Wimbledon: Graf und Kerber - Die Legende und ihre wahre Erbin

Steffi Graf hat letztmals 1996 in Wimbledon triumphiert
© Jürgen Hasenkopf
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Neue Ziele mit Wim Fissette

Auch gegenüber Fissette, dem neuen Mann an ihrer Seite, ließ Kerber von Anfang an keinen Zweifel, wohin die Partnerschaft vor allem führen sollte - auf den Thron von Wimbledon: "Ich habe sofort die Leidenschaft für Wimbledon bei ihr gespürt, die besondere Beziehung, die sie zu diesem Turnier hat", sagt der Tennislehrer, der in jüngeren Jahren schon dreimal mit dem belgischen Sonnenschein Kim Clijsters zu Titelruhm bei den Grand Slam-Turnieren kam.

Vor fünf Jahren saß er auch auf dem haargenau gleichen Platz wie an diesem 14. Juli 2018, damals als Coach der Finalistin Sabine Lisicki. "Bei ihr gab es Fitnessprobleme. Sie hatte zu viel Kraft vor dem Endspiel gelassen", sagt Fissette. Er wurde allerdings dann noch später in 2013 von Lisicki entlassen. Und wie sieht er nun Kerber generell, seine neue Chefin? "Angie ist ein typischer Steinbock. Ambitioniert, ehrgeizig, auch mal starrköpfig. Und ein bisschen verschlossen", sagt Fissette, "aber wenn sie Vertrauen zu jemandem gefunden hat, kann man viel, sehr viel mit ihr lachen."

Rittner lobt Kerbers Profil als Topspielerin

Es gab auch wenig Grund zum Trübsinn, in der neuen Saison, in der neuen Allianz. Kerber machte rasch die Beschwernisse des Jahres 2017 vergessen, sie gewann Selbstbewusstsein, nicht nur weil sie wieder mehr Spiele gewann. Sondern auch, weil sie sah, wie sehr sich die eigene Wandlungsfähigkeit, die Reformbereitschaft auszahlten. "Sie ist in diesem ganzen Prozess unheimlich gewachsen als Persönlichkeit", sagt Barbara Rittner, die langjährige Fed-Cup-Chefin, "sie hat nun ein ganz neues Profil als Topspielerin gekriegt."

Plötzlich war auch Kerbers frühere Stärke wieder in aller Herrlichkeit da, die Konstanz auf sehr hohem Niveau. Bei zehn von zwölf Turnieren in diesem Jahr erreichte sie wenigstens das Viertelfinale. Aber es war, so verstand es Kerber jedenfalls, alles auch ein Countdown für Wimbledon. Hier nämlich wollte sie zum großen Schlag ausholen.

Kerber liebt alles an Wimbledon

Kerber liebt, wie gesagt, alles an Wimbledon. Das Spiel auf Rasen. Die Traditionen und Konventionen. Die feine Etikette. Sie war sich immer bewußt, welchen Wert ein Sieg für sie haben würde: "Er wäre mehr wert als alles andere. Er wäre das Nonplusultra", sagte Kerber vor einigen Wochen einmal im kleinen Kreis.

Da hatte sie schon alle Antennen in Richtung Wimbledon ausgefahren, sich überlegt, wie sie die Mission im All England Club angehen würde. Es war alles so generalstabsmäßig geplant wie früher bei Graf, der Perfektionistin. Kerber wußte auch eins: Die Frau, die ihr vor zwei Jahren im Endspiel in die Quere gekommen war, Serena Williams, würde noch nicht die Alte sein nach Schwangerschaft, Geburt und Babypause.

Die Entschlossenheit war wie weggeblasen

Dann allerdings passierte etwas Paradoxes, als das Turnier begann. Die ganze Entschlossenheit, der mächtige Wille waren in den ersten Matches wie weggeblasen. "Es war wie ein Rückfall in ganz schlechte Zeiten hier", sagte Kerber am Samstagabend, "ich wollte hier unbedingt gut spielen. Und habe mir zu viel Druck gemacht."

So wie in den ersten fünf Wimbledon-Jahren, als sie mit dem Kopf durch die Wand wollte und an ihrem Lieblingsort nur ganze drei Matches gewann, in eine regelrechte Sinnkrise stürzte. 2011, nach einer Erstrunden-Niederlage, stellte Kerber sogar alles in Frage, selbst den Fortgang ihrer Karriere. Alles, weil sie in Wimbledon das Mögliche unmöglich machte - und nicht umgekehrt. "Die Anspannung war nun auch extrem. Aber als Angie diese ersten Herausforderungen erfolgreich hinter sich gebracht hatte, war auf einmal eine große Gelassenheit und Sicherheit da", sagt Trainer Fissette.

Kontrollierte Power und emotionale Balance

Er, der wichtigste Mann an ihrer Seite, spürte schon einige Tage vorher, "dass etwas Großes passieren wird." Sogar das Größte überhaupt im Tennis. Kerber spielte in der zweiten, alles entscheidenden Woche mit kontrollierter Power und richtiger emotionaler Balance so souverän, dass es fast schon unheimlich war. Sie beging fast keine unverzeihlichen Fehler, war punktgenau auf ihre Missionen konzentriert.

Es wirkte, als habe Kerber gar keine Nerven mehr, als könne sie einfach ohne jede Flatterhaftigkeit oder Mühsal ihre Pläne verfolgen. Sieg um Sieg wurde aufgereiht, sie stand im Endspiel. Und auch da war das Bild kein anderes: Kerber verzog, wie einst Graf, fast keinerlei Miene auf dem Centre Court. Sie war die Taktgeberin des Matches, die Chefin.

Sie war einfach die beste Spielerin des Turniers, das sie immer gewinnen wollte. Vor den Augen der royalen Gäste, Herzogin Kate und Herzogin Meghan, schwang sie sich zur Queen auf. "Ich habe lange darauf warten müssen", sagte Kerber, "aber nun ist der Sieg in Wimbledon umso schöner." Der Sieg der starken Erbin von Steffi Graf.

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