Der Atem des Gegners ist spürbar. Ein kleiner Schubser, ein wenig Hakeln, doch Lightning-Verteidiger Matthew Carle kommt weder links noch rechts vorbei. Was dann kommt, dominiert an diesem 30. März nicht nur in Detroit jede Highlight-Sendung. Im letzten Moment zieht Gustav Nyquist die Scheibe im Break am Goalie vorbei und erzielt aus fast unmöglichem Winkel den Führungstreffer.
Es ist das 2:1, am Ende gewinnen die Red Wings mit 3:2 gegen Tampa Bay und holen sich den nächsten wichtigen Erfolg im Kampf um die Playoffs. Doch eigentlich redet jeder nur über diesen Schweden, dessen Name vor einigen Monaten wohl den wenigsten NHL-Fans wirklich geläufig war.
Zwar hatte Nyquist zuvor im College (144 Scorer-Punkte in 113 Spielen) sowie bei den Grand Rapids Griffins in der AHL (143 Scorer-Punkte in 137 Spielen) seine Torgefährlichkeit häufig und konstant unter Beweis gestellt und auch die AHL-Championship gewonnen, dennoch war im Herbst erneut kein Platz für den Schweden im Kader der Red Wings.
Daniel Alfredsson und Dan Cleary wurden dem 24-Jährigen vor die Nase gesetzt. "Es war nicht so, dass er nicht enttäuscht gewesen wäre. Natürlich war er das. Er war nicht von diesem absolut menschlichen Gefühl gefeit. Aber er ist unglaublich gut damit fertig geworden", lobte Griffins-Coach Jeff Blashill bei "Yahoo Sports".
Nyquist studiert VWL
Zweifellos verdankt Nyquist das seinem geduldigen Charakter, den er schon früher in seinem Leben unter Beweis stellte. Der Left Wing wuchs im schwedischen Halmstadt auf und spielte für das Jugendteam von Malmö, während er die Schule abschloss. Doch anstatt, wie zumeist in Schweden üblich, direkt aus der Schule in den Profisport zu wechseln, schaute er sich mehrere Colleges in den Vereinigten Staaten an.
Schließlich entschied sich Nyquist für die University of Maine, wo er drei Jahre lang VWL studierte. Einerseits, um einen Backup-Plan zu haben. Andererseits, um sich in der NCAA auch körperlich und spielerisch weiter zu entwickeln.
"Er war ein zu kleiner, noch nicht voll entwickelter Junge, der gute Fähigkeiten hatte, weiter gearbeitet hat und besser wurde. Aufs College zu gehen, war das Beste für ihn. So hatte er Zeit, sich in seinem Tempo zu entwickeln", analysierte Jim Nill, Geschäftsführer der Dallas Stars, der Nyquist 2008 damals noch für die Red Wings draftete.
Es war ein Weg, der sich für den Schweden lohnen sollte. Zwischenzeitlich war Nyquist sogar der Topscorer der NCAA und fand über den Draft schließlich nach Detroit. 120 Spieler wurden vor ihm gewählt, doch für die Red Wings, die oft ohne hohe Picks auskommen müssen, könnte er sich zu einem weiteren Glücksfall entwickeln.
Parallelen zu Zetterberg und Datsyuk
Es werden bereits Parallelen zu Henrik Zetterberg und Pavel Datsyuk, die ebenfalls beide erst in den späteren Draft-Runden ausgewählt wurden, gezogen. Beide wurden sogar noch später im Draft gewählt, beide brauchten ebenfalls einige Jahre, um in der NHL vollends anzukommen.
So war auch Nyquist nach dem Draft keinesfalls bereits am Ziel, vielmehr hatte er nur die nächste Etappe erreicht und nahm auch die Zeit zwischen AHL und NHL mit seiner skandinavischen Gelassenheit. "Ich habe während dieser Zeit einige Male mit ihm gesprochen", berichtete Wings-Verteidiger Niklas Kronwall: "Er hat die richtige Einstellung. Er weiß, warum er unten starten musste, wegen der Gehaltsobergrenzen und all der anderen Sachen."
Gleichzeitig habe er das Beste daraus gemacht: "Wenn man runter geschickt wird, kann man sich leicht etwas hängen lassen, aber er ist dran geblieben und hat sich gut gemacht. Er hat auf seine Chance gewartet." Auch Nill wird nicht müde zu betonen, dass der längere Zwischenschritt mitverantwortlich für Nyquists aktuellen Aufstieg ist.
"Er ist ein gutes Beispiel für alle jungen Spieler. Jeder will so schnell wie möglich in die Liga. Aber es ist eine harte Liga, und man braucht Zeit, um sich zu entwickeln", betonte der Boss der Dallas Stars. Blashill rundete das durch und durch professionelle Bild des Youngsters ab: "Als er zu uns kam, hat er sich nicht aufgespielt, sondern gefragt, wie er sich verbessern kann und wie er dem Team helfen kann."
Schuften für den NHL-Körper
So konnte Nyquist weiter an sich und seinem Spiel arbeiten. Im Sommer vor der vergangenen Saison schuftete er etwa wochenlang im Kraftraum, um Muskelmasse aufzubauen. "Ich bin natürlich nicht der größte Spieler auf dem Eis", gab er damals zu.
Dennoch schaffte der Schwede - zumindest vorübergehend - endlich den Sprung in die NHL und half den Red Wings im Saisonendspurt. "Ich muss einen Weg finden, meine Tricks auch bei den Großen zu nutzen. Man hat ja seine Moves, und die will man umsetzen. Es geht nur darum, den richtigen Zeitpunkt und den nötigen Platz zu finden. Man darf den Puck hier nicht verlieren", gab Nyquist kleinlaut zu Protokoll.
Wings-Geschäftsführer Holland erinnerte sich dagegen, vor allem eine Schwäche bei seinem Youngster ausgemacht zu haben. Nyquist suchte oftmals in aussichtsreicher Situation eher den Pass als den Abschluss, was die Verantwortlichen manchmal schier in den Wahnsinn trieb: "Wir haben ihm permanent eingetrichtert: Shoot! Shoot! Shoot! Shoot!"
"Jetzt sucht er nach dem Schuss"
Ein Motto, dass sich der Forward mittlerweile zu Herzen nimmt. "Jetzt sucht er nach dem Schuss", ist Holland stolz. Ende November wurde Nyquist gegen die Carolina Hurricanes wieder für die Red Wings nominiert und erlebte mit zwei Toren, inklusive des Siegtreffers, einen Bilderbuch-Einstand. Neben seinen großartigen Skating-Fähigkeiten überzeugte er jetzt auch auf der großen Bühne als kaltschnäuziger Torjäger.
Doch dabei blieb er auf dem Teppich. In Interviews verweist er stets auf seine starken Mitspieler, große Sprüche hört man nie von Nyquist - dabei führt er die teaminterne Torschützenliste mit 28 Treffern in 54 Spielen mit Abstand an. "Ich denke, das Selbstvertrauen wächst mit jedem Spiel", bleibt er bescheiden: "Im Moment, dadurch dass ich das eine oder andere Tor erziele, werde ich auf dem Eis natürlich selbstbewusster."
Und so scheint der selbstlose Schwede einen guten Mittelweg zwischen dem Drang, die Scheibe abzuspielen, und dem nötigen Egoismus vor dem Tor gefunden zu haben, wenngleich er stets seine Leistung für sich sprechen lässt. Die starken Auftritte brachten Nyquist sogar einen Platz im Olympia-Team für Sotschi ein.
Wings-Serie lebt dank Nyquist
Klar ist aber auch: Für die Red Wings hätte die Leistungsexplosion zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Nach den Verletzungen von Zetterberg und Datsyuk schien die Serie von 22 Playoff-Teilnahmen hintereinander zu reißen, plötzlich ist im spannenden Playoff-Rennen in der Eastern Conference aber wieder alles drin und in den Playoffs dürfte kein Team auf die wiedererstarkten Wings, die derzeit auf Platz sieben stehen, treffen wollen.
"Viele Jungs schießen härter, aber wissen nicht, wie sie ihre Schüsse richtig einsetzen. Viele sind größer, aber wissen nicht, wie sie ihren Körper richtig nutzen. Viele sind schneller, aber wissen nicht, wie sie im richtigen Moment lossprinten", bringt Griffins-Coach Blashill die Analyse des 24-Jähigen auf den Punkt.
Nyquist selbst vereint diese Fähigkeiten, hat allerdings ein deutlich einfacheres Erfolgsrezept ausgemacht: "Wenn man hart arbeitet, wird man belohnt. Jeder will es in der NHL schaffen." Eine Formel, die für den Shootingstar, dem niemand mehr sagen muss zu schießen, aufgegangen ist.
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