Im Football geht es durchaus komplex zu, und je tiefer man einsteigt, desto mehr entdeckt man - die Fragen nach Strategie und Taktik sind nicht immer einfach zu beantworten. Ein maßgeblicher Aspekt dabei ist das Playbook, genau wie das Play-Calling, also das Ansagen der Spielzüge, und das Game-Planning, also das Vorbereiten auf einen bestimmten Gegner. In einer zweiteiligen Mini-Serie blickt SPOX auf genau diese zentralen Aspekte. Teil 2 mit dem Fokus auf Play-Calling gibt es am morgigen Donnerstag.
SPOX: Herr Reinebold, ich starte einfach direkt mit der Kernfrage: Wie baut man sein erstes Playbook auf? Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen, wo fängt man überhaupt an?
Jeff Reinebold: Dein Playbook muss einige Kriterien erfüllen: Es muss für die Spieler einfach zu verstehen und zu lesen sein. All die Informationen nützen dem Spieler nichts, wenn er sie nicht anwenden kann. Es muss einen Fluss haben, man muss Dinge aneinanderreihen und aufeinander aufbauen lassen können. Zunächst aber muss man sich ein Glossar anfertigen, einen Katalog mit all den Ausdrücken, die man verwenden will. Es ist wichtig, dass man das macht, um die eigene Message auch konstant rüber zu bringen. Manche Teams nennen eine Curl Route eine Hook Route, andere genau umgekehrt. Im Prinzip ist das der gleiche Spielzug, aber unter dem Strich geht es darum: Jedes Mitglied des Trainerstabs und jeder im Team muss die gleiche Sprache sprechen.
SPOX: Also ist die Sprache gewissermaßen der erste Schritt? Wie geht es dann weiter?
Reinebold: Genau. Man entscheidet sich zuerst, welche Sprache man nutzen will. Das wird im Playbook aufgeschrieben.
SPOX: Was passiert als nächstes?
Reinebold: Die meisten haben dann einen sogenannten "Philosophie-Bereich", also wie sie sich ihr Playbook vom Kern her vorstellen. Offensiv zum Beispiel, wie sie sich das Feld herunter bewegen wollen. Das A und O ist dabei immer - gerade in der Offense - die Frage danach, wie du blocken willst. Das Spiel beginnt an der Line of Scrimmage, also gibt es eine eigene Sektion im Playbook, welche die Run Plays beinhaltet. Wie soll dein Run Game aussehen? Aus welchen Formationen wird es gespielt? Welche Motions und dergleichen werden in diese Spielzüge eingebaut? All das steht drin. Man hat also einen Bereich für das Run Game und einen für die Protection, damit die Offensive Linemen wissen, wie sie mit den ganzen verschiedenen Formationen der Defense umgehen sollen, die man im Spiel sieht.
SPOX: Und erst dann geht es ans Passspiel?
Reinebold: Ja, der Quarterback muss einerseits wissen, was seine Hot Reads sind, darüber hinaus gibt es dann den Bereich für das Passing Game. Da stehen im Prinzip die Route-Progressions und der Route-Tree drin, also alle Laufwege und wie der Quarterbacks diese zu lesen hat. Außerdem wird entschieden, ob man mit einem Zahlen- oder einem Namen-System für die Spielzüge arbeitet, welche Formationen und Personnel-Gruppierungen man nutzen will und wie man sie nennt. Danach geht es noch tiefer in die Materie, man beginnt das Playbook dann in Dinge wie "Goal-Line-Spielzüge", "Red-Zone-Spielzüge", "4-Minute-Drives", "2-Minute-Drives mit Führung", "2-Minute-Drive mit Rückstand" und all diese Situationen zu unterteilen. Diese Bereiche müssen alle genau behandelt werden, damit man im Spiel damit arbeiten kann.
SPOX: Gutes Stichwort: Man baut sich dieses große Playbook zusammen - aber wieviel davon nutzt man tatsächlich auch im Spiel?
Reinebold: Das ist ganz unterschiedlich. Nehmen wir mal Ben McAdoo von den Giants als Beispiel: Er hat dieses riesige Playbook an der Seitenlinie, das Teil ist gigantisch! Auf der anderen Seite habe ich früher für June Jones gearbeitet, ein herausragender Coach - und der hatte nie irgendwas an der Seitenlinie, er hat alles aus dem Kopf heraus angesagt.
SPOX: Und wohin geht der Trend?
Reinebold: Eine Tendenz, die ich erkenne: Coaches haben mehr Plays auf ihrer sogenannten "Ready List", also der Liste, die sie an der Seitenlinie mit sich führen. Inzwischen tragen sie so mehr Plays mit sich herum, als sie in einem Spiel überhaupt ansagen könnten. Aber sie wollen für jede denkbare Situation, jedes Szenario und jede Defense-Umstellung gewappnet sein. Die Plays auf dieser Liste sind dementsprechend unterteilt: "First and Ten", "First and Ten Red Zone", "First and Ten zum Start des Drives" und so weiter. All das muss organisiert dastehen, damit man in Sekundenschnelle darauf zugreifen kann.
SPOX: Und dann gibt es wöchentlich mitunter große Anpassungen, wenn der Game Plan zusammengebaut wird. Was fließt hier alles rein und wie gravierend kann der Unterschied zwischen zwei Spielen tatsächlich sein?
Reinebold: Die Teams, die wirklich gut sind, stellen in meinen Augen innerhalb einer Woche nicht wahnsinnig viel um. Es gibt immer ein paar Schrauben, an denen gedreht wird, etwa dass man einen Spielzug plötzlich aus einer anderen Formation ansagt, um die Defense zu einer gewissen Reaktion zu bringen. Aber ich habe es nur sehr selten gesehen, dass Teams Erfolg damit haben, in der einen Woche eine Option-Offense zu spielen, dann überzugehen zu Spread mit 50 Pässen - und in der Woche danach die Offense um eine Power-I-Formation herum aufzubauen. Es gibt viele Wege, um im Football Spiele zu gewinnen, aber man muss sich entscheiden, was zu den eigenen Spielern und vor allem zum eigenen Quarterback passt.
SPOX: Gibt es bestimmte Abläufe, die immer zum Aufbau des Game Plans gehören?
Reinebold: Jeder macht das etwas anders, nach meiner Erfahrung sieht man aber häufig folgendes Muster: Coaches wollen wissen, wie man den Gegner blockt. Wie können wir die Blitz-Pakete, die sie auf Tape zeigen, stoppen? Wie reagieren sie auf Motion? Gibt es irgendwelche Hinweise, die wir durch ihre Formationen erhalten? All das wird in der Tape-Evaluierung herausgearbeitet. Und dann baut man basierend darauf seinen Game Plan zusammen, die meisten Teams beginnen dabei mit First and Ten. Man hat also ein "First-and-Ten"-Paket, darüber hinaus das sogenannte "P-10"-Paket: Possession and Ten, also das erste Play eines Drives.
SPOX: Auch darüber hinaus ist das Skripten von Plays - also Coaches, die sich einen sehr konkreten Plan für die ersten Spielzüge einer Partie zurechtlegen - zunehmend in Mode gekommen. Was ist Ihre Erfahrung damit?
Reinebold: Als ich für Marc Trestman gearbeitet habe, der ja ein großer Fan der West Coast Offense ist, wurden die ersten 20 oder 25 Plays geskriptet, glaube ich. Sie hießen die "Opener". Es ist eine der tollen Innovationen, die Bill Walsh (der legendäre Head Coach der San Francisco 49ers und Schöpfer der West Coast Offense, d. Red.) kultiviert hat. Das wird also auf jeden Fall gemacht, gleichzeitig aber muss man auch über den Blitz und Pressure sprechen und sich Pässe dafür zurechtlegen. Außerdem ist es wichtig, Plays zu installieren, um sogenannte "Opposite Calls" durchführen zu können.
SPOX: Was ist damit gemeint?
Reinebold: Ein Beispiel: Man hat ein Run Play nach rechts angesagt, die Defense aber formiert sich genau in diese Richtung. Dann geht der Quarterback an die Line und ruft etwas wie "Opposite, Opposite" und man läuft den gleichen Spielzug nach links - hast du diese Calls in deinem Playbook? Gibt es eine Abfolge von Audibles (Anpassungen an der Line of Scrimmage, d. Red.) bei bestimmten Defensiv-Formationen? Wer sagt die Protection an, der Quarterback oder der Center? All das steht im Playbook und im wöchentlichen Game Plan.
SPOX: Inwieweit sind Sie ein Fan davon, den Quarterback in die Zusammenstellung des Game Plans einzubinden? Arizonas Head Coach Bruce Arians schreibt in seinem Buch "The Quarterback Whisperer", dass er Carson Palmer jede Woche bestimmte Plays zur Auswahl gibt und ihn dann entscheiden lässt, welche er mag und welche er nicht mag. Machen Sie das auch?
Reinebold: Je älter deine Spieler sind und je mehr Erfahrung sie haben, desto stärker kannst du sie auf diese Art und Weise in den Game Plan mit einbeziehen. Carson Palmer hat schon zahlreiche NFL-Spiele absolviert und viele Defenses gesehen. Er weiß was er kann, und Bruce versucht seine angesagten Plays im Spiel daran anzupassen. Aber wenn man mit jüngeren Spielern arbeitet, ist das schwieriger, einfach weil sie noch nicht so viel über Football wissen und noch nicht über diesen Erfahrungsschatz verfügen.
SPOX: Inwieweit passt man sich da sonst an die eigenen Spieler an?
Reinebold: Für mich - und das ist etwas, bei dem Patriots-Coach Bill Belichick so weit vor allen anderen steht - ist einer der wichtigsten Aspekte folgender: Die Patriots verlangen es nur sehr selten von einem Spieler Dinge, die er physisch, mental oder situationsbedingt nicht leisten kann. Man muss die eigenen Spieler verstehen und ihre Stärken kennen, um sie darauf aufbauend in eine Position zu bringen, in der sie diese Stärken nutzen können.
SPOX: Zum Beispiel?
Reinebold: Wenn dein Running Back gerne und gut nach außen läuft, weil er die nötige Explosivität mitbringt, dann lass ihn nicht konstant zwischen den Tackles nach innen laufen! Gleiches gilt auch andersherum, wenn man einen Power Back hat. Nehmen wir Jacksonvilles Rookie-Back Leonard Fournette: Er ist so viel effizienter, wenn er auf die Line of Scrimmage zuläuft. Wenn man also eine Offense für ihn aufbauen will, dann sprechen wir über ein Power Run Game, in dem er vertikal laufen kann. Darum geht es beim Coaching.