1. Die Chiefs: Das Beispiel für "all in jedes Jahr"
Die Chancen waren da für die Chiefs, um dieses AFC Championship Game viel früher in klarere Bahnen zu schieben. Doch Kansas City kickte Field Goals tief in der gegnerischen Hälfte, Andy Reids Game Management hatte einmal mehr viel Luft nach oben. Die Chiefs belohnten sich nicht selbst und nutzten die Phase in der ersten Hälfte nicht, als man das Spiel und auch die Bengals-Offense kontrollierte.
Die Halbzeitführung hätte deutlicher ausfallen müssen, in der zweiten Hälfte kam Cincinnati immer besser rein und der Fumble von Mahomes weckte Erinnerungen an den Fumble von Travis Kelce im Regular-Season-Spiel gegen die Bengals, als die Chiefs das Spiel ebenfalls aus der Hand gaben.
Und doch stehen die Chiefs am Ende einmal mehr im Super Bowl. Weil Mahomes ein Ausnahmespieler ist, der trotz seines angeschlagenen Knöchels und einer B-Receiver-Besetzung im Laufe des Spiels die Offense am Leben hielt. Weil Chris Jones der individuell dominanteste Verteidiger dieser Saison ist, und Cincinnatis offensive Pläne phasenweise im Alleingang zerstörte.
Aber auch, weil im Gesamtbild betrachtet die Idee eindrucksvoll aufging: Die Chiefs sind All-In in jedem Jahr, und diese Saison, die eigentlich zumindest in Grundzügen ein Übergangsjahr werden sollte, hat das eindrucksvoll untermauert.
Chiefs: Stars abzugeben wird Teil der Rechnung
Als die Chiefs Tyreek Hill in der vergangenen Offseason nach Miami tradeten, war das, nach allem was wir wissen, eine sehr bewusste Entscheidung. Während die Packers dem Vernehmen nach bereit waren, Davante Adams finanziell ein ähnliches - vielleicht sogar besseres - Angebot zu machen als das, was er von den Raiders bekommen würde, zogen die Chiefs bei Hill eine klare Linie. Und tradeten ihn dann.
Erst-, Zweit- und Viertrunden-Picks 2022, sowie einen Viert- und Sechstrunden-Pick in diesem Jahr erhielt Kansas City von den Miami Dolphins, die sich ihrerseits in einem All-In-Fenster wähnten, und das ausnutzen wollten, solange Tua Tagovailoa günstig ist.
Miami sah sich so gesehen in der Phase, welche Kansas City gerade verlassen hatte: Die Phase, in der man mehr im Hier und Jetzt als mittel- oder gar langfristig denkt. Doch genau das stand bei den Chiefs ganz oben auf der Prioritätenliste: Wie kann man rund um Patrick Mahomes, der der Franchise mit seinem einzigartigen Zehnjahresvertrag nicht nur enorme Planungssicherheit, sondern auch ein hohes Maß an Flexibilität gegeben hatte, ein Titelfenster über zehn Jahre öffnen?
Das kann nur funktionieren, indem man Leistungsträger auf günstigen Verträgen hat - und der einzige Weg, um das nachhaltig zu schaffen, ist über den Draft. Das machte die sicher nicht einfache Entscheidung, Hill zu traden, letztlich so logisch: Mehrere Elite-Spieler auf teuren Verträgen kann sich Kansas City künftig nicht mehr leisten.
Die Chiefs: Luxussituation und Drahtseilakt zugleich
Aus dem von Miami erhaltenen Draft-Kapital wurden unter anderem Cornerback Trent McDuffie und Receiver Skyy Moore, die Picks Nummer 122 und 197 geben KC dieses Jahr mindestens mal zusätzliche Flexibilität - und die Strategie wird schon sehr bald ein weiteres Mal getestet werden: Der Vertrag von Tackle Orlando Brown läuft aus, lässt Kansas City ihn gehen, wäre ein hoher Compensatory Pick möglich.
Diese Art des Roster Buildings ist genauso eine Luxussituation, wie es bisweilen ein Drahtseilakt sein kann.
Eine Luxussituation deshalb, weil man mit - im Falle der Chiefs - Patrick Mahomes und Andy Reid einen derart hohen Floor hat, dass der Spielraum für Fehler selbst im Roster Building sehr groß ist. Da kann man auch mal einen der gefährlichsten Receiver in der NFL gehen lassen und trotzdem die beste Offense ligaweit nach EPA pro Play (0,179) und Success Rate (50,7 Prozent) aufs Feld bringen. Bei Ersterem machten die Chiefs im Vergleich zum Vorjahr sogar einen deutlichen Sprung.
Ein Drahtseilakt, weil man bei all dem nachhaltigen Management der eigenen Ressourcen nicht auch das kurzfristige Ziel aus den Augen verlieren will: Dass eben, solange man Reid sowie Mahomes in dessen Prime hat, jede Saison, in der man nicht um den Titel mitspielt, sich wie ein verlorenes Jahr anfühlt.
Die Neuausrichtung der Chiefs-Offense
Die Chance nach einem weiteren Ring verwehrten Kansas City in der vergangenen Saison eben jene Bengals, die jetzt auch wieder im Weg standen und sehr gut abermals alle Titelträume hätten beenden können. Insofern schloss sich irgendwo mit dem erneuten Duell im AFC Championship Game auch ein Kreis, und mich würde wirklich sehr interessieren, welche Rolle die Niederlage gegen Cincinnati im Vorjahr bei den Planungen der vergangenen Offseason in Kansas City gespielt hat.
Gemeint ist damit nicht die Niederlage an sich, sondern die Art und Weise, wie diese zustande kam: Dass man nach der offensiv dominanten ersten Hälfte komplett in ein Loch fiel, als die Bengals dazu übergingen, vermehrt und drei Rusher zu bringen und acht in Coverage zu droppen.
Nachdem sich die Chiefs im Laufe der 2021er Saison - inklusive eines merklichen Durchhängers - daran angepasst hatten, dass Defenses fast nur noch 2-Deep-Zone-Coverages gegen sie spielten, wirkte das wie die nächste Stufe der Evolution. Nun sind 8-Mann-Coverages nichts, was selbst Kansas City als primäre Defense gegen sich sehen wird, doch schon vor diesem Championship Game hatte es in dieser Saison keine Offense häufiger mit dem 3-Man-Rush zu tun als die Chiefs.
Vielleicht hat dieses Spiel zumindest dazu beigetragen, dass man sich in Kansas City mit der Idee, Tyreek Hill zu traden, anfreunden konnte. Dass die Identität der Offense weniger in dem Big-Play-Spektakel - und natürlich all den Dingen, die Hill im Idealfall für den Rest der Offense öffnen kann - liegt. Sondern dass man seinen Floor künftig im Verteilen des Balls, in Mahomes, in Reid und auch in der Offensive Line findet.
Chiefs-Offense: Entwicklung der bevorzugten Personnel-Groupings
Jahr | 11-Personnel | 12-Personnel | 13-Personnel |
2020 | 72% (#4) | 19% (#18) | 2% (#23) |
2021 | 66% (#8) | 20% (#18) | 5% (#10) |
2022 | 56% (#23) | 28% (#3) | 10% (#4) |
Zahlen von SIS und Sharp Football Stats. In Klammern jeweils das Ranking, wie häufig sie es im Liga-Vergleich gespielt haben.
Die Art und Weise, wie sich die Chiefs in ihren bevorzugten Personnel-Packages umgestellt haben, könnte das unterstreichen. Es macht die Offense schwerer ausrechenbar, es macht es Mahomes einfacher, das Spiel mehr auch "klassisch" aus der Pocket, mit Formationen und Matchups via Personnel-Ideen zu gewinnen.
Chiefs vs. Bengals: Eine Rivalry auf lange Sicht
Und gleichzeitig gibt es sie nach wie vor, die Momente, in denen die individuelle Qualität einfach gewinnt. Der erste Touchdown im Championship Game gegen Cincinnati war so ein Moment, als Mahomes aus der Pocket kam, nochmal kurz abstoppte, und Travis Kelce, als er das registrierte, seine Corner-Route abbrach, Safety Jesse Bates so loswurde und den Touchdown fangen konnte.
Mahomes kann diese Momente noch kreieren, Kelce kann diese Momente noch kreieren. Gleichzeitig sah man gegen die Bengals aber auch, wie der andere Teil der "neuen" Herangehensweise fruchtete: Wie die Chiefs defensiv die Line of Scrimmage gewannen, war vielleicht sogar die zentrale Story dieses Championship Games. Die Bengals fanden dann über ihr Quick Game besser ins Spiel und auch Burrow machte einige Plays, aber in der Crunchtime war der Pass-Rush wieder da.
Dennoch hatte man mehrfach in diesem Duell den Eindruck, dass das Spiel den Chiefs entgleitet. Dass sie ihre Gelegenheiten nicht genutzt hatten, und die Bengals das - einmal mehr gegen Kansas City - bestrafen würden.
Dieses Mal hatten die Chiefs das bessere Ende auf ihrer Seite, weil Joseph Ossai in der absoluten Crunchtime ein wahnsinnig bitterer Fehler unterlief. Aber diese Rivalry ist gekommen, um zu bleiben; die Chiefs haben gezeigt, dass sie bereit sind, auch das langfristige Spiel mitzugehen.