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NFL - Los Angeles Chargers: Es fehlt der Killerinstinkt

Von Pascal De Marco
Die Los Angeles Chargers hätten nach einem 0-4-Start beinahe noch die Playoffs erreicht.
© getty

In ihrem ersten Jahr in Carson gewannen die Los Angeles Chargers neun ihrer letzten zwölf Spiele und verpassten die Playoffs dennoch. Grund dafür war ein katastrophaler Saisonstart und Eigenverschulden in den wichtigsten Momenten. An welchen Stellschrauben muss die Franchise drehen? Wie sieht die Zukunft für Philip Rivers aus und wie stehen die Chancen auf eine Postseason-Teilnahme in der nächsten Saison? Die Chargers auf der Suche nach dem Killerinstinkt ...

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Nach einem derart verkorksten Saisonstart waren die Chargers von einigen Geheimfavoritenzetteln wohl schnell wieder verschwunden, bevor man sich mit einer bemerkenswert guten zweiten Saisonhälfte doch noch in das Playoff-Rennen beförderte. In einer in der Breite schwachen AFC wären sie mit Sicherheit eines der Teams gewesen, die nicht nur relativ problemlos in die Playoffs hätten einziehen können, sondern hier auch einen Run hätten starten können.

In der ersten Saison in L.A. waren es aber wieder einmal viele Kleinigkeiten, die den Bolts den Einzug in die Postseason verwehrt hatten. Seien es die nicht in den Griff zu bekommenden Kicker-Probleme, unfassbar kuriose Szenen, in denen man spielentscheidende Plays verpasste oder schlussendlich auch einfach Pech, dass die Ergebnisse der Konkurrenz nicht passten, weshalb man eines der zwei von vier Teams mit einer 9-7-Bilanz in der AFC war, welches kein Ticket für das Wild-Card-Weekend bekam. Es scheint so, als ob den Chargers schlichtweg der Killerinstinkt abgeht.

Diesen Ruf gewann auch Philip Rivers schon in seinen frühen Jahren, als er nach guten Regular Seasons mehrfach in den Playoffs unterhalb der Erwartungen blieb. Inzwischen zählt der 36-Jährige zu der Riege der Veteran-Quarterbacks, die auch trotz hohem Alters für Furore sorgen können. Dies stellte er nun mit einer weiteren 4500-Yard-Saison und der niedrigsten Interception-Quote seiner Karriere unter Beweis. Doch läuft auch Rivers so langsam die Zeit davon. Soll es in Zukunft mit einem tiefen Playoff-Run klappen, kann man sich derartige Aussetzer wie in der letzten Saison schlichtweg nicht erlauben.

Der Katastrophenstart und die fehlenden Fans

Nein, so hatte man sich den Umzug in das schöne Los Angeles sicherlich nicht vorgestellt. Auf den Tribünen des 27.000 Plätze fassenden StubHub Centers blieben die Zuschauer aus und auf dem Feld konnten die Chargers keine Gründe liefern, warum sich eine neue Fangemeinde bilden sollte. Die Offensive Line sah auch nach mehreren personellen Veränderungen löchrig aus und das Linebacker-Corps hatte in der Pass-Coverage bemerkenswerte Probleme. Head Coach Anthony Lynn und Defensive Coordinator Gus Bradley standen nach dem ersten Saisonviertel und einer Bilanz von 0 Siegen und 4 Niederlagen unter gehöriger Kritik.

Es bedurfte zweier hässlicher Siege gegen die ebenso strauchelnden New York Giants und Oakland Raiders, um sich dieser zunächst zu entledigen, bevor die Bolts endlich ihr Potenzial abriefen. In Week 7 setzte man die Offense der Denver Broncos gänzlich außer Gefecht und plötzlich waren die Chargers einen Sieg von einer ausgeglichenen Bilanz entfernt. Eine Woche nach einer knappen Niederlage gegen die New England Patriots legten die Chargers dann wieder einmal einen Auftritt hin, der etwas symptomatisch für die jüngste Erfolglosigkeit der Franchise stehen könnte.

Zu Gast bei den starken Jacksonville Jaguars führte man spät im Spiel mit drei Punkten und musste innerhalb der Zwei-Minuten-Marke (!) eigentlich nur noch einen Drive verteidigen. Und in der Tat sah alles nach einem Sieg aus, als Safety Tre Boston einen abgefälschten Pass von Blake Bortles abfing. Mit dem nächsten Play jedoch fumblete der bis dahin bärenstarke Austin Ekeler und schenkte den Jaguars eine weitere Chance. Das Chaos jedoch war noch nicht vorbei. Bortles überwarf bei Third and 25 jeden seiner Receiver, nur um den Ball erneut von Safety Boston abgefangen zu sehen. Jener breitete siegessicher seine Arme aus und tänzelte in Richtung Seitenauslinie.

"Ich dachte wir haben gewonnen", versuchte sich ein verdutzter Boston nach der 17:20-Niederlage zu rechtfertigen. Coach Lynn bezeichnete den Jubel jedoch als "einen der dummen Fehler in diesem Spiel. Anstatt zu versuchen den Ball nach vorne zu tragen, weil der Gegner noch alle drei Timeouts hat ... so etwas habe ich noch nie gesehen." In der Tat waren die Jaguars noch in der Partie. Und einen dritten Fehler sollte selbst Bortles nicht begehen. Die Jaguars gewannen das Spiel schließlich in der Overtime, nachdem in dieser auch Rivers noch einen Pick geworfen hatte.

Die Wende mit Whisenhunt

In L.A. jedoch glaubt man, dass gerade dieser der Punkt in der Saison war, an dem sich die Dinge ändern sollten. Womöglich war es eine heftige Diskussion in der Umkleidekabine oder der Fakt, dass Lynn die Playcalling-Aufgaben Offensiv-Koordinator Ken Whisenhunt überließ, doch in der Tat wirkte die Mannschaft wie ausgewechselt.

Eine der elementaren Änderungen, die Whisenhunt nämlich vornahm war es, Melvin Gordon zu entlasten. Die Chargers wollten mehr durch die Luft kreieren und dies sollte gelingen, gerade weil sich die O-Line stark verbesserte. Hier hatte man vor der Saison gleich drei neue Spieler einbauen müssen, einer davon war Russell Okung, dessen Präsenz sich nach und nach immer mehr auszahlte. Zum Ende der Saison legten die Chargers sogar die drittbeste Pass Protection der Liga nach dem DVOA von Football Outsiders auf.

Das und eine Leistungsexplosion von Keenan Allen haben selbstverständlich nicht geschadet, als die Chargers ihre verloren geglaubte Saison nochmals in ernsthafte Playoff-Aspirationen wandelten. Als dann auch noch Denzel Perryman zurückkam, um das ohnehin potente defensive Bund angeführt von Joey Bosa und Melvin Ingram zu verstärken, fanden sich die Chargers drei Wochen vor Toresschluss mit derselben Bilanz wie Rivale Kansas City im direkten Duell: Eines, welches die Vorentscheidung im Division-Rennen bedeutete.

Wer allerdings glaubte, die Chargers hätten nach vier Siegen in Serie genug Selbstvertrauen getankt, um in diesem so wichtigen Spiel den endgültigen Durchbruch in der Saison zu schaffen, der sah sich wieder einmal getäuscht. Man präsentierte sich mit seinem enttäuschenden Gesicht aus der Saisonanfangsphase, verursachte überflüssige Strafen und verpasste mehrmals entscheidende Möglichkeiten. Die größte wohl, als nach einem Muffed Punt von Chiefs-Returner Tyreek Hill gleich fünf Chargers die Chance hatten, sich auf den Ball zu werfen, dieser am Ende jedoch trotzdem in den Händen von Kansas Citys Demetrius Harris landete.

Wie lange geht die Reise für Rivers noch?

Auch wenn die Chargers zum Ende der Saison keine Hilfe mehr bekommen sollten, um sich nach zwei finalen Siegen doch noch für die Playoffs zu qualifizieren, liegt die Schuld an der verpassten Playoff-Teilnahme bei niemand anderem als ihnen selbst. Dies weiß sicher auch Quarterback Rivers, der nach der Anpassung im Scheme sogar noch für die zweitmeisten Yards seiner Karriere warf, die niedrigste Interception-Quote seiner Laufbahn auflegte und sich dabei noch zu Fran Tarkenton auf dem fünften Platz der All-Time-Touchdown-Liste gesellte.

"Ich denke, dass wir im Januar nächsten Jahres noch Football spielen werden", sagte der 36-Jährige nach der Saison. "Wir haben mindestens einen Grundstein gelegt, von dem wir uns weiter nach vorne bewegen und den entscheidenden Entwicklungssprung machen können." Rivers spricht das an, was viele denken, was viele aber auch schon vor der letzten Saison gedacht hatten.

Auch wenn man es nach einer solchen Saison nicht aussprechen will, so werden die Blätter an den Ästen der Karriere von Rivers doch zunehmend dunkler und allzu viele Jahre bleiben nicht mehr, an denen man sich folgenschwere Aussetzer leisten kann. Mit Whisenhunt scheint man Wert auf das richtige Wort gelegt zu haben, unter welchem Rivers nochmals an seine Leistungsgrenze gehen kann. Der Kader wiederum bietet das Potenzial dafür, den entscheidenden nächsten Schritt zu machen.

Nur wenige offene Baustellen

Grund zum Optimismus bereitet vor allen Dingen die stark verbesserte Defensive. Bosa und Ingram spielten wieder eine hervorragende Saison und bewiesen, eines der besten Front-Tandems der Liga zu sein, ohne dabei großartige Stats auflegen zu müssen. Die beiden hatten zur Saisonhälfte insgesamt 17 Sacks auf dem Konto, in der stärkeren zweiten Phase allerdings kam das Duo nur noch auf insgesamt sechs weitere. Die Rückkehr von Perryman schenkte der Defense zudem nochmal ein weiteres athletisches Element. Seine Fähigkeiten Spielzüge früh zu erkennen und offene Räume zu besetzen waren in der erfolgreichen Saisonhälfte von enormer Bedeutung.

In der Secondary verdiente sich Casey Hayward eine weitere Pro-Bowl-Ehrung und auf Safety schien man in Boston und Jahleel Addae endlich ein verlässliches Duo gefunden zu haben. Schien? In der Tat könnte sich dieses nach nur einem Jahr wieder auflösen. Boston nämlich ist der einzige defensive Starter der Chargers, mit dem aktuell als Free Agent nicht für die kommende Saison geplant werden kann. Sein Verlust wäre ein herber Rückschlag. Boston sammelte mit 56 Tackles und 5 Interceptions Karrierebestwerte und verlieh der Defensive sichtlich Stabilität.

Ansonsten können sich Lynn und die Abteilung für Personalplanung hauptsächlich darauf konzentrieren, den Kader vereinzelt in Qualität und auch in der Breite zu verstärken. Wenig überraschend sollte dabei ein Ersatz für Spencer Pulley sein. Der Center spielte über 1000 Snaps, war aber ein klarer Schwachpunkt in Run- und Pass-Protection. Auch auf Right Tackle darf man gerne nachlegen. Und wenn am Ende des Tages noch Platz ist, so sehnt sich auch die Kicker-Position nach Konstanz. In dieser Saison versuchten sich fünf verschiedene Männer an einem Extra-Punkt.

Chancen in der AFC durchaus gegeben

Was das andere Team in Los Angeles in seiner zweiten Saison schaffte, hoffen nun auch ganz sicher die Chargers zu erreichen. Eine Playoff-Teilnahme kann so vieles bewirken. Die Rams haben sogar ein weitaus größeres Stadion füllen können, als das, welches im Kalifornischen Carson steht.

Gelingt das, so scheint in der aktuellen Verfassung der AFC einiges möglich. Die Dominanz der Patriots hängt an einem Quarterback, der noch weitaus älter ist als Rivers. Die Steelers bleiben Jahr für Jahr in den entscheidenden Momenten den Beweis eines Elite-Teams schuldig. Die Jaguars müssen ihre Saison erst einmal bestätigen und Spiele auch durch ihre Offense gewinnen.

Doch all das ist nur die theoretische Seite. Was die Chargers bislang auszeichnete, war eher als selbst in den wichtigen Spielen hervorragende Leistungen abzurufen, Field Goals zu verschießen, Turnovers zu verursachen oder sich schlichtweg selbst ein Bein zu stellen. Für den nächsten Schritt braucht man mehr Disziplin und einen kühleren Kopf. Was bislang fehlt, ist der Killerinstinkt!

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