Hier geht es nicht um die generelle Weltanschauung von Drew Brees. Es geht auch nicht darum, seine durchaus finanzstarke und jahrelange Unterstützung für die Menschen in New Orleans und anderswo zu relativieren oder gar zu hinterfragen. Und in keiner Weise geht es darum, Drew Brees als Rassisten hinzustellen. Seine Aussage steht jedoch sinnbildlich für eine privilegierte Sichtweise, welche die drastisch unterschiedliche Realität für verschiedene Teile der Gesellschaft verdeutlicht.
Wie es seit Beginn der Proteste von Colin Kaepernick zu beobachten war, vermischte Brees zwei Themen, die nichts miteinander zu tun haben: die Flagge und Hymne der USA als Symbol für Freiheit sowie für die Opfer, die Menschen erbracht haben, um diese Freiheit zu sichern auf der einen, die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt auf der anderen Seite.
Es zeigt, dass Brees den Kern der Debatte nicht verstanden hat. Dass es bei den Protesten nie darum ging, Flagge oder Militär zu kritisieren. Das wurde nicht nur wiederholt von Colin Kaepernick öffentlich erklärt, selbst die Art des Protests hatte er mit einem ehemaligen Elite-Soldaten ausgearbeitet, um eben nicht die Debatte auf das "Wie" des Protests zu lenken.
Der Kommentar von Brees - er werde "niemals jemandem dabei zustimmen, die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika nicht zu respektieren" - zeigt ein verschobenes Weltbild und suggeriert einen Unwillen, sich die eigentlichen Probleme anzuhören. Diese haben gefälligst hinter der Flagge und der Hymne anzustehen.
Brees' Aussage ist gefährlich für den Kern der Diskussion
Doch die Kritik an der Denkweise, die Brees an den Tag legte, sollte weiter gehen. Stellt man Symbole über Menschen, sollte man das grundsätzlich immer hinterfragen. Die Ironie, dass die Proteste auch anprangern, dass die Ideale, für die diese Flagge im Kopf vieler privilegierter, von Rassismus nicht betroffener Menschen steht, nicht ansatzweise der Realität entsprechen, kommt noch dazu.
Was Brees' Aussage aber erst so richtig gefährlich macht, ist, dass er mit seiner einflussreichen Stimme, die das entsprechende Klientel in der eigenen Sichtweise bestätigen wird, wieder vom "Warum" der Proteste ablenkt. Um darüber zu diskutieren, wie und wo und wann man protestieren darf. Die Stimme des Protests wird so relativiert und das Gefühl, nicht gehört zu werden, dürfte bei den Protestierenden wieder bestätigt werden.
Genau das war schon beim Diskurs im Zuge von Kaepernicks Protest damals ein riesiges Problem. Es verwässert die Diskussion, weil plötzlich über Aspekte gesprochen wird, die mit dem eigentlichen Problem überhaupt nichts zu tun haben und schnell ist das, was Kern jeder Debatten hier sein sollte - Rassismus und Polizeigewalt - wieder nur noch als Hintergrundgeräusch vorhanden.
Genau das gilt es zu verhindern. Um eben nicht wieder in den Kreislauf "Tat - Aufschrei - Proteste - Alltag" zu geraten.
Reaktionen auf Brees: Grund zur Hoffnung
Trotzdem gibt es zumindest Grund zur Hoffnung. Brees' Kommentar wäre vor knapp vier Jahren, als die Debatte um Kaepernicks Protest tobte, noch deutlich, deutlich weniger kritisch beäugt worden. Es hätte einzelne kritische Antworten gegeben, aber nicht ansatzweise diesen Shitstorm, den er jetzt gerade erntet; insbesondere nicht von eigenen Mitspielern. "Shut the fuck up", hatte ihn Safety und Teamkollege Malcolm Jenkins in einem emotionalen Interview aufgefordert - wie häufig gab es diese Aussage bislang über den eigenen Quarterback, noch dazu wenn der Brees' Standing hat?
Doch fast noch wichtiger ist, dass sich auch andere weiße Spieler zu Wort gemeldet haben, allen voran Aaron Rodgers, mit dem klaren Hinweis, dass es eben nicht um die Flagge oder das Militär geht. Das sind die Stimmen, die es braucht, um die Menschen zu erreichen, deren Weltbild verändert werden muss - und vor vier Jahren waren diese Stimmen sehr rar gesät.
Dass ein Aaron Rodgers sich jetzt so deutlich äußert, und dass Brees den verdienten Gegenwind erhält, den es jetzt gerade gibt, zeigt auch eine positive Erkenntnis - denn das zeigt, dass ein Umdenken stattfindet, dass die Stimmen lauter werden, die Veränderungen vorantreiben können und dass die gesamtgesellschaftliche Sichtweise auf die Probleme des Rassismus und der Polizeigewalt an einen Punkt gekommen sind, an dem vom Thema ablenkende Aussagen wie die von Brees nicht mehr zugelassen werden.
Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Fortschritt nicht nur als ein dieses Mal etwas größeres Strohfeuer entpuppt, sondern dass die Debatte auch geführt wird, wenn die Proteste auf den Straßen abebben. Dann nämlich kann wirklicher Fortschritt erzielt werden. Und dann wird auch die NFL mit ihrer Bühne gefordert sein.
Anmerkung: Einige Stunden nach Veröffentlichung dieses Kommentars meldete sich Drew Brees mit einer Entschuldigung via Instagram zurück. Den genauen Wortlaut dafür gibt es hier.