Die Draft-Klasse des Jahrgangs 2004 war eine ganz spezielle. Vielleicht hat sie sogar bis heute die Messlatte in Sachen Quarterback-Produktion gelegt: Mit Eli Manning (1. Pick), Philip Rivers (4.) und Ben Roethlisberger (11.) gingen gleich drei Quarterbacks in der ersten Runde vom Draft Board, die ihre mittlerweile 14 Jahre andauernden NFL-Karrieren bei nur einem einzigen Team verbrachten.
Manning und Roethlisberger durften ihre Vorzeigelaufbahn bereits mit dem Gewinn von Super Bowls krönen. Eine Ehre, welche Rivers noch nicht zuteil geworden ist. Der Quarterback, der im Draft 2004 von den New York Giants an die San Diego Chargers abgegeben wurde, war während seiner gesamten Karriere für eine großartige offensive Produktion bekannt, genauso allerdings wie für hohe Turnover-Zahlen.
Seit dem Umzug der Chargers von San Diego nach Los Angeles und der gleichzeitigen Ankunft von Head Coach Anthony Lynn scheint Rivers ein weitaus größeres Augenmerk darauf zu richten, besser auf den Ball aufzupassen. Gleichbedeutend sind die Aussichten auf die Postseason groß wie lange nicht mehr. Als Fünfter in der AFC würde Rivers mit den Chargers nach dem aktuellen Playoffbild in der Wild-Card-Runde bei den Pittsburgh Steelers antreten müssen.
Das Duell in der Nacht auf Montag könnte also eine Preview auf eine Begegnung im Januar sein.
Philip Rivers stellt seine größte Schwäche ab
Manchmal geht es noch mit ihm durch. So wie in Week 11, als Rivers bei einem 2nd&20 und einem schlechten Snap noch das Unmögliche versuchte und gegen Druck und in Schräglage einen langen Pass in Richtung Keenan Allen warf. Broncos-Corner Chris Harris interceptete Rivers' ungenauen Pass und bestrafte den Veteran für sein riskantes Vorgehen, welches so häufig in seiner Karriere eine teure Rechnung zu Folge hatte.
Seit nunmehr zwei Jahren aber geht Rivers immer seltener Risiko und trifft auch in schwierigen Situationen die konservative Entscheidung. In der Vorwoche stellte er mit unglaublichen 25 erfolgreichen Passversuchen in Folge einen NFL-Rekord ein. Einer davon war ein Checkdown bei 2nd&20, als er eben davon absah, das Unmögliche zu erzwingen. So kommt es, dass der Quarterback in zwei Jahren in L.A. 16 Interceptions warf, nachdem es allein 2016 noch 21 waren.
Rivers' Gunslinger-Mentalität prägte seine Karriere. Sie brachte die Chargers immer wieder in aussichtsreiche Situationen und genauso in die Bredouille: In 13 Spielzeiten als Starter hatte Rivers mit den Chargers nur dreimal eine negative Bilanz. Dennoch schaffte man nur fünfmal den Weg in die Postseason, jeweils ohne den Super Bowl zu erreichen. Häufiger überwog hier die Schattenseite des Playcallers.
MVP-Rennen: Philip Rivers mit Außenseiterchancen
Die 2018er-Saison soll nicht nur den erstmaligen Playoff-Einzug seit 2013 bringen, sondern gerne auch noch ein bischen mehr. Selten hatte Rivers einen derart starken Supporting Cast an seiner Seite wie in dieser Spielzeit, auf der offensiven wie auf der defensiven Seite. Es scheint, als hätte er genau zur richtigen Zeit eine seiner größten Schwächen abgelegt und blühe nun voll auf. So stark spielt er, dass Rivers in MVP-Diskussionen erwähnt wird.
Der 36-Jährige ist auf bestem Wege, nach Peyton Manning und Drew Brees der dritte Quarterback zu werden, der in zehn Spielzeiten mindestens 4.000 Passing Yards verbucht. Hierfür fehlen ihm in den letzten fünf Spielen dieses Jahres nur noch 881 Yards. Rivers liegt darüber hinaus auf Platz vier in Sachen Touchdown-Pässe - und er legt all diese Zahlen auf, während er die beste Completion-Percentage (69,5) und die niedrigste Interception-Rate (1,7) seiner Karriere verbucht.
Dafür hat auch der ewige Kontrahent Roethlisberger eine Menge Respekt übrig. "Er ist ein MVP-Kaliber, der auf einem MVP-Level spielt", so Big Ben über Rivers. "Was er in der letzten Woche getan hat, war spektakulär: 25 Pässe in Folge. Aber es fällt ihm leicht und es macht Spaß, ihm zuzusehen."
Während beide Quarterbacks noch nicht mit dem MVP-Award ausgezeichnet wurden, durfte sich Roethlisberger schon über zwei Super-Bowl-Triumphe (XL, XLIII) freuen. Rivers eifert ihm hierbei noch nach. Jetzt, wo er seinen Instinkt unter Kontrolle bekommen und das geschafft hat, was er nach eigener Aussage schon "die gesamte Karriere lang versucht" hat, ist der Gipfel vielleicht so nah wie nie zuvor.
Ben Roethlisberger: Kritik an Mitspielern "gehört zu meiner Aufgabe"
Für Roethlisberger war das Thema Turnover während seiner Karriere ebenfalls kein unbekanntes, doch hatten die Steelers auch damit über weite Strecken Erfolg. In den letzten beiden Wochen sorgten empfindliche Fehler des 36-Jährigen fast für gleich zwei Niederlagen. Langsam stellt sich etwas Nervosität ein, wie schon zu Beginn der Saison.
In einer Radiosendung erklärte Roethlisberger die beiden Picks, die Pittsburgh das Spiel in Denver in der Vorwoche gekostet hatten: Antonio Brown sei eine Route falsch gelaufen, JuJu Smith-Schuster müsste man den Ball in jeder Goal-Line-Situation zuspielen. Auch Rookie James Washington bekam aufgrund eines Drops sein Fett weg.
Auf seine Aussagen angesprochen, reagierte der Quarterback unter der Woche etwas genervt und erklärte, dass es als Quarterback und Kapitän seine Aufgabe sei, derartige Dinge auszusprechen. Er glaube nicht, dass es ein Problem sei, "aber da müssen Sie schon die anderen fragen."
Ob die fehlende Chemie im Team Grund dafür ist, dass die Steelers in dieser Spielzeit besonders große Turnover-Sorgen haben? Nur sechs Teams haben den Ball häufiger hergeschenkt, sie alle haben eine negative Bilanz, während Pittsburgh vor der knappen Niederlage in Mile High sechs aufeinanderfolgende Spiele gewonnen hatte.
Das offensive Potenzial lässt die Steelers auch trotz einer katastrophalen Turnover-Differenz von -7 von einer First-Round-Bye-Week in den Playoffs hoffen.
Pittsburgh Steelers: Mit dem Deep-Passing-Game zum Erfolg?
Gegen die Chargers muss man jedoch wieder in den Tritt finden, und das gegen eine der stärkeren Pass Defenses der Liga. Nach dem DVOA-System von Football Outsiders verteidigt kein Team Pässe über maximal 15 Yards in der Luft besser. Gerade wenn kurze Pässe auf die Außenbahn gehen, lässt L.A. wenig zu.
Pittsburgh sollte sein Glück also mit langen Pässen versuchen. Ein Mittel, welches in dieser Saison überraschend selten zum Erfolg geführt hat, betrachtet man die Waffen, die das Team von Head Coach Mike Tomlin zur Verfügung hat. Die Chargers lassen sich hier überwinden und die Steelers könnten dann mit einer Menge Breakaway-Speed zum Erfolg kommen.
Grundvoraussetzung dafür ist, dass Pittsburgh O-Line die Pocket sauber hält. Mit einer zugelassenen Pressure-Rate von 17,9 Prozent legt die Steelers-Line einen Bestwert in der Liga auf. Wenn aber doch jemand durchkommt, gibt es Probleme: Roethlisberger spielt in Drucksituationen in dieser Saison unglücklich und verursachte schon mehrere Ballverluste.
Für Los Angeles sollten die zwei Sacks von Joey Bosa in der Vorwoche Zuversicht geben, allerdings mit dem Bewusstsein, dass die O-Line der Cardinals und der Steelers einmal Liga-Bodensatz und einmal Ligaspitze bedeuten. Die Chargers hatten in dieser Saison Probleme, Druck zu kreieren. Dies könnte zum Problem werden.
Los Angeles Chargers: Wie schwer wiegt Melvin Gordons Ausfall?
Auf der anderen Seite des Balles werden die Chargers erstmals ohne Star-Running-Back Melvin Gordon auskommen müssen. Die Abwesenheit einer der erfolgreichsten Red-Zone-Waffen der Saison könnte sich aber als nicht so dramatisch herausstellen, wie teilweise vermutet.
Backup Austin Ekeler, der von seinem Coach als "der physisch stärkste Spieler des Teams" bezeichnet wird, hat im Vergleich zu Gordon sogar eine noch bessere Success Rate (57 zu 54 Prozent). Und nicht nur das: Ekeler durchbricht prozentuell gesehen auch mehr Tackles als Gordon - ein Faktor, der gegen das schwache Tackling der Steelers in dieser Saison eine durchaus bedeutsame Rolle spielen kann.
Ein interessantes Duell könnte außerdem in Sachen Play-Action-Usage bevorstehen. Die Chargers sind zwar eines der besten Play-Action-Teams der aktuellen Saison und machen daraus durchschnittlich 9,2 Yard pro Passversuch. Kein Team allerdings verteidigt Play Action besser als Pittsburgh: Die Steelers lassen hier nur 5 Yards pro Passversuch zu.
Noch dazu blitzt Pittsburgh gerne. Laut ESPN Stats & Information schicken die Steelers bei 37 Prozent aller Snaps mindestens fünf ihrer Verteidiger in Richtung des Quarterbacks und blitzen damit häufiger als jedes andere Team. Dies kann bei einem weniger beweglichen Quarterback wie Rivers schnell zu Problemen führen. Ohnehin wittern die Steelers ihre Chance, wenn der gegnerische Playcaller Under Center steht. Hier forciert man einen negativen DVOA-Wert von -19,3 Prozent, während Pittsburghs Defense aus der Shotgun einen DVOA von 7,5 Prozent zulässt.
Chargers noch mit Chancen auf die AFC-West-Krone
Die Chargers haben nur eines von 15 Auswärtsspielen in Pittsburgh gewinnen können. Sollte Rivers diesmal die Nase vorne behalten, wird er noch dichter an die Spitzengruppe des MVP-Rennens rücken. Speziell nach New Orleans' Niederlage in Dallas.
Vor allem aber auf das Playoff-Rennen wird das Spiel große Auswirkungen haben: Die Steelers und Chargers sind zwei von vier Teams in der AFC mit drei Niederlagen und obwohl L.A. eine derart erfolgreiche Saison spielt, hat die Chargers aktuell so wirklich niemand auf dem Zettel. Die AFC scheint Jahr für Jahr über die alten Bekannten zu gehen. New England und Pittsburgh werden schon wieder das altbekannte Gesicht zeigen, wenn der Dezember beginnt.
Und dann gibt es ja auch noch den Grund, warum L.A. trotz der formidablen Bilanz von 8 Siegen und 3 Niederlagen überhaupt nur Zweiter in der AFC West ist und voraussichtlich ohne Heimvorteil in die Postseason geht: die Kansas City Chiefs (9-2).
Doch würden sich die Chargers mit dem zweiten Auswärtserfolg bei den Steelers nach 2012 eine Chance auf ein Endspiel um den Division-Sieg gegen die Chiefs in Week 15 bewahren. Rivers würde außerdem weiter im Rennen um den MVP-Award stehen und weiter daran arbeiten, den gleichen Weg wie seine Klassengefährten von zu gehen: Hand in Hand in Richtung Hall of Fame.