Es gab immer wieder die ganz schweren, ganz dunklen Tage. Die Tage voller Zweifel und Resignation. Die Tage, an denen Cedrik-Marcel Stebe (26) "am Boden zerstört" und knapp davor war, "alles hinzuschmeißen". Die Tage, an denen er sich fragte, warum das Schicksal ausgerechnet ihm immer neue, grausame Streiche spielte.
"Es war oft so, dass ich kein Licht mehr sah am Ende des Tunnels", sagt Stebe. Einst war er das Zukunftsgesicht des deutschen Tennis, einer jener jungen, aufstrebenden Spieler, die für Furore im ATP-Wanderzirkus, aber auch im Davis-Cup-Team sorgten. Und dann, plötzlich und unerwartet, war Stebe nur noch das Sorgenkind, der Dauerpatient, der ewig Verletzte. Er verschwand völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung, selbst viele Insider wussten nicht, was aus ihm und seiner Karriere geworden war - und werden sollte.
Zurück im Fokus
Doch in diesem Spätsommer und frühen Herbst ist er auf einmal wieder da, auf großen Bühnen, zunächst bei den US Open und nun auch als emotionaler Rückkehrer ins deutsche Davis-Cup-Team. Wenn die deutsche Tennis-Nationalmannschaft an diesem Wochenende in Portugal um den Verbleib in der Weltgruppe ringt, dann rückt auch Stebe wieder in den Fokus, der Mann aus Vaihingen an der Enz.
Neben dem Ostwestfalen Jan-Lennard Struff werden von Stebe dringend nötige Punktgewinne im Einzel erhofft - in Abwesenheit der Spitzenspieler Alexander und Mischa Zverev sowie Philipp Kohlschreiber. Schnell, schneller, Stebe: Ein solch rasantes Wiedersehen im Davis Cup hat es kaum jemals zuvor für einen deutschen Profi gegeben. "Er ist für mich der Comebackspieler dieser Saison im Tennis", sagt Kapitän Michael Kohlmann, "es ist eine imponierende Geschichte."
Im Januar 2013 hatte Stebe, der zwischenzeitlich fast 30 Monate lang außer Gefecht gesetzt war im professionellen Tennisbetrieb, sein letztes Topturnier bestritten, bei den Australian Open. Erst beim gerade beendeten Grand-Slam-Spektakel in New York kehrte er auf Major-Niveau zurück, überzeugte mit erfolgreich überstandener Qualifikation und einem Erstrundensieg.
Davis-Cup-Held von Hamburg
"Das ist eine tolle Story, diese Rückkehr in die Weltspitze nach so viel Pech", sagt DTB-Herrenchef Boris Becker, "Cedrik-Marcel hat sehr gute Monate hinter sich. Er wird mit viel Selbstbewusstsein in den Davis Cup gehen."
Für Stebe schließt sich nun auch der Kreis in der Nationalmannschaft. Sein bisher überhaupt größter Tennismoment hatte sich ja vor rund fünf Jahren am Hamburger Rothenbaum im Davis Cup abgespielt. Da kam der Schwabe plötzlich im letzten Einzel der Relegationspartie gegen Australien zum Einsatz, beim Stand von 2:2 musste er raus auf den Centre Court, zum Duell gegen Altmeister Lleyton Hewitt. Stebe bestand die Herausforderung mit Bravour, er überrumpelte Hewitt in drei Sätzen. Er bewahrte Deutschland vor dem Abstieg, er war auf einmal ein Davis-Cup-Held.
Aber was er nach Jahren voller Schmerzen und Sorgen, voller Ängste und Ungewissheiten zuletzt schaffte, diese Rückkehr in die erweiterte Weltspitze, war allemal höher zu bewerten als jenes schlagzeilenträchtige Erfolgshighlight gegen Hewitt. "Dass ich hier stehe, wieder im Davis-Cup-Team bin und auch Grand-Slam-Tennis spiele, kommt mir wie ein kleines Wunder vor. Sicher war das nicht immer", sagt Stebe.
Comeback des Maladen
Immer wieder hatte er von diesem Augenblick geträumt, von der Rückkehr auf die größten Tennisbühnen. Und dieser Traum hielt auch seine Moral aufrecht, seinen Kampfeswillen, seine Leidenschaft. Sich gegen immer neue Widrigkeiten zu behaupten, Verletzungen serienweise wegzustecken, das stählte ihn. Machte ihn mental härter und stärker als jemals zuvor.
Alles ließ er schließlich hinter sich: Hüftverletzungen, Beckenentzündungen, Stressfrakturen, Probleme mit der Lendenwirbelsäule, auch noch eine Leistenoperation. Stetig und beharrlich kämpfte er sich in der Rangliste nach oben, noch im letzten Jahr stand er um Platz 600, dann schaffte er es unter die Top 500, die Top 200.
Und jetzt, nach dem Auftritt in New York, war er seinen eigenen Erwartungen, dem persönlichen Plansoll, schon deutlich voraus - als neuer, alter Top-100-Spieler, als Nummer 90 der Hackordnung: "Das hatte ich für diese Saison nicht erwartet. Das ist unglaublich." Selbstbewusstsein hatte er zuletzt auch aus starken Auftritten bei Challenger-Turnieren bezogen, vor den US Open gewann er einen gutbesetzten Wettbewerb im kanadischen Vancouver. "Ich bin ein anderer Spieler geworden. Aggressiver, druckvoller, dynamischer", sagt Stebe, "ich hatte nie so viel Spaß am Tennis wie jetzt."
Als er sich mit den Verletzungen herumschlug, viele Monate, viele Jahre, entdeckte Stebe auch eine Welt jenseits des Tennis. Er traf sich öfters mit alten Freunden, er griff zu Büchern. Und er spielte vor allem wieder mehr Klavier, eine Leidenschaft seit frühester Kindheit. Doch nun schlägt Stebe erst mal wieder andere Töne an, auf dem Tennisplatz, der andere Tastenbetrieb kommt ein wenig zu kurz. "Aber wenn ich kann, dann spiele ich. Es ist gut für die eigene Kreativität", sagt er.