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NFL: Drew Brees und der Frühling, der die Football-Geschichte für immer veränderte

Drew Brees wäre um ein Haar der Quarterback der Miami Dolphins geworden.
© getty

Drew Brees ist ein legitimer MVP-Kandidat - wieder einmal. In den vergangenen Wochen hat er sich die Bestmarke für die All-Time Passing-Yards von Peyton Manning geschnappt und ist in den noch sehr kleinen 500-Touchdown-Pässe-Klub aufgestiegen. Brees ist auch mit 39 der akkurateste Quarterback der NFL; und er hat den Verlauf der Football-Welt vor Jahren komplett verändert. Es ist auch die Geschichte des Mannes, der einer ganzen Stadt wieder Hoffnung gab.

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"Wir wussten, dass das kein einfacher Besuch werden würde", weiß Saints-Coach Sean Payton auch noch heute, wenn er sich an den Frühling 2006 zurück erinnert. Payton hatte das Team gerade erst vor einigen Monaten übernommen und brauchte dringend einen Quarterback, nachdem die Saints zuvor frisch aus einer 3-13-Saison gekommen waren.

Doch war es nicht einfach nur eine schlechte Football-Saison in Louisiana - New Orleans war gerade durch die Hölle gegangen.

Hurrikan Katrina hatte die Stadt im Herbst 2005 in weiten Teilen unter Wasser gesetzt, unzählige Häuser und Straßen zerstört und viele hundert Menschen das Leben gekostet. Das Team trug seine "Heimspiele" in der 2005er Saison in San Antonio, Baton Rouge und New York aus, New Orleans lag buchstäblich in Trümmern.

Das war auch im Frühjahr 2006 noch überdeutlich sichtbar, in manchen Gebieten sah New Orleans noch aus, als wäre der Sturm gerade durch die Stadt gezogen. Payton, der sich selbst noch nicht wirklich auskannte, hatte Drew Brees als sein Top-Ziel ausgemacht und so fuhr er den Quarterback und seine Frau Brittany vom Flughafen aus durch die Stadt, um sich zu unterhalten und den beiden einige mögliche Wohngegenden zu zeigen, sollte Brees sich für die Saints entscheiden.

Und dann verfuhr sich Payton. Das Trio landete in einigen der schlimmeren Gegenden, rund eine Stunde irrte Payton herum, das Paar, das eine Entscheidung für seine langfristige Zukunft treffen und sich überlegen musste, wo sie Kinder bekommen und aufziehen wollen, sah viele der Bereiche der Stadt, die noch mehr oder weniger komplett zerstört waren.

"Ich dachte mir in dem Moment", verriet Payton später, "dass ich die beiden auch direkt zum Flughafen zurück fahren und in den Flieger nach Miami, zu den Dolphins setzen kann."

Drew Brees verlässt die Chargers

Im März 2006 war Brees 27 Jahre alt, hatte kein Team und war damit beschäftigt, sich nach einer schweren Schulterverletzung zurück zu arbeiten. Die San Diego Chargers hatten ihm nur einen stark mit Bonus-Zahlungen aufgebauten Vertrag angeboten, mit dem Wissen über seine Verletzung einerseits und einer veritablen Alternative im Team mit dem jungen Philip Rivers andererseits in der Hinterhand.

Brees lehnte ab, ließ sich vom schon damals bekannten Arzt Dr. James Andrews - der die OP an seiner Schulter auch durchgeführt hatte - ein öffentliches Statement über die Heilungsschancen ausstellen und war dann ein Free Agent.

"Ich erinnere mich noch genau, dass der erste Anruf von Sean Payton kam", berichtet Brees heute. "Das war für mich ein ziemlicher Boost, weil ich ja keine Ahnung hatte, wie die Free Agency für mich aussehen würde - einen Spieler, der gerade von einer schweren Verletzung zurückkehrt, der acht Monate Reha vor sich hat und dem manche Ärzte sagen, dass er eine 25-prozentige Chance hat, wieder Football spielen zu können."

Doch generell waren Brees' Zweifel durchaus berechtigt. Ein etablierter Franchise-Quarterback - wenngleich noch weit weg von seinem heutigen Superstar-Top-5-Status - war auf dem Markt und im Endeffekt zeigten nur zwei Teams wirklich konkretes Interesse: Die Saints und die Miami Dolphins.

Dolphins und Brees: Vorsicht wird Miami zum Verhängnis

Miami war damals sportlich das attraktivere Ziel. Die Dolphins hatten gerade ihre erste Saison unter Nick Saban beendet und den Turnaround schon vielversprechend eingeleitet, auf dem Rücken einer guten Defense gelangen prompt neun Siege. Der nächste logische Schritt? Saban brauchte einen Quarterback, er wollte Drew Brees - und Brees wollte, so die Geschichte, nach Miami. Die beiden vereinbarten, dass man sich treffen wird, sobald Brees' Besuch in New Orleans beendet ist.

Obwohl die Saints letztlich ein gutes erstes Angebot abgaben und Brees eine Verbindung zu Payton spürte, flog der Quarterback also nach Florida und traf sich in Fort Lauderdale mit Saban zum Abendessen. Doch vielmehr war es der nächste Tag, der die Entscheidung gegen die Dolphins und für New Orleans in die Wege leitete.

Wie später berichtet wurde, musste Brees einen sechsstündigen Test der Dolphins-Ärzte über sich ergehen lassen und verließ die Team-Einrichtungen mit einem unguten Gefühl. Saban selbst erzählt das, was damals passierte, heute so: "Wir hatten uns für Drew Brees entschieden. Wir waren der Meinung, dass er ein sehr guter Spieler ist. Aber um es ganz direkt zu sagen: Er hat die Tests der Ärzte nicht bestanden, also mussten wir in eine andere Richtung gehen."

Ehe die Entscheidung mutmaßlich aufgrund des dringenden Rats der Ärzte, das Risiko nicht einzugehen, getroffen wurde, hatte Saban gar die Leader innerhalb seines Teams befragt. Defensive Lineman Kevin Carter verriet der Sports Illustrated: "Wir haben uns einstimmig für Drew Brees ausgesprochen. Hätte er Brees verpflichtet, wären wir glaube ich ein konstantes Playoff-Team gewesen und hätten uns mit den Patriots um die Division gestritten. Wenn Brees nach Miami gekommen wäre, dann wäre er dort immer noch der Quarterback und vielleicht reden wir auch von einem Titel."

Miamis schwerer Fehler und ein neues Zeitalter in New Orleans

Saban hat in den vergangenen Jahren mehrfach betont, dass er Brees wollte, das medizinische Urteil aber ein derart hohes Risiko mitbrachte, dass sich die Dolphins zu keinem größeren finanziellen Investment hinreißen lassen konnten. Brees galt zu der Zeit als ein solider Quarterback, der aber auch noch kein Playoff-Spiel gewonnen hatte und nicht gerade auf dem Highway Richtung Hall of Fame schien.

Die Dolphins entschieden sich stattdessen dafür, Daunte Culpepper via Trade zu verpflichten. Culpepper spielte vier Spiele für Miami und gewann eines davon, ehe Saban ihn auf die Bank setzte. Am 17. Juli des Folgejahres entließen die Dolphins Culpepper im Streit, Saban war da schon ein halbes Jahr lang der neue Head Coach der University of Alabama.

"Im Endeffekt", sollte Brees' Frau Brittany später sagen, "kam es für Drew auf eine Sache an: die Saints haben an ihn geglaubt." Am 14. März unterschrieb Brees in New Orleans, arbeitete sich langsam zurück - und das Team sah in den ersten Preseason-Spielen absolut furchtbar aus.

Die Saints hatten einen Kader beisammen, der aus vielen Spielern bestand, die niemand sonst haben wollte, verloren drei von vier Preseason-Partien und Brees blieb ohne Touchdown, warf aber zwei Interceptions und brachte zwei Mal keine 60 Prozent seiner Pässe an. Dementsprechend niedrig waren die Erwartungen im Big Easy, Fans und Reporter fragten sich, ob dieses Team auf direktem Wege in Richtung eines weiteren hohen Draft-Picks sein könnte.

Als die Regular Season dann begann, sollte alles ganz anders kommen.

Gänsehaut-Momente, vom Underdog zum Champion - Brees in New Orleans

Die Saints starteten die Saison mit Auswärtssiegen in Cleveland und Green Bay, ehe sie endlich in ihr Stadion zurück konnten. 56 Wochen nachdem Katrina ihre Stadt so dramatisch verändert hatte und viele Einwohner im Dome selbst Schutz vor dem Wasser suchen mussten, wurde in New Orleans zum ersten Mal nach fast 21 Monaten wieder Football gespielt. Es war eines von vielen Gänsehaut-Spielen, die Saints-Fans mit Brees in den kommenden Jahren erleben sollten.

Mit großer Sicherheit kam in dieser Partie der emotionalste Moment, und der hatte ausnahmsweise nichts mit Brees zu tun: Als Steve Gleason im ersten Viertel den Punt-Versuch der Falcons blockte und die Saints den geblockten Ball zum Touchdown sicherten, glich das Stadion einem absoluten Tollhaus. Immer wieder während dieses Spiels waren Saints-Fans mit Tränen in den Augen zu sehen, das Team bildete diesen ikonischen Moment auch als Neuanfang für die Stadt später mit einer Statue ab.

Diese unerwartet magische Saison führte die Saints bis tief in die Playoffs, wo erst im kalten Chicago gegen die starke Bears-Defense Endstation war. Aber einerseits wusste man in New Orleans nach dieser Saison, dass man eine Mannschaft gefunden hatte - und außerdem entstand in dieser Saison ein extrem enges Band zwischen dem Team und der Stadt, das bis heute Bestand hat.

Drew Brees: Die ultimative Identifikationsfigur

Für die Brees-Ära in New Orleans war es rückblickend nur der Startschuss. Der inzwischen 39-Jährige hat seither in New Orleans fünf Spielzeiten mit über 5.000 Passing-Yards aufgelegt, der Stadt den einzigen Super-Bowl-Triumph beschert und auch wenn kein weiterer Super Bowl - stattdessen mehrere Jahre mit horrend schlechten Defenses und im Endeffekt frustrierenden Verläufen - dazu kam: Drew Brees hat den Saints ein neues Gesicht gegeben und einer Stadt, als sie am Boden lag, neues Leben eingehaucht.

Und seit jener weitreichenden Entscheidung im Frühjahr 2006 ist Brees die ultimative Identifikationsfigur dieses Teams - und auf direktem Weg Richtung Hall of Fame. Er ist der akkurateste Passer unserer Zeit, spielt auch physisch noch immer auf allerhöchstem Level und hat seit jener schweren Schulterverletzung im letzten Spiel 2005 in zwölfeinhalb Jahren nur zwei Saints-Spiele verpasst.

Ganz nebenbei war er schon lange vor Russell Wilson und womöglich irgendwann Baker Mayfield das Paradebeispiel dafür, dass auch ein kleiner Quarterback sehr wohl großen Erfolg haben kann. Über Jahre hinweg haben die Saints immer wieder eine starke Interior Offensive Line aufs Feld geführt, um es Brees zu erlauben, aus der Pocket heraus zu spielen. Und während seiner Zeit in New Orleans hat sich die Offense durchaus verändert.

Was lange eine aggressive Downfield-Offense war, hat sich inzwischen zu einer ausgeprägten Kurzpass-Offensive entwickelt. Die Mid-Range, Screens, Running Backs im Passspiel - das ist heute ein fester Teil des Game Plans der Saints, und Brees dirigiert diesen meisterhaft, gleichzeitig ist er noch immer in der Lage, eine Partie wenn nötig über ein aggressiveres Passspiel komplett zu dominieren.

Er stand oft im Schatten von Brady und Peyton Manning, später dann stürmte Aaron Rodgers auf die Bühne. Aber Drew Brees, mit seiner Ruhe in der Pocket, seinen punktgenauen Würfen und seinen Fähigkeiten als Anführer eines Teams und einer ganzen Franchise, darf inzwischen getrost in diesem Atemzug genannt werden.

Brees nach Miami? Die Football-Welt würde ganz anders aussehen

Die Brees-Entscheidung in jenem Frühjahr 2006 ist noch immer eine Weichenstellung, die die NFL und den College Football bis heute mit prägt - und die Miami nach wie vor mit der Frage verfolgt: was hätte sein können? Saban könnte noch immer der Coach in Miami sein, Alabama wäre in diesem Szenario vermutlich nicht ansatzweise dieses dominante Team, das es heute ist.

Und man kann diesen Gedanken weiter spinnen: Draften die Saints 2006 statt Reggie Bush Vince Young, um ihre Quarterback-Problematik zu lösen? Wäre dieses Team mit Young statt Brees nicht aus dem NFL-Keller raus gekommen, dann wäre auch ein Umzug eine ernsthafte Option gewesen. 2005 war das ein ernsthaftes Thema in New Orleans.

Mit Sicherheit lässt sich festhalten, dass die NFL die Wildcat-Offense zumindest nicht auf die Art und Weise kennen gelernt hätte, wie es tatsächlich passierte: In der 2008er Saison, als Miami seine ersten beiden Spiele verloren hatte und Coach Tony Sparano dringend eine Initialzündung brauchte, packten die Dolphins-Coaches die Wildcat-Offense aus, um die Patriots, die 21 Regular-Season-Spiele in Folge gewonnen hatten, 38:13 zu schlagen - in einer Zeit, in der in der NFL niemand Inspirationen und Ideen im College-Football suchte.

Vor allem aber haben Brees und Payton gemeinsam einer Stadt in ihrer schwierigsten Stunde neues Leben gegeben. Statt das Team zu verlieren, gab es eines der emotionalsten NFL-Spiele überhaupt mit der Rückkehr in den Dome, einen jährlichen Playoff-Contender und einen Super Bowl.

Es wäre fast schon zu Hollywood-mäßig, würde sich Brees dieses Jahr mit einem zweiten Titel verabschieden können.

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