Im Sommer 2010 feierten Quinnen, seine drei Geschwister und der Rest der großen Williams-Familie den Unabhängigkeitstag so wie viele andere Familien in den USA, glücklich und unter dem dank Feuerwerkskörpern hell aufleuchtenden Himmel. Der 12-Jährige sollte nur kurze Zeit später eine traurige Nachricht erfahren.
Bei Quinnens Mutter, Marquischa Henderson Williams, ist der Brustkrebs wieder aufgetreten. Es stand ein Kampf bevor, den die Familie schon fünf Jahre vorher durchlebte. Erfolgreich.
In den darauffolgenden Wochen allerdings begann die Familie langsam zu erkennen, dass das Ende in diesem Fall anders aussehen würde. Der Krebs breitete sich auf die Leber aus. Quinnens Mutter Marquischa starb im Alter von nur 38 Jahren.
Quinnen Williams: Geprägt von einer Erinnerung
Der Verlust sollte eine tiefe Narbe bei dem Jungen hinterlassen, der seine Mutter als "besten Freund" bezeichnete. "Als Kind habe ich viel gelacht und war sehr zugänglich", erinnert sich Quinnen. "Als sie von uns gegangen ist, bin ich in ein dunkles Loch gefallen."
Quinnen und seine jüngeren Geschwister sind in der Folge von den Großeltern aufgezogen worden. Der Großvater erinnerte die Kinder an die Botschaft, die ihnen ihre Mutter schon ihr ganzes Leben lang mitgeteilt hatte. "Es ging ihr immer um die Schule und Sport", erzählt Quincy, einer von Quinnens Brüdern. "Der Sport war für uns der Weg, aus der Realität zu entkommen, dass unsere Mutter von uns gegangen ist."
Etwas mehr als acht Jahre später ist Quinnen noch immer nicht über den Tod seiner Mutter hinweggekommen. Er lehnt es höflich ab, darüber zu sprechen und wird auch niemandem erzählen, dass er spielt, um sie stolz zu machen. Doch schreibt er ihren Namen vor jedem Spiel auf sein Tape auf dem Handgelenk.
Williams startete nur eine einzige Saison
Die Erinnerung an seine Mutter nutzt "Big Baby", wie er von seinen Freunden aufgrund seiner ruhigen Art genannt wird, jedoch als Katalysator auf dem Platz. 136 Kilogramm bringt der 21-Jährige auf die Waage. In Kombination mit seiner herausragenden Schnellig- und Beweglichkeit sowie der hervorragenden Arbeit mit den Händen ist Williams zu einer unaufhaltsamen Abrissbirne geworden.
Diese Abrissbirne hat in der Vorsaison, seiner einzigen Saison als Starter, 70 Tackles, 18,5 davon for Loss, 7 Sacks und einen Safety provoziert. Bei 43 Pressures erinnerte Williams den einen oder anderen Scout an die College-Tage Aaron Donalds.
Anfang November hatte er im Spiel gegen LSU die wohl beste Leistung eines College-Spielers in der gesamten Saison, als er sieben Solo-Tackles und 2,5 Sacks beisteuerte. Williams kann die Entwicklung selbst kaum fassen.
"Es ist unglaublich. Ich habe einfach an die Entwicklung und die Arbeit von Coach Saban geglaubt und das getan, was der Staff von mir wollte", resümierte Williams. "Mir war klar, dass ich gut sein würde. Ich hatte aber keine Ahnung, dass ich so gut bin."
Quinnen Williams erst seit 2018 Nose Tackle
Eine derartige Entwicklung war bei Williams in der Tat keineswegs vorauszusehen. Der kuriose Fakt beim aufstrebenden Superstar ist nämlich, dass er vor dieser Saison so gut wie überhaupt keine Snaps bei den Crimson Tide gesehen hatte. Ganz im Gegenteil: Williams musste sogar eine ganz andere Position lernen, um überhaupt einmal auf das Feld zu kommen.
Bama-Coach Nick Saban teilte Williams vor der Saison mit, dass er ihn gerne als Nose Tackle anstatt wie bisher als Defensive End aufstellen würde. Der Wechsel war essenziell, doch musste er dafür erstmal rund 20 Kilogramm zunehmen.
Williams nahm die Herausforderung in der Offseason an und erinnert sich daran, dass er teils so viel gegessen hatte - mindestens einmal am Tag Steak -, dass ihm schlecht wurde. Doch wurde er für seinen Aufwand belohnt. Seine Geschwindigkeit schaffte Williams nämlich beizubehalten und so wurde er zu einem nicht mehr kontrollierbarem Spieler, auf den sich gegnerische Game Plans immer deutlicher konzentrieren mussten.
"Der Junge hat es im letzten Jahr noch nicht einmal auf das Feld geschafft", sagte ein Assistant Coach in der SEC über Williams, der 2018 durchschnittlich fast so viele Tackles hatte (5) wie 2017 Snaps pro Spiel (7). "Wenn du jetzt auf ihn achtest, dann siehst du, dass ihn kein verdammter Spieler in diesem Land blocken kann."
Williams: "Habe nicht damit gerechnet"
"Ich habe noch nicht einmal damit gerechnet, überhaupt auf das Feld zu kommen", erinnerte sich Williams an die Anfangsphase der letzten Saison. "Viele Spieler kommen in ihrem Freshman-Jahr am College gar nicht zum Zug und das zerstört sie. Es gibt so vieles, an das ich zurückblicke und mich selbst frage, wie ich es bis an diesen Moment geschafft habe."
Williams wandelte seine Unsicherheit in ein bemerkenswertes Selbstvertrauen um und sagte seine Sacks regelmäßig an der Seitenlinie an. "Er sagt es uns schon bevor auf das Feld kommt", erzählte Bamas Quarterback Tua Tagovailoa. "'Ich werde in der nächsten Serie zwei Sacks haben.' Und dann macht er es einfach."
Und so war Williams freilich auch schnell in Sachen Draft ein Thema, das immer größer wurde. Scouts und Journalisten begannen schnell mit den Vergleichen zu Aaron Donald und den ehemaligen Alabama-Nose-Tackles wie Da'Ron Payne, A'Shawn Robinson, Jarran Reed und Marcell Dareus. Doch stand für den 21-Jährigen erst einmal die Combine an.
Williams schneller als J.J. Watt und Geno Atkins
Um sich hier im bestmöglichen Licht zu präsentieren ging Williams einen Kompromiss mit sich selbst ein. Der glühende Fan der auch hierzulande bekannten Oreo-Kekse wollte in seinen Vorbereitungen auf seinen Lieblings-Snack verzichten.
Als ihm kurz vor dem 40-Yard-Dash aber welche angeboten wurden, konnte Williams allerdings doch nicht ablehnen. Vielleicht war es sogar gerade das, was ihn bei seinem Lauf förmlich beflügelte. Williams nämlich lief eine unglaubliche 4,83 und damit die vierschnellste 40 eines 300-Pfund-Lineman aller Zeiten. Damit lief er unter anderem schneller als J.J. Watt, Geno Atkins oder Da'Ron Payne.
"Ich habe noch einen kleinen Snack auf dem Weg gebraucht. Ich liebe Oreos einfach", erklärte Williams gegenüber The Athletic, die ihn prompt auf eine mögliche Werbekooperation ansprachen. "Ich hoffe, sie haben heute zugeschaut."
Williams' Aufstieg: "Das passiert eigentlich nicht"
ESPN listet für die erste Runde des diesjährigen Drafts gleich 14 Defensive Linemen. Ein Testament für das Talent auf dieser Position in diesem Jahrgang.
Dass Williams derartige Konkurrenz innerhalb einer einzigen aussagekräftigen Saison überholt hat, ist schlicht unglaublich. Zwar ist Alabama seit der Ankunft von Nick Saban bekannt dafür, qualitativ hervorragende Spieler auf dieser Position herauszubringen. Dass ein Spieler aber überhaupt kein Faktor ist, um innerhalb von wenigen Wochen der beste Spieler seiner Position im ganzen Land zu werden, ist einzigartig.
"Dass ein Spieler bei niemandem auf dem Schirm ist und plötzlich zu dem Typen wird, über den jeder spricht. Das passiert eigentlich nicht", fasste ein regionaler Scout eines NFC-Teams den kometenhaften Aufstieg Williams' zusammen. Inzwischen brachte Draft-Experte Daniel Jeremiah vom NFL Network den Tackle auch als First-Overall-Pick ins Gespräch.
Williams: Der erste Gehaltscheck ist bereits verplant
Die Erinnerung an seine Mutter war eine treibende Kraft, die stets in dem explosiven Koloss steckte. Ein Positionswechsel sollte all diese Power entfesseln und Williams zu einem unglaublichen Karrieresprung verhelfen, den der in sich gekehrte Junge nicht hat kommen sehen. "Ich habe das definitiv nicht erwartet. Es ist einfach passiert."
Worauf er hingegen besser vorbereitet ist, ist der erste große Gehaltscheck, den er als Top-Fünf-Pick in der NFL erhalten will. Den will Williams in ein Geschenk für die Person investieren, die ihn anstelle seiner Mutter und seines "besten Freundes" großgezogen hat. "Mrs. Henderson", wie Williams seine Großmutter nennt, soll nämlich ein Auto bekommen.