Ein Dinosaurier in Wimbledon

SID
Mischa Zverev in seinem natürlichen Habitat
© Jürgen Hasenkopf

Mischa Zverev kennt nur einen Modus: Attacke! In Wimbledon fühlt sich der Spezialist für die schnellen Punkte pudelwohl, auch wenn er einer aussterbenden Spezies angehört.

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Boris Becker tat es mit Leidenschaft. Pete Sampras zögerte keine Sekunde. Und selbst Ivan Lendl quälte sich wider seiner Natur ans Netz. In Wimbledon folgte auf den Aufschlag der Volley - so war es jahrzehntelang. Doch das klassische Rasentennis ist wegen chronischer Erfolgslosigkeit längst ausgestorben, nur noch wenige Dinosaurier stürmen weiter unentwegt nach vorne.

Einer von ihnen ist Mischa Zverev, großer Bruder der deutschen Hoffnung Alexander Zverev. Kaum jemand setzt so kompromisslos auf Attacke wie der 29 Jahre alte Linkshänder aus Hamburg, und kaum jemand gewinnt damit so viele Matches. Bis auf Platz 30 der Weltrangliste hat Zverev sein altmodischer Stil bereits geführt. Tendenz steigend.

Keine Zeit

Dabei lebt Zverev stets in Gefahr. Er vergleicht das Risiko, das sein Stil mit sich bringt, mit dem eines Münzwurfes. "Du musst darauf hoffen, dass du die Mehrzahl gewinnst", sagte er nach dem deutlichen Erstrundensieg über den Australier Bernard Tomic. "Beim Serve-and-Volley weißt du nie, was passiert, weil der Punkt im Bruchteil einer Sekunde zu Ende sein kann."

Manchmal erdrückt Zverev seine Gegner, gegen Tomic schloss er 37 seiner 42 Netzattacken nach dem eigenen Aufschlag mit dem Punktgewinn ab. "Aber du musst auch damit leben, wenn du 2:6, 2:6 verlierst und 75-mal passierst wirst", sagte Zverev. Er hat keine Wahl, er muss den Vorwärtsgang einlegen, weil er nicht die knallharten Grundschläge seines Bruders beherrscht.

Alexander Zverev (20) ist ein Kind des modernen Tennis, er fühlt sich hinter der Grundlinie am wohlsten. Andy Murray, Novak Djokovic und Rafael Nadal haben in ähnlichem Stil zahlreiche Grand-Slam-Titel gefeiert, und selbst Roger Federer setzte bei seinen sieben Triumphen in Wimbledon zumeist auf kontrollierte Offensive.

Gefühl und Rhythmus

Für Mischa Zverev ist klar: Das moderne Material bei Schlägern und Bällen, die langsamen Plätze und die Athletik, die sich in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat, benachteiligen Spieler seiner Spezies. "Der Ball fliegt zwar schneller durch die Luft, wird aber langsamer nach dem Aufsprung. Das macht es für den Volleyspieler schwieriger", sagte er.

Dennoch glaubt Zverev, dass auch konsequentes Serve-and-Volley noch immer zum Erfolg führen kann. Ein harter und platzierter Aufschlag und viel Geduld brauche es, "um Gefühl und Rhythmus zu bekommen." Zverev besitzt beides, nicht nur auf Rasen. Auf dem Hartplatz der Australian Open zu Beginn der Saison schlug er den britischen Weltranglistenersten Murray und scheiterte erst im Viertelfinale am späteren Titelträger Federer.

Der Top-Favorit aus der Schweiz könnte erneut warten, wenn Mischa Zverev sein Zweitrundenmatch am Donnerstag gegen den Kasachen Michail Kukushkin gewinnt. Alexander Zverev, der liebend gerne das Volleyspiel seines Bruders beherrschen würde, traut dem altmodischen Angreifer eine Menge zu. "Er wird in die dritte Runde gegen Roger kommen. Dann wird es ein interessantes Match."

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