Die Browns sind schlecht. Natürlich sind die Browns schlecht. Nicht in einem "Cleveland ist doch jedes Jahr schlecht"-Sinne, nein. Eher in der "So ist doch der Plan"-Schiene.
Tanking - also das absichtliche Verlieren, um sich hohe Draft-Picks zu sichern - ist in der NFL eine schwierige Sache. Die Liga ist von Jahr zu Jahr extrem schnelllebig und selbst der eine oder andere Nummer-1-Pick bedeutet mitnichten, dass sich alles zum Besseren wendet. Das liegt teilweise am verfügbaren Spielermaterial, aber auch an den Entscheidungen der jeweiligen Teams.
Keine Franchise und keine Fan-Base weiß das besser als die in Cleveland. Die Browns hatten seit ihrer Rückkehr 1999 neun Spielzeiten mit vier oder weniger Siegen, die laufende Saison kann man da schon als Nummer zehn hinzufügen. Dabei wurden viele Fehler gemacht, doch in den vergangenen beiden Jahren, nachdem Paul DePodesta als Strategie-Boss geholt und Brown zum Geschäftsführer befördert wurde, schien erstmals ein Plan hinter dem Verlieren zu stecken. Ein langfristiger, radikaler Plan. Ein Prozess, wie der NBA-Fan sagen würde.
Mit der Entlassung von Sashi Brown wirft Cleveland diesen Plan jetzt im schlimmsten Fall über Bord. Es würde einmal mehr Stagnation und einen sicheren Platz im unteren Liga-Drittel bedeuten.
Der Draft als Basis für den Rebuild
DePodesta und Brown haben diesen Kader einer Kernsanierung unterzogen. In der Free Agency wurden Leistungsträger gehen gelassen, um die inzwischen für Trades erlaubten Compensatory Picks einzusammeln. Vor allem aber wurden so Spieler abgegeben, die, bis der Rebuild abgeschlossen und der Plan somit auf der nächsten Stufe ist, ihren Zenit wohl alle längst hinter sich gehabt hätten.
Das brachte Cleveland große Salary-Cap-Überschüsse, die das Team jetzt von Jahr zu Jahr mitnimmt um sie, wenn die Zeit reif ist, investieren zu können. Gleichzeitig wurde die zweite Säule aufgebaut: Der Draft. Die Browns begannen damit, aggressiv Picks zu traden und sich so zusätzliche Munition zu sammeln.
Der Draft, das sollte man nie vergessen, ist zu einem nicht vernachlässigbaren Grad auch ein Glücksspiel. Bei all dem Geld und all der Zeit, die in die Talentevaluierung fließen, gibt es doch Jahr für Jahr auch hohe oder prominente Prospects, die nach einigen Jahren kein Team mehr haben will. Die Strategie, viele Picks zu sammeln, garantierte Cleveland gewissermaßen also mehr Lotterie-Tickets. Mehr Chancen, um in den je ersten zwei bis drei Runden Qualität für den Neuaufbau zu finden.
Diese Strategie trug bereits Früchte. Spieler wie Emmanuel Ogbah, David Njoku, Corey Coleman, Shon Coleman und Larry Ogunjobi können noch auf ihrem Rookie-Vertrag wichtige Stützen sein oder sind es bereits. Myles Garrett mit dem Nummer-1-Pick dieses Jahr zu holen, anstatt den Pick zu traden, zeigt, dass es keine blinde Einbahn-Strategie war.
Cleveland und das schwierige Quarterback-Thema
Und natürlich muss irgendwann der Franchise-Quarterback kommen. Das aber als Kritikpunkt anzuführen ist zumindest schwierig, wenn man die Quarterbacks im Draft der vergangenen Jahre anschaut. Wentz (den Hue Jackson an Nummer 2 übrigens nicht wollte), Goff und Watson sahen dieses Jahr zwar gut aus - taten das aber in mitunter fast idealen Umständen was Coaching, Scheme und Qualität der Spieler um sich herum angeht.
Die gibt es in Cleveland bisher nicht, auch weil Jacksons Scheme seinem Rookie-Quarterback - von seinem Umgang mit Kizer ganz zu schweigen - kaum Unterstützung bietet.
Unter dem Strich blieb mir ein Satz im Abschiedsstatement von Brown im Gedächtnis:
"Wir haben uns aufgemacht, die Browns neu aufzubauen, um langfristigen, erhaltbaren Erfolg zu haben. Wir waren von unserem Ansatz überzeugt und aggressiv, teilweise auch unorthodox. Wir haben dramatische Änderungen herbeigeführt und eine Basis zusammengestellt, auf der man Titel aufbauen kann."
Jimmy Haslams problematisches Statement
"Langfristigen, erhaltbaren Erfolg" sind die Zauberwörter hier. Es war der langfristige, der richtige Weg, den Cleveland mit Brown und DePodesta eingeschlagen hatte. Ein Rebuild, basierend auf der Idee, ein junges, entwicklungsfähiges Team aufzubauen, das man punktuell in der Free Agency verbessert, wofür Draft- und finanzielles Kapital geschaffen wurden. Das ist der Weg zu langfristigem Erfolg.
Und so muss man die Aussagen von Team-Besitzer Jimmy Haslam einfach mit Zähneknirschen sehen: "Wir haben Sashi heute darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir in eine neue Richtung gehen. Der Draft und die Offseason 2018 sind für unsere Franchise von höchster Wichtigkeit, wir müssen sicherstellen, dass wir unsere Erfolgschancen mit unseren Picks und in der Free Agency maximieren."
Die Browns haben zwei Erst- und drei Zweitrunden-Picks 2018, weil die Strategie von DePodesta und Brown sie dahin geführt hat. Sie haben die Offensive Line, die Draft-Munition und zunehmend die Waffen, um für einen Rookie-Quarterback eine möglichst ideale Situation zu schaffen. Etwas, das es in Cleveland schon lange nicht mehr gegeben hat. Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, an dem Plan festzuhalten und ihn weiter zu verfolgen.
Haslams Statement suggeriert stattdessen, dass er plötzlich keine Lust mehr auf den kontinuierlichen Aufbau hat. Dass die zweite Saison in Folge mit möglicherweise nur einem oder gar keinem Sieg ihn zu einer Kurzschlussreaktion getrieben hat. Dass in der kommenden Free Agency investiert, und statt langfristigem Erfolg schnell ein durchschnittliches Team aufgebaut wird. Dann würde wieder einmal ein hoffnungsvoller, mit Weitblick geplanter Prozess in Cleveland den Bach runter gehen.
Browns-Fans können wieder mal nur hoffen
Man mag hier unterschiedlicher Meinung sein. Manche sagen, dass ein Rebuild mit einem Quarterback beginnen muss. Doch ist das in dem Moment gar nicht der Punkt: Die Browns hatten sich einen Plan zurechtgelegt, der erfolgsversprechender war als alles, was die Franchise in den 15 Jahren davor gemacht hatte. Der wurde jetzt nach zwei Jahren möglicherweise mit einem Handstreich vom Tisch gefegt.
Browns-Fans können jetzt wieder einmal nur hoffen, dass die Entlassung nur aufgrund personeller Differenzen erfolgte. Jackson und Brown sollen wochenlang quasi nicht mehr miteinander gesprochen haben, es gab intern verschiedene Reibereien. Nur: wird das jetzt mit einem externen Neuling bei allen Qualitäten, die John Dorsey mitbringt, in der Team-Führung besser? Zumal Dorsey wohl finales Wort über den Kader hat.
Es wirkt fast, als hätte Cleveland jetzt einen Scout-GM holen wollen, um die Früchte zu ernten, die Sashi Browns Strategie gepflanzt hat. Das allerdings ist keine langfristige Strategie - in dem Fall wäre Qualität und Autorität für das Scouting-Team die Lösung gewesen, ohne seine Strategie zu gefährden.
Rein sportlich gesehen ist Clevelands Team besser, als die Bilanz aussagt. Jacksons Steckenpferde - die Offense und da vor allem das Run Game sowie die Entwicklung des Quarterbacks - sind dagegen anhaltende Problembereiche, in denen er sich immer wieder Fehler geleistet und keinerlei Argumente geliefert hat, warum man ihm einen weiteren jungen Quarterback nach dem nächsten Draft anvertrauen sollte. Im Gegenteil. Wenn die Entscheidung wirklich zwischen Jackson und Brown gefallen ist: aus sportlichen Gründen spricht wenig für den Head Coach.
Browns-Fans müssen also hoffen, dass der Weg weiter verfolgt wird und Cleveland jetzt nicht in die altbekannten Trampelpfade, die schlechte Teams seit Jahren beschreiten, marschiert. Dann könnte Sashi Brown mit einer seiner letzten Aussagen in seinem Statement Recht behalten:
"Die Browns haben noch nicht den Turnaround geschafft, den wir für die Franchise und die besten Fans der NFL wollten, die das mehr verdienen, als irgendein anderes Fan-Lager im Sport generell. Ich weiß, dass dieser Turnaround kommt."