Am 7. Dezember des vergangenen Jahres schwappte der sonst eher spärlich beachtete College-Football aus den USA in die deutsche Medienlandschaft. Amon-Ra St. Brown, Sohn eines US-amerikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, hatte im Spiel der University of Southern California gegen Washington State vier Touchdowns gefangen. In nur einem Viertel.
Niemand hatte auf diesem Level jemals mehr geschafft.
Es war eine herausragende Leistung, die sogar in Deutschland auf großes Interesse stieß. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete über St. Browns Rekordspiel, auch der Sport-Informations-Dienst verfasste eine ausführliche Meldung. Reichweitenstarke Medien wie das ZDF oder der Spiegel nahmen die Nachricht ebenso auf wie zahlreiche lokale Redaktionen.
"Vier Touchdowns in einem Spiel hatte ich zuletzt in der High School. Dass es heute so gekommen ist, war echt verrückt", zeigte sich St. Brown nach seinem Spiel damals begeistert. "Im College vier Touchdowns zu erzielen ist sehr ungewöhnlich. Daher bin ich einfach froh, dass meine Teamkollegen und meine Trainer an mich geglaubt haben."
Rund vier Monate später ist es - zumindest in den deutschen Medien - wieder ruhiger rund um den 21-Jährigen geworden.
Dabei steht St. Brown unmittelbar vor dem größten Schritt seiner noch jungen Karriere: Der Auswahl im NFL Draft.
Amon-Ra St. Brown: Zweiter NFL-Spieler der Familie
Ende des Monats, spätestens am 1. Mai, dürfte St. Brown als bereits zweiter Spieler seiner Familie den Sprung in die größte Football-Liga des Planeten schaffen: 2018 wurde bereits Amon-Ras älterer Bruder Equanimeous im Draft ausgewählt. Die Green Bay Packers entschieden sich damals in der 6. Draft-Runde für den Deutsch-Amerikaner.
Die außergewöhnlichen Namen von Equanimeous Tristan Imhotep J. und Amon-Ra Julian Heru J. stechen aufmerksamen Beobachtern sofort ins Auge: Auf einen ägyptischen Namen (ausgewählt von Vater John) folgt bei beiden ein traditioneller Vorname (ausgewählt von Mutter Miriam), ein weiterer ägyptischer Name sowie ein J, die Kurzform für "John".
An seinen Nachnamen hing der Vater bei seinen Söhnen obendrein kurzerhand noch ein "St.", aus Brown wurde St. Brown. "Nichts gegen Jim Brown oder John Brown, aber was sind das für Namen? Es gibt zu viele davon", erklärte Vater John seine Sichtweise. "Ich kann jeden Namen nehmen, den ich möchte. Und dann soll ich einen Sklavennamen aussuchen?"
Doch die Gemeinsamkeiten von Amon-Ra und Equanimeous gehen weit über ihre Namen hinaus: Beide sind Modellathleten mit Gardemaßen, beide spielen Wide Receiver. Gemeinsamkeiten, die nicht ganz zufällig zustande kamen.
Amon-Ra St. Brown: Gewichtheben im Vorschulalter
Vater John, ein ehemaliger Mr. Universum, macht keinen Hehl daraus, dass er seine Söhne bereits früh auf eine Karriere als Athleten vorbereiten wollte. Selbst bei der Suche nach einer Partnerin hätten die Gene wegen der späteren Fortpflanzung keine unwichtige Rolle gespielt, erklärt er.
Mit dem Krafttraining begannen die St. Browns bereits im Vorschulalter: Equanimeous war acht, Amon-Ra fünf und ihr gemeinsamer Bruder Osiris, ebenfalls ein Receiver auf dem College-Level, sechs als es erstmals auf die Hantelbank ging.
Die Jungs spielten Basketball, Baseball und Fußball, doch alle drei entschieden sich schließlich für Football als primärer Sportart. Er könne sie in die NFL bringen, soll John seinen Söhnen bereits im Kindesalter versprochen haben. Doch es würde hart werden. Alle drei nahmen die Herausforderung an.
Fortan erhielt jeder Sohn täglich zwei Proteinshakes, zum Abendessen gab es stets rotes Fleisch und zwar in solchen Mengen, das definitiv noch etwas fürs Frühstück am nächsten Morgen übrig bleiben musste. Auch die Coaches auf der High School lernten John kennen: Die meisten würden "einen Scheiß vom Gewichtheben" verstehen, sagte er.
Amon-Ra St. Browns Familie: "Sie sind nicht normal"
Während John seine Söhne sportlich drillte, setzte Mutter Miriam einen anderen Fokus: Amon-Ra und seine Brüder wurden trilingual erzogen. Miriam sprach mit ihnen ausschließlich auf deutsch, ein Jahr zog sie mit ihren Jungs nach Paris, um ihr Französisch zu verbessern.
Die St. Browns gehörten nicht nur auf dem Footballfeld stets zu den Besten, auch im Klassenraum waren ihre Leistungen stets herausragend. "Es hat mich jahrelang fasziniert", erinnert sich Amon-Ras High-School-Coach Bruce Rollinson. "Auf mich wirken sie wie normale Eltern mit drei gut erzogenen jungen Männern. Aber sie sind nicht normal."
Die drei Brüder hat ihre straffe Kindheit zusammengeschweißt. Lange teilten sie sich ein Schlafzimmer. Große Streits oder gar Kämpfe habe es untereinander jedoch nie gegeben.
"Nach Hause zu kommen und zu wissen, dass sie nicht da sein werden und dich begrüßen, das kommt für mich dem Tod gleich", sagte Amon-Ra nachdem seine beiden älteren Brüder aufs College gegangen waren. "Ich habe ein gebrochenes Herz."
Amon-Ra St. Brown: Eines der größten Talente des Landes
Doch Amon-Ra ist keine Kopie von Equanimeous und Osiris. Der Youngster ist der lauteste und selbstbewussteste der drei Brüder, auf dem Platz gilt er als Trash-Talker. Obwohl er der Kleinste der St. Browns ist, kann er auf der Hantelbank am meisten stemmen.
Darüber hinaus habe Amon-Ra das Organisationstalent seiner Mutter geerbt, erzählen enge Begleiter. "Er ist ein Mann mit einem Auftrag", sagt Coach Rollinson über ihn. "Amon-Ra hat seine Energie noch nie verschwendet. Bei nichts, was er tut."
Und obwohl Equanimeous es 2018 in die NFL schaffte und Osiris in seiner Freshman-Saison für Stanford bereits über 200 Yards und auch einen Touchdown fing, gilt Amon-Ra seit Jahren als das größte Talent seiner Familie.
Nach mehr als 1300 Receiving Yards und 20 Touchdowns für die Matei Dei High School stufte ihn 247Sports als eines der größten Talente des Landes ein. Die Colleges standen Schlange, darunter große Namen wie Alabama, Georgia und Florida.
St. Brown entschied sich jedoch für USC in Kalifornien, wo er aufgewachsen ist und fast sein gesamtes Leben verbracht hat. Und auch bei den Trojans stieg sein Stern weiter und weiter.
Amon-Ra St. Brown: Doch kein Erstrundenpick?
Als Freshman fing St. Brown bereits 60 Pässe für 750 Yards, in seinem zweiten Jahr verbesserte er sich merklich: 1042 Receiving Yards und sechs Touchdowns standen am Saisonende zu Buche. Noch konnte sich St. Brown noch nicht für den Draft anmelden, der Receiver wurde jedoch bereits als Erstrundenpick im kommenden Jahr gehandelt.
In der letzten, verkürzten College-Saison konnte St. Brown seinen Status als absolutes Top-Talent allerdings nicht weiter zementieren. Mit 478 Receiving Yards und sieben Touchdowns (vier davon gegen Washington State) führte er seine Trojans zwar an, Scouts machten allerdings auch Fragezeichen in seinem Spiel aus.
Der Junior war in seiner letzten Saison für USC mehr als Outside Receiver zum Einsatz gekommen, konnte in dieser Rolle jedoch nicht immer überzeugen. So mancher Experte sieht St. Brown auf dem Profilevel mittlerweile primär als Slot-Receiver, seine Rolle wäre somit etwas limitiert.
Dass der 21-Jährige das Zeug für das höchste Level hat, ist weitgehend unumstritten. Mittlerweile wird St. Brown jedoch eher als solide Nummer zwei und nicht mehr als kommender Superstar gehandelt.
Dass die Wide-Receiver-Klasse 2021 zu den besten der vergangenen Jahre zählt, half im Vorfeld des Drafts obendrein nur wenig.
St. Brown nicht in der Top 12: Das Wide-Receiver-Ranking zum Draft
Amon-Ra St. Brown: "Ich will einen guten Quarterback haben"
Mit einem starken Pro Day, bei dem er die Erwartungen mit 40 Yards in 4,51 Sekunden sowie 20 Wiederholungen beim Bankdrücken übertraf, konnte St. Brown kürzlich jedoch einmal mehr für positive Schlagzeilen sorgen. In der ersten Runde des Drafts wird der Deutsch-Amerikaner seinen Namen wohl nicht hören, am zweiten Draft-Tag, also in den Runden zwei und drei, stehen die Chancen besser.
Für St. Brown ist seine Draft-Position aber ohnehin nicht entscheidend. "Lieber in der dritten Runde ausgewählt werden und zu einer guten Mannschaft kommen, als in der zweiten Runde und zu einem schlechten Team", sagt er.
Mit 23 Teams habe er bereits Kontakt gehabt, erklärte St. Brown am Rande seines Pro Days. Weitere dürften seitdem hinzugekommen sein. Eine Wiedervereinigung mit seinem Bruder bei den Packers wäre "sehr cool", ein favorisiertes Team wollte St. Brown dennoch lieber nicht nennen.
"Ich will einen guten Quarterback haben und eine Mannschaft, die gewinnt", beschrieb er sein Traumszenario. Und er fügte hinzu: "Und niedrige Steuern."