagen: Im DFB-Pokal in der zweiten Runde gegen den Zweitligisten FC 08 Homburg, im UEFA-Cup ebenfalls in der zweiten Runde gegen einen dänischen Klub namens Boldklubben 1903.
Ähnlich schlecht lief es für den FC Bayern seit dem Bundesligaaufstieg lediglich in den Spielzeiten 1974/75 und 1977/78 – damals war der Abstand zu den Abstiegsplätzen aber größer und außerdem kam die Mannschaft in den Pokalwettbewerben (zumindest etwas) weiter.
Obwohl die Saison 1991/92 in ihrer Gesamtheit wohl die verheerendste in der Geschichte des FC Bayern war, war sie gleichzeitig auch der Ausgangspunkt für den Aufbruch in eine erfolgreiche Zukunft. Gesichter des damaligen Chaos' wurden später zu Gesichtern des Triumphes: Mittelfeldspieler Stefan Effenberg, Trainer Jupp Heynckes, Co-Trainer Hermann Gerland sowie die Funktionäre Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer.
BUNTE HEMDEN UND EINE FEHLENDE HIERARCHIE
"Wie immer beim FC Bayern hieß es auch vor jener Saison: Ein Titel ist Pflicht, zwei wären besser", erinnert sich der damalige Mittelfeldspieler Bender bei SPOX und Goal. "Ich hatte überhaupt keine bösen Vorahnungen." Mit Jürgen Kohler und Stefan Reuter verließen zwar zwei wichtige Spieler den Klub zu Juventus Turin und mit Klaus Augenthaler beendete der langjährige Kapitän seine Karriere, es kamen aber auch brauchbare Verstärkungen.
Aus der Nachwuchsabteilung stießen die jungen Max Eberl, Markus Babbel und Christian Nerlinger zu den Profis, außerdem verpflichtete der FC Bayern die gestandenen Bundesligaspieler Oliver Kreuzer und Thomas Berthold für die Verteidigung, Bruno Labbadia vom amtierenden Meister 1. FC Kaiserslautern für den Sturm und mit Mazinho und Bernardo die ersten beiden Brasilianer der Klubgeschichte für Flair und Image. Insgesamt gab der FC Bayern in jenem Sommer knapp 15 Millionen Mark für neue Spieler aus – und damit mehr als je zuvor in einer Transferperiode.
Die Erwartungshaltung im Klub war groß, die Stimmung gut und das Gelächter groß, als Bernardo am Tag seiner Ankunft um sein Leben schwamm. Klar, die berühmte Krokodil-Anekdote. Augenthaler, der nach seinem Karriereende direkt ins Trainerteam von Jupp Heynckes gewechselt war, erzählt sie auch Jahre später gerne. "Am Tag von Bernardos Ankunft hatten wir eine Isar-Floßfahrt", sagt er im Gespräch mit SPOX und Goal. "Die Floßfahrt ging in der Früh los, mittags waren wir bei einem guten Restaurant an der Isar essen und dort wurde Bernardo direkt vom Flughafen hingebracht. Anschließend sind wir weitergefahren und dann habe ich ihn ins Wasser geschmissen und 'Crocodile!' gerufen." Todesangst sagen die einen, Teambuilding die anderen.
Zum Trainingslager ging es dann an den Tegernsee südlich von München, wo neben den berüchtigten Waldläufen von Heynckes' Co-Trainer Egon Coordes auch der Spaß nicht zu kurz kam. Zumindest am Gaudi- und Familientag, der glücklicherweise fotografisch bestens dokumentiert ist: Der Himmel bayerisch blau-weiß, die Hosen weit, die Hemden bunt und das Ambiente urig. Auf einer Almwiese neben Holzhütten wurde Frisbee gespielt und Armbrust geschossen, auf Pferden geritten, Bier aus dem Holzfass gezapft und anschließend natürlich auch getrunken. Zur Krönung trat sogar ein Clown mit einem lustig bemalten Gesicht auf.
Zum Saisonstart gab es dann jedoch nichts zu lachen: Auf ein 1:1 bei Werder Bremen folgte ein 1:2 zu Hause gegen Hansa Rostock, das gemeinsam mit Dynamo Dresden die neuen Bundesländer in der nun gesamtdeutschen Bundesliga vertrat. Erstmals riefen vereinzelte Fans im Münchner Olympiastadion: "Heynckes raus!"
Vier Jahre lang hatte Heynckes den FC Bayern zu diesem Zeitpunkt schon trainiert, ihn zu zwei Meistertiteln geführt und auf dem Rathausbalkon sein berühmtes Versprechen abgegeben, den Europapokal der Landesmeister nach München zu holen. In der Vorsaison erreichte der FC Bayern das Halbfinale und musste sich in der Bundesliga Kaiserslautern nur knapp geschlagen geben.
Und nun? "Heynckes raus" nach nur zwei Saisonspielen und der FC Bayern raus aus dem DFB-Pokal und zwar bereits in der zweiten Runde Mitte August. Der ersten, in der er antreten musste. Daheim gegen den damaligen Zweitligisten FC 08 Homburg. Mit seinem zweiten Tor des Nachmittags rettete Mazinho seine Mannschaft zwar spät in die Verlängerung, doch dann verlor sie mit 2:4.
"Nach dem Spiel saßen wir in der Kabine und konnten selbst gar nicht glauben, dass wir Bayern geschlagen haben. Das kam für uns überraschend", erinnert sich der damalige Homburger Rodolfo Cardoso, der später unter anderem für den Hamburger SV in der Bundesliga spielen sollte, im Gespräch mit SPOX und Goal. Überraschend war aber nicht nur die Niederlage an sich, sondern vor allem das Wie: "Glücklich war der Sieg nicht. Er war verdient."
Schon früh in der Saison wurde beim FC Bayern die fehlende Hierarchie offensichtlich. Nach den Abschieden der Führungsspieler Kohler, Reuter und Augenthaler klaffte ein Vakuum, in das der von Beginn an umstrittene Neuzugang von der AS Roma Berthold und vor allem der damals erst 23-jährige Stefan Effenberg mit Vehemenz drängten.
Das Machtstreben Effenbergs resultierte schon gegen Ende der Vorsaison in einem offenen Streit mit Heynckes und Effenbergs großzügigem Angebot an seinen Trainer, die Sache "vor der Tür" zu regeln. Heynckes schlug die Offerte aus, hielt aber trotzdem an ihm fest – was seinem eigenen Standing in der Mannschaft schadete und gleichzeitig den Druck auf Effenberg erhöhte. Druck, dem er damals noch nicht gewachsen war. "Die Führungsrolle kam vielleicht ein bisschen zu früh für ihn", untertreibt Bender, der beim Aus gegen Homburg im Mittelfeld neben Effenberg spielte.
"HURRA" UND
"HEYNCKES RAUS"
Nach dem enttäuschenden Saisonstart stabilisierte sich die Mannschaft zwar etwas, doch dann setzte das Verletzungspech ein. Zunächst riss sich der dänische Stürmer Brian Laudrup, kleiner Bruder des Weltstars Michael und ein Jahr zuvor für die damalige klubinterne Rekordsumme von sechs Millionen Mark von Bayer Uerdingen verpflichtet, das Kreuzband. Kurz darauf verletzte sich auch Stammkeeper Raimond Aumann. Zwei der wenigen Anker einer instabilen Mannschaft. Weil auch Ersatzkeeper Sven Scheuer ausfiel, rückte zwangsläufig Gerald Hillringhaus ins Tor. 29 war er damals und besaß abgesehen von ein paar Zweitligaspielen für die SpVgg Bayreuth keinerlei Profierfahrung.
Unterdessen klingelte in Istanbul das Telefon des Ex-Nationalkeepers Toni Schumacher, der mit 37 Jahren gerade seine Profikarriere bei Fenerbahce beendet hatte. "Mein Freund Raimond Aumann rief mich an und meinte: 'Pass auf, Toni! Ich werde operiert und Sven Scheuer ist verletzt. Kannst du aushelfen? Der dritte Torwart Gerry Hillringhaus soll spielen, aber wir brauchen einen erfahrenen Mann auf der Bank, falls noch etwas passiert'", erinnert sich Schumacher bei SPOX und Goal. "Mein erster Impuls war, 'Hurra' ins Telefon zu schreien. Denn obwohl ich meine Fußballschuhe gerade an den Nagel gehängt hatte, war ich innerlich noch mit Leib und Seele Fußballprofi. Und mir war klar: Sobald Gerry einen Fehler macht, würden die Fans und Medien mich fordern."
Mit seinem Buch "Anpfiff", das eine Generalabrechnung mit allem und jedem geworden war, hatte sich Schumacher 1987 in Deutschland ins sprichwörtliche Abseits befördert. Teamchef Franz Beckenbauer warf ihn aus der Nationalmannschaft und bald darauf wechselte Schumacher ins fußballerische Abseits in die Türkei. Nun bat ihn der deutsche Branchenprimus um Hilfe. Genugtuung in Reinform!
Umgehend reiste Schumacher nach München und traf sich im sagenumwobenen Restaurant Käfer zur Fixierung des Transfers mit Aumann, Heynckes und Manager Uli Hoeneß: "Richtige Verhandlungen brauchte es aber nicht, auch nicht über Geld. Wir verständigten uns per Handschlag."
Von der Bank aus erlebte Schumacher in der Folge, wie Hillringhaus Tor um Tor kassierte und der FC Bayern Rückschlag um Rückschlag. Der vorläufige Tiefpunkt war ein 1:4 gegen den Aufsteiger Stuttgarter Kickers am 5. Oktober. "Das erste, was mir dazu einfällt, ist eine peinliche Sache", sagt der damalige Kickers-Trainer Rainer Zobel im Gespräch mit SPOX und Goal und meint damit nicht das Abrutschen des FC Bayern auf einen unverschämt schlechten zwölften Tabellenplatz. "Wir waren nach dem Spiel auf dem Oktoberfest und da musste ich im Zelt zur Musikgruppe hoch und dirigieren."
Und das Spiel? Der FC Bayern, für den Zobel in den 1970er-Jahren selbst gespielt hatte? "Sie hatten nur große Namen, aber keine richtige Mannschaft. Wir haben nicht zufällig 4:1 gewonnen, wir haben das Spiel dominiert. Dieser Umstand war für die Bayern-Spieler am deprimierendsten." Es war genau wie beim Aus im DFB-Pokal gegen Homburg: Wieder ließ sich der FC Bayern im eigenen Stadion von einem Außenseiter vorführen.
Während wütende Bayern-Fans in Lederhosen auf den Rängen lauter und immer lauter "Heynckes raus" skandierten, sprach Hoeneß in den Katakomben zur Presse. Gefragt nach der Zukunft seines Trainers und Freundes Heynckes sagte er: "Zehn Minuten nach einem Fußballspiel kann man kein Patentrezept in der Schublade haben." Hoeneß wirkte aber nicht wie jemand, der das Patentrezept noch finden sollte, womöglich nicht einmal die entsprechende Schublade. Er wirkte ratlos – genau wie Heynckes selbst.
"Ich kannte Jupp schon lange, aber so traurig und verzweifelt wie nach diesem Spiel habe ich ihn selten erlebt", erinnert sich Zobel, der vor seiner Zeit beim FC Bayern gemeinsam mit Heynckes für Hannover 96 gespielt hatte. "Ich hatte das Gefühl, dass er mit seiner Entlassung gerechnet hat."
Und damit war er nicht der Einzige, damit rechnete beispielsweise auch Kickers-Präsident Axel Dünnwald-Metzler, der sicherheitshalber noch im VIP-Bereich des Olympiastadions seinen eigenen Trainer von der potenziellen Nachfolger-Liste des FC Bayern nahm. "Angeblich hat er den Bayern-Bossen direkt gesagt, sie sollen die Finger von mir lassen, weil sie mich als Trainer eh nicht bekommen werden", sagt Zobel und lacht.
Drei Tage später entließ der FC Bayern Heynckes, was Hoeneß später als die "größte Fehlentscheidung" seiner Funktionärslaufbahn bezeichnen sollte. "Ein noch größerer Fehler als Heynckes zu entlassen, war es aber sicher, Sören Lerby als Nachfolger zu holen", findet Bender. In all der Panik toppte sich der FC Bayern im Herbst 1991 im Fehlermachen selbst.
SÖREN WILL DOCH
NUR SPIELEN
Lerby als Retter in der Not zu verpflichten, war eine klassische Bayern-, eine klassische Hoeneß-Entscheidung. Einer mit dem sogenannten Bayern-Gen sollte es richten. Drei Jahre hatte der dänische Mittelfeldspieler in den 1980er-Jahren für den FC Bayern gespielt – und am liebsten hätte er nach seiner Anstellung als Trainer einfach damit weitergemacht. Dribbeln, passen und schießen konnte er besser als coachen - und außerdem machte es ihm mehr Spaß. "Bei den Trainingsspielchen hat er immer mitgemacht. Eigentlich war er damals noch ein Spieler", sagt Bender.
Trainererfahrung hatte der 33-Jährige keine und eine Trainerlizenz schon gar nicht, weswegen der Bund Deutscher Fußball-Lehrer seine Anstellung in einem Statement "aufs Schärfste" missbilligte. Als Kompromiss stellte der FC Bayern Lerby den bisherigen U19-Trainer Hermann Gerland als Co mit Lizenz zur Seite. Erstmals half Gerland bei den Profis aus, es sollte nicht das letzte Mal bleiben.
Problematisch war aber nicht nur Lerbys mangelnde Erfahrung, problematisch war vor allem sein mangelhaftes Deutsch. "Er hat mit seinem damaligen Dänisch-Deutsch sehr schnell gesprochen und deshalb haben wir bei seinen Sitzungen kaum etwas verstanden", sagt Bender.
Am Abwärtstrend änderte sich unter Lerby nichts. In der Bundesliga setzte es direkt Niederlagen gegen Borussia Dortmund und beim VfB Stuttgart, von den ersten 14 Bundesligaspielen gewann der FC Bayern nur vier. Und dann stand das Hinspiel in der zweiten Runde des UEFA-Cups an, die der FC Bayern nur dank eines knappen Weiterkommens gegen den irischen Vertreter Cork City erreicht hatte. Es ging gegen Boldklubben 1903 aus Dänemark.
22. Oktober 1991, Gentofte Sportspark im Norden Kopenhagens, rund 15.000 Zuschauer. "Das Stadion eng, der Platz ein ziemlicher Acker und die Stimmung saugeil. Für die war das Flair natürlich weltklasse", sagt Bender. Mazinho, dessen Landsmann Bernardo den Klub zu diesem Zeitpunkt schon wieder verlassen hatte, brachte den FC Bayern zwar in Führung, doch dann: 1:1, 1:2, 1:3. Die Boldklubben-Fans in der ersten Reihe hingen schreiend an den Zäunen und damit fast über dem Spielfeld. 1:4, 1:5, 1:6. Am Ende gelang dem FC Bayern noch das 2:6, doch die Blamage war perfekt. Die nächste Blamage.
Angestachelt wurden die Boldklubben-Spieler nicht nur von ihren lautstarken Fans, sondern auch von den arroganten Bayern. "Ich glaube, es war Olaf Thon, der vor dem Spiel gegenüber deutschen Medien gesagt hat, dass die Bayern den Titel gewinnen werden und dieses dänische Team auf dem Weg dahin nur eine kleine Hürde ist", erinnert sich Trainer Benny Johansen bei SPOX und Goal.
Er selbst war zweieinhalb Wochen vor dem Spiel auf Scouting-Mission nach München gereist und hatte dort das 1:4 gegen die Kickers sowie einen schwachen Keeper gesehen. "Wir wollten vor allem bei Eckbällen Druck auf Hillringhaus machen. Und dann haben wir tatsächlich zwei Tore nach Eckbällen erzielt", sagt Johansen durchaus stolz. "Die Bayern-Spieler waren sehr überrascht von unserer Leistung und auch Trainer Sören Lerby, mit dem ich mich nach dem Spiel auf Dänisch unterhalten habe." Für Lerby hatte der Tiefpunkt also immerhin auch etwas Positives: Endlich verstand ihn mal einer.
Damit war es aber spätestens bei der folgenden Pressekonferenz schon wieder vorbei, die der Spiegel gehässig Wort für Wort zitierte: "Ja, dat is, man muss sage, wenn man so was sieht, dann muss man die Spielers und die Trainer auch, Verantwortung, was jetzt los ist, dat is brutal, natürlich."
DES KAISERS HUSTEN
UND LEICHTIGKEIT
Noch bevor der FC Bayern beim Rückspiel nicht über einen 1:0-Sieg hinauskam und somit ausschied, setzte Präsident Fritz Scherer ein personelles Zeichen und stellte zwei neue Vize-Präsidenten vor. Die Not war noch größer als bei Lerbys Verpflichtung wenige Wochen zuvor, also holte der FC Bayern nicht nur einen, sondern gleich zwei Ex-Spieler mit dem sogenannten Bayern-Gen zurück. Zwei Helden der so erfolgreichen Vergangenheit: Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge.
Bei ihrer Vorstellung Ende Oktober sagten sie einige durchaus lustige Sätze: Beckenbauer etwa drohte den erfolglosen Spielern bei weiteren Niederlagen mit einer "Abschiebung in den Kindergarten" und Rummenigge verkündete in Bezug auf seine Zeit als aktiver Spieler: "Wir hatten zwar Schulden, waren aber erfolgreich und beliebt." Über Funktionärs-Erfahrungen verfügten die beiden zu diesem Zeitpunkt nicht. Rummenigge hatte für die ARD als Co-Kommentator bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft gearbeitet und Beckenbauer diese als Teamchef zum WM-Titel 1990 geführt.
In einem ausführlichen Artikel sammelte der Spiegel damals Reaktionen der Bundesligakonkurrenz auf die überraschende Installierung des Duos. Im Nachhinein betrachtet kaum zu glauben, fielen sie vernichtend aus. Schalkes Manager Günter Netzer mutmaßte, dass Beckenbauer (46) und Rummenigge (36) dem Klub genau wie Trainer Lerby "auf dem Fußballplatz besser helfen" würden. Borussia Dortmunds Manager Michael Meier bezeichnete den Schritt des FC Bayern gar als "Quatsch" und befürchtete: "Wenn Franz hustet, wackelt jetzt der ganze Klub."
Anstecken von Beckenbauers Husten ließ sich immerhin Schumacher nicht, der Hillringhaus nach dem 2:6 in Kopenhagen wie von ihm selbst prognostiziert im Tor ersetzte. "Vor meinem ersten Spiel habe ich mich in einem leeren Ermüdungsbecken warmgemacht. Ich habe meine Stretching-Übungen absolviert und den Ball immer wieder gegen die Beckenwand geworfen und aufgefangen", erinnert sich Schumacher. "Auf einmal kam der Franz rein und meinte: 'Was machst du da für einen Scheiß? Du musst raus!' Ich habe geantwortet: 'Franz, ich mach mich hier warm. Keine Sorge, das ist alles in Ordnung so.' Da hat er nur den Kopf geschüttelt."
Schumacher kassierte bei seinem Debüt jedenfalls kein Gegentor und der FC Bayern gewann erstmals nach über eineinhalb Monaten wieder ein Bundesligaspiel, 3:0 gegen Borussia Mönchengladbach.
Im Hintergrund übernahmen Beckenbauer und Rummenigge an der Seite von Hoeneß sofort Verantwortung und zeigten sich beispielsweise für die umgehende Verpflichtung des niederländischen Mittelfeldspielers Jan Wouters von Ajax Amsterdam verantwortlich – in einer Zeit vor Einführung der heute gängigen Transferperioden war dies möglich. Der damals 31-Jährige debütierte bereits Ende November für den FC Bayern, erarbeitete sich mit seiner aufopferungsvollen Spielweise zwar Sympathien, brachte die Mannschaft spielerisch aber kaum weiter.
Während sich Rummenigge auf die Arbeit im Hintergrund beschränkte, war Beckenbauer zunächst auch im Mannschaftskreis präsent. Einige Spieler hatte er eineinhalb Jahre zuvor zum WM-Titel gecoacht, mit einigen sollte er zweieinhalb Jahre später als Trainer des FC Bayern die deutsche Meisterschaft gewinnen. "Der Franz war immer sehr nah dran an der Mannschaft, war oft in der Kabine und hat Ansprachen gehalten", erzählt Schumacher. "Er hat Leichtigkeit vorgelebt und damit versucht, uns den Druck zu nehmen."
ANGST UMS LEBENSWERK
Doch auch die Aufopferungsbereitschaft Wouters' und die Leichtigkeit Beckenbauers halfen auf Dauer nichts: Der Sieg gegen Gladbach blieb lediglich ein Zwischenhoch, die Mannschaft stabilisierte sich zu keinem Zeitpunkt der Saison. Problematisch war weniger der Sturm um Labbadia (zehn Saisontore in der Bundesliga) und Roland Wohlfahrt (17), problematisch war eher die oft unkoordinierte Defensive um Kreuzer und Berthold mit ihren wechselnden Nebenmännern.
Als nach einem 0:4 beim 1. FC Kaiserslautern am 7. März 1992 der Vorsprung auf die Abstiegsplätze nur mehr drei Punkte betrug, musste Lerby nach 17 Pflichtspielen im Amt schon wieder gehen. Die zweite Trainerentlassung der Saison. "Er ist nicht über die Autorität, sondern über die Kameradschaft gekommen", sagt Schumacher. "Damals hat das aber leider nicht funktioniert. Die Mannschaft hätte eher eine harte Hand gebraucht."
Statt einer harten Hand bekam sie mit Erich Ribbeck aber die nächste weiche. "Ribbeck war nicht der Richtige für den FC Bayern", findet Bender, der unter dem neuen Trainer kaum mehr eine Rolle spielte und nach der Saison an den Karlsruher SC verkauft werden sollte. Anders als Lerby verfügte der damals 54-jährige Ribbeck immerhin über Erfahrung. Er hatte lange beim DFB gearbeitet und Bayer 04 Leverkusen 1988 zum UEFA-Cup-Sieg geführt, seit diesem Triumph aber kein Traineramt mehr inne. Ribbeck pendelte zwischen Deutschland und seiner Lieblingsinsel Teneriffa und unterhielt beste Kontakte zum FC Bayern: Als Repräsentant des Hauptsponsors Opel und Freund des Kaisers Beckenbauer, der bei der Verpflichtung eine entscheidende Rolle spielte.
Wie Lerby sah sich Ribbeck in erster Linie als Spielerversteher. Er attestierte sich selbst ein "großes Harmoniebedürfnis", lächelte viel, ließ wenig trainieren und wenn doch, dann meistens lustige Spielchen wie Fußballtennis. Ähnlich wie Vize-Präsident Beckenbauer versuchte Ribbeck, der Mannschaft Leichtigkeit vorzuleben – als Gegenpol zum immer panischeren Manager Hoeneß.
Hoeneß bedachte seine Spieler unter der Woche mit einer Ausgangssperre ab 23 Uhr und setzte angeblich sogar Privatdetektive auf sie an, wie Christian Ziege später erzählte. Während Hoeneß das Privatleben der Spieler überwachen ließ, übernahm er die Überwachung ihres Arbeitslebens höchstpersönlich. "Er hat zu der Zeit regelmäßig vom Spielfeldrand aus beim Training zugeschaut, war öfter in der Kabine, als es normalerweise der Fall war, und hat nach den Spielen auch mal etwas gesagt", beschreibt es Bender. Angetrieben wurde Hoeneß laut Schumacher vor allem von einem: Angst. "Ich habe damals im ganzen Klub Abstiegsangst gespürt, auch bei Uli Hoeneß. Ich konnte gut nachvollziehen, dass er mit einem Abstieg nicht sein Lebenswerk gefährden wollte."
Für einen wirklichen Umschwung sorgte Ribbeck zwar nicht, den Klassenerhalt schaffte er aber trotzdem. Gegen die Stuttgarter Kickers, die mit einem 4:1-Sieg in der Hinrunde für Heynckes' Entlassung gesorgt hatten, gewann Ribbecks FC Bayern in der Endphase der Saison mit 4:2. "Bayern war nicht viel besser als beim Hinspiel", sagt Kickers-Trainer Zobel. "Aber wir waren halt schlechter." Die weniger schlechte Mannschaft gewann und rettete sich. Abstiegskampf in Reinform.
Passend zum Saisonverlauf verlor der FC Bayern auch das letztlich unerhebliche abschließende Spiel gegen ein Karlsruhe um Keeper Oliver Kahn und Spielmacher Mehmet Scholl mit 0:3. "Wir haben einfach mehr Leidenschaft an den Tag gelegt als der FC Bayern, das Spiel dominiert und auch in der Höhe verdient gewonnen", berichtet der damalige Karlsruher Wolfgang Rolff. Bei seiner Mannschaft flossen in der Kabine anschließend zu gleichen Teilen Weißbier, Sekt und Wein, das weiß er noch genau.
Der FC Bayern beendete die Saison mit einem Torverhältnis von -2 auf Platz zehn - nur fünf Punkte vor den Abstiegsrängen. Es war ein Tiefpunkt der Klubgeschichte und gleichzeitig der Ausgangspunkt für den Aufbruch in eine erfolgreiche Zukunft. Damals gescheiterte Protagonisten avancierten zu Helden künftiger Triumphe.
KÜNFTIGE TRIUMPHE
UND DIE GROSSE LIEBE
Effenberg verließ den Klub nach der Saison als Möchtegern-Führungsspieler zur AC Florenz, kehrte 1998 als wahrhaftiger zurück und führte die Mannschaft 2001 zum Champions-League-Sieg. Seite an Seite mit Kahn und Scholl, die den FC Bayern mit Karlsruhe demütigten und bald darauf verpflichtet wurden.
Der während der Saison gefeuerte Heynckes kehrte gleich mehrmals zurück: Statt wie bei seiner ersten Amtszeit von seinem eigenen Versprechen getrieben, coachte er den FC Bayern 2013 altersmilde zum Triple – mit Co-Trainer Gerland, der 1991 seinen ersten Einsatz in dieser Rolle hatte.
Und die beiden damals aus der Not heraus installierten Vize-Präsidenten? Rummenigge prägte den Klub jahrelang als Vorstandsvorsitzender gemeinsam mit Manager Hoeneß und machte ihn zum Paradebeispiel eines seriös wirtschaftenden Fußball-Unternehmens. Beckenbauer übernahm vor seiner langjährigen Tätigkeit als (Ehren-)Präsident im Dezember 1993 das Traineramt von Ribbeck, der die Mannschaft in seiner einzigen ganzen Saison auf Platz zwei geführt hatte, und holte 1994 den Meistertitel. Gemeinsam mit Torwarttrainer Schumacher.
Der im Herbst 1991 reaktivierte Keeper beendete seine aktive Karriere nach der verkorksten Saison tatsächlich und für alle Zeit, doch auch für ihn persönlich hielt der sportliche Tiefpunkt eine schöne Konsequenz bereit. Er sei dem FC Bayern für diese letzten Monate Profifußball für immer und ewig dankbar, sagt er: "Nicht zuletzt dafür, dass ich während der Zeit in München meine große Liebe und heutige Frau Jasmin kennenlernte."