An verschiedenen Stellen dieser Saison schien die Beschreibung "Achterbahnfahrt" am ehesten dem gerecht zu werden, was sich die Los Angeles Rams mit Matt Stafford eingekauft haben. Es gab die eindrucksvollen Hochs - und es gab die rabenschwarzen Tiefs.
Das erste Duell mit den 49ers etwa, als Staffords gravierende Fehler die Rams auf die Verliererstraße brachten. Das gleiche Spiel hatte sich bereits in der Woche davor gegen die Titans ereignet. Gegen die Vikings warf er das Spiel mehrfach weg, auch wenn L.A. es am Ende gewann. Und selbst im Championship Game gegen die 49ers warf er eine Interception, und wenn Jaquiski Tartt komplett unbedrängt Staffords Pass abfängt, erhalten die Niners knapp zehn Minuten vor dem Ende bei eigener Führung den Ball zurück.
Auf der anderen Seite dieser Gleichung steht eine Offense, die ihre Explosivität wiedergefunden hat, welche zuletzt mit Jared Goff verlorengegangen war. Stafford führte die Liga in der Regular Season in puncto Deep Passing Yards an (1.272), damit verdreifachte er die Ausbeute in dieser Kategorie von Goff (416 Deep Passing Yards) in dessen finaler Rams-Saison.
Zumindest teilweise stehen Staffords Schwankungen auch sinnbildlich für die Identitätssuche der Rams-Offense. Head Coach Sean McVay schien gerade zu Beginn der Saison darauf aus, die Offense radikal zu öffnen, mehr aus Spread-Formationen zu agieren und mehr auf die Schultern des Quarterbacks abzuladen, jetzt, wo er das Quarterback-Upgrade bekommen hatte.
Doch das rückte Staffords Inkonstanz umso mehr in den Mittelpunkt, und es dauerte eine Weile, ehe die Rams eine Art Mittelmaß zwischen der sehr Quarterback-freundlichen "Goff-Offense" und der aggressiveren "Stafford-Offense" gefunden hatten. Es gab immer wieder die Spiele, die sich nach einem Flashback anfühlten und eindeutig an die vergangene Goff-Saison erinnerten.
Super Bowl: Die Rams-Offense - die Basics
- In puncto Personnel-Nutzung haben die Rams den Kreislauf vollendet: McVays Super-Bowl-Offense 2018 operierte ligaweit mit der höchsten 11-Personnel-Quote (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver) und konnte daraus ihr vertikales Play-Action-Passspiel aufziehen. Defenses stellten sich darauf aber mehr und mehr ein, sodass McVay Wege finden musste, trotz Goffs Limitierungen weiter Mismatches und explosive Plays zu schemen. In puncto Personnel lag die Antwort darin, mehr zwei Tight Ends aufzubieten und so über die Matchup-Schiene zu kommen: 2020 spielte L.A. 29 Prozent seiner Snaps in 12-Personnel, die ligaweit vierthöchste Quote.
- Mit Stafford ging das dramatisch zurück, die Rams spielten in dieser Saison nur noch 12 Prozent 12-Personnel - und führten die Liga mit einer 11-Personnel-Quote von 85 Prozent an (Liga-Schnitt: 61 Prozent). 12-Personnel bleibt derweil ein Shot-Play-Indikator: Wenn die Rams den Ball mit zwei Tight Ends auf dem Feld werfen, machen sie das laut Sharp Football Stats mit 10,3 Air Yards pro Pass - 2,5 Yards über dem Liga-Schnitt.
- Die offensive Umstellung durch den Quarterback-Wechsel wird auch im Play-Calling deutlich. Staffords Play-Action-Quote lag laut PFF bei 23,7 Prozent - zum Vergleich: Jared Goff bekam Play Action 2020 bei 32,9 Prozent seiner Pässe, 2019 lag er bei 32,8 Prozent und 2018 bei 35,8 Prozent. Eine drastische Umstellung. Wenn die Rams aber Play Action nutzen, dann ganz anders als zuletzt mit Goff. Dessen durchschnittliche Target-Tiefe bei Play Action lag letztes Jahr bei 6,7 Yards, der niedrigste Wert in der NFL. Stafford 2021 war fast exakt zwei Yards drüber.
- Stafford hatte die drittmeisten Touchdown-Pässe in unter 2,5 Sekunden in der Regular Season (23). Auffällig dabei ist, dass Stafford hier vergleichsweise wenige Big Plays selbst kreieren musste, sondern die Offense hier schematisch exzellent funktionierte. Staffords durchschnittliche Target-Tiefe in unter 2,5 Sekunden lag bei gerade einmal 4,7 Yards.
- Wie gut das Scheme funktioniert wird auch in einer weiteren Stat deutlich: Stafford warf nur 12,1 Prozent seiner Pässe in enge Fenster, einer der niedrigsten Werte in der NFL. Zum Vergleich: Super-Bowl-Gegenüber Joe Burrow liegt in dieser Kategorie am komplett anderen Ende des Spektrums mit über 19 Prozent.
- Nach Expected Points Added pro Play war Stafford der produktivste Quarterback dieser Saison gegen Single-High-Coverages sowie gegen Man Coverage. Cincinnati spielt gerne Single High mit Jessie Bates als Free Safety, ist allerdings in erster Linie ein Zone Coverage Team.
- Die Umstellung in der offensiven Rollenverteilung durch den - verletzungsbedingt erzwungenen - Wide-Receiver-Übergang von Robert Woods zu Odell Beckham war überdeutlich: Beckham verbrachte bei den Rams lediglich knapp 21 Prozent seiner Pass-Snaps im Slot; Woods hatte bis zu seiner Verletzung fast 45 Prozent der Snaps im Slot verbracht. Beckham übernahm eine deutlich vertikalere Rolle, was auch dazu führte, dass Tyler Higbee nach der Woods-Verletzung eine konstantere Rolle in der Offense übernahm.
- Und noch eine Veränderung war bei den Rams zuletzt festzustellen: In der Regular Season waren nur drei Teams - die Chiefs, die Bucs und die Bills - bei Early Down in neutralen Spielsituationen Pass-lastiger als die Rams, mit einer Quote von knapp 58 Prozent. Diese Quote fiel in den Playoffs auf knapp 51 Prozent, und hier passen die Zahlen zur Wahrnehmung: Die Early-Down-Runs mit Cam Akers waren häufig nicht erfolgreich, McVay blieb aber in der Postseason strikter dabei als in der Regular Season. Hier könnte eine Chance für Cincinnati liegen, damit das Spiel länger eng und eher Low-Scoring bleibt.
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Staffords beste Spiele kamen gegen Teams, die versuchten, ihn aggressiv zu spielen. Arizona, Tampa Bay, Houston, unter anderem. Zumindest den Gefallen dürfte ihm Cincinnati im Super Bowl kaum tun, dafür muss man sich nur den Auftritt der Bengals-Defense im Championship Game gegen die Chiefs anschauen. Auch Man Coverage wird Stafford vermutlich eher seltener sehen.
Die größte Frage aus Bengals-Sicht aber wird sein, ob sie halbwegs die richtige Balance finden zwischen einerseits genügend Leuten in Coverage und dem richtigen Maß an Aufmerksamkeit für Rams-Top-Receiver Cooper Kupp - und andererseits einem Pass-Rush, der Stafford hinter einer exzellenten Offensive Line unter Druck setzen kann.
Gegen die 49ers stand Stafford bei nur 25 Prozent seiner Dropbacks unter Druck, Tampa Bay konnte den Druck in der Divisional Round nur dadurch im Laufe des Spiels erhöhen, dass die Bucs Stafford insgesamt bei fast 40 Prozent seiner Dropbacks blitzten.
Das jedoch war selten das richtige Mittel gegen Stafford in diesem Jahr: Stafford war in dieser Saison einer der besten Quarterbacks gegen den Blitz.