Sind Sie auch schon an dem Punkt angekommen, an dem Spiele aus der Vorsaison über den Bildschirm flimmern? Der Punkt, an dem plötzlich das Austragungsrecht des Super Bowls 2021 News-Wert besitzt? An dem Las Vegas - eine Stadt ohne NFL-Team wohlgemerkt - einen regelmäßigen Platz ganz weit oben in den NFL-Sparten einnimmt?
Und, natürlich nicht zu vergessen, der Punkt, an dem Deflate Gate sein großes Comeback feiert? Aktualisieren Sie auch schon jeden Tag Ihren NFL-Newsfeed und sehen dann oben Breaking-News wie die Entlassung von Brian Hartline oder die Ankündigung diverser Spieler, dass jetzt aber wirklich die wichtigste und selbstredend beste Saison ihrer Karriere bevorsteht?
Herzlichen Glückwunsch! Auch Sie haben den Offseason-Blues! Wir befinden uns am verschwimmenden Übergang vom Mai in den Juni, oder in der NFL-Sprache: Der genauso alljährliche wie kurzzeitige Tiefpunkt. Es ist die kurze Zeit des Jahres, in der die NFL einen halben Schritt zurück aus dem sonst so grellen Scheinwerferlicht macht. Gerade so viel, um den NBA- und den NHL-Finals eine kleine Bühne zu geben, ehe der Start des Training Camps wieder die volle Aufmerksamkeit verlangt.
Willkommen zum Offseason-Hangover.
Der Holdout, der keiner war: Sam Bradford war, als er von den Eagles-Verantwortlichen über Phillys Draft-Trade für einen Quarterback - Carson Wentz, wie sich herausstellen sollte - in Kenntnis gesetzt wurde, angeblich derart frustriert, dass er mitten im Gespräch beleidigt aus dem Raum stürmte. Philadelphia hatte gerade ein sattes Paket geschnürt, um Bradfords Nachfolger zu draften. Dem 28-Jährigen, der erst einige Wochen zuvor einen neuen Zweijahresvertrag über stolze 35 Millionen Dollar unterschrieben hatte, war soeben ein Ablaufdatum quer über die Stirn gestempelt worden.
"Es ist sein Recht, einen Trade zu verlangen. Und er will weg", motzte Berater Tom Condon daraufhin öffentlich via ESPN. Der erste große Holdout dieser Offseason war geboren und die öffentliche Reaktion war genau die, mit der man rechnen musste: Ein Quarterback, der überspitzt formuliert in sechs NFL-Jahren für jeden seiner 78 Touchdown-Pässe eine Million Dollar kassiert hat, will sich nicht dem Konkurrenzkampf mit einem Rookie stellen?
Die Renaissance des Running Games: Go Big or Go Home!
Die viel ehrlichere Frage muss jedoch lauten: Was genau hatte sich Bradford von dem Zweijahresvertrag erwartet? Eine Chance, sich für einen langfristigen Vertrag zu empfehlen? Naja - genau die bieten ihm die Eagles und wenn Bradford auf sich setzt, wie es der Zweijahresvertrag vermuten lässt, muss er sich gegen einen Rookie-Quarterback durchsetzen. Punkt. Ganze zwei Wochen hielt Bradford am Ende Stand (und bestreikte dabei FREIWILLIGE Workouts), was das komplette Thema final über den Lächerlichkeits-Gipfel hievte.
"Ich freue mich darauf, mit meinen Mitspielern und Coaches wieder auf dem Platz zu stehen", erklärte er anschließend bei ESPN und schob den Holdout Condon in die Schuhe: "Tom Condon ist seit dem Beginn meiner Karriere mein Berater und ich vertraue ihm komplett. Als wir es besprochen haben, glaubte er, dass eine Trade-Anfrage das Beste für mich wäre."
Alles was bleibt, ist ein Damoklesschwert, das die QB-Situation noch unruhiger macht. Eagles-Defensive-Coordinator Jim Schwartz forderte in der Vorwoche die Medien bereits dazu auf, keine voreilige QB-Schlussfolgerung zu ziehen. Übersetzung: Sam Bradford steht ein hartes Jahr bevor.
Viva Las Vegas: "Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas" - mit diesem Klischee einer Antwort vertröstete Raiders-Eigentümer Mark Davis Anfang Februar noch die Pressevertreter. Sein Ziel sei es, einen neuen Vertrag in Oakland hinzubekommen. Fertig. Oder auch nicht.
Denn über die vergangenen Wochen ist der Las-Vegas-Hype-Train von der örtlichen Bummelbahn zum stattlichen ICE transformiert: Nur da, wenn man ihn nicht braucht, dafür rasant unterwegs. Während Davis zu den "ärmsten" (die Anführungszeichen stehen für die zu beachtende Relativität dieser Aussage) Team-Eigentümern gehört und zudem einer der am wenigsten einflussreichen ist, stehen ihm inzwischen auch zwei der schweren Jungs zur Seite.
Patriots-Eigentümer Robert Kraft und Cowboys-Eigentümer Jerry Jones haben durchblicken lassen, dass sie einem Umzug nach Las Vegas gegenüber nicht abgeneigt wären. Die finanziellen Möglichkeiten natürlich immer im Hinterkopf. Die Raiders sind ohnehin zunehmend ernster unterwegs - wenn auch vielleicht nur, um Oakland endlich mehr Geld für ein neues Stadion aus den Rippen zu leiern - und Las Vegas' Bürgermeisterin Carolyn Goodman ist bereits sicher, dass ihre Stadt ein NFL-Team bekommt.
Über die Wasserknappheit in Las Vegas oder negative Auswirkungen der Stadt auf junge (und plötzlich reiche) Sportler lässt sich streiten. Eine Sache aber sollte maximal ein sekundäres Argument dagegen sein: Die sofort vielerorts geäußerten Bedenken, dass ein NFL-Team nicht in der Stadt des Glücksspiels ziehen sollte. 80 Prozent aller NFL-Teams spielen maximal eine Stunde von einem Casino entfernt, das neue Rams-Stadion wird weniger als eine Meile entfernt vom Hollywood Park Casino gebaut und ohnehin findet mit Sport zusammenhängendes Glücksspiel längst ausgedehnt online statt. Viva Las Vegas!
Ryan Fitzpatrick - Eine Neverending Story: Kaum eine Offseason-Geschichte ist penetranter, anstrengender oder vermeidbarer als die Ryan-Fitzpatrick-Saga in New York. Der 33-Jährige legte, nachdem IK Enemkpali Geno Smith den berüchtigten K.o.-Schlag verpasst hatte, eine aus Jets-QB-Sicht historische Saison hin: 3.905 Yards und 31 Touchdowns bei 15 Interceptions. Gang Green verpasste die Playoffs um Haaresbreite und es schien eine Frage der Zeit, ehe der auslaufende Vertrag von Fitzpatrick verlängert wird.
Denkste, denn der geneigte Leser möge seine Aufmerksamkeit auf "schien" richten. Seit Saisonende ist inzwischen nahezu ein halbes Jahr vergangen und von einem neuen Vertrag keine neue Spur. Vielmehr sind wir neuerdings dazu übergegangen, verschiedene Vertragsangebote zu veröffentlichen. Aus Jets-Kreisen heißt es, Fitz soll ein Dreijahresvertrag mit einem Gehalt über zwölf Millionen Dollar im ersten Jahr und maximal bis zu 36 Millionen Dollar vorliegen. Dem gegenüber stehen Berichte aus dem Fitz-Lager über einen Vertrag mit einem Gehalt von nur sechs Millionen Dollar im zweiten und dritten Jahr.
Es ist längst ein öffentlicher "Wer zuckt zuerst"-Wettbewerb geworden. Die Jets wollen definitiv nicht mit Geno Smith in die Saison gehen - auch wenn Fitzpatrick nicht der Heilsbringer ist, zu dem ihn manche machen - und Fitz will definitiv Football spielen. Jüngst hat er endlich auch erstmals öffentlich zugegeben, dass er selbiges gerne bei Gang Green tun würde.
Receiver Eric Decker blieb angeblich aus Solidarität mit seinem Quarterback gar den ersten Trainingseinheiten fern, auch wenn er inzwischen zurückgerudert hat. Im Interesse aller Beteiligten sollte diese unendliche Geschichte eher früher als später ein Ende finden.
Dri Archer hat keine Lust: Ein altes Sprichwort sagt: Wer nicht will, der hat schon! Und Dri Archer hat allem Anschein nach schon. Als Speed-Monster wurde Archer 2014 in der dritten Runde von den Steelers gedraftet, konnte sich aber nie festbeißen. Es folgte die Entlassung im vergangenen November sowie ein kurzes Gastspiel bei den Jets. Anfang Mai schnappten sich dann die Buffalo Bills den Speedster über das Waiver Wire und hofften, ihrer Run-lastigen Offense so ein neues Element zu geben.
Das Power Ranking nach dem Draft: Der Absturz des Champions
Allein - Dri Archer hatte keine Lust. "Er antwortet nicht auf Anrufe. Will er kein Spieler der Buffalo Bills sein, oder woran liegt es?", haderte Bills-Coach Rex Ryan in der Sports Illustrated: "Ich weiß es nicht. Aber ich vermute, es gibt einen Grund dafür, dass Pittsburgh ihn entlassen hat. Falls ihr aber etwas herausfindet, dann lasst es uns wissen." Archer steht inzwischen auf Buffalos Reserve/Did not Report-Liste und somit halten die Bills zumindest weiter seine Rechte. Achtung, Experten-Meinung: Archers NFL-Karriere ist trotzdem vorbei.