Man könnte es den guten Ton nennen, man könnte es Phrasendrescherei nennen. So oder so, vor Spielen haben Coaches jedenfalls kein Problem damit, gegnerische Spieler auch mal über den grünen Klee zu loben. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Aussagen von Eagles-Coach Chip Kelly vor dem möglichen NFC-East-Finale gegen die Washington Redskins richtig einzuordnen.
"Sie bekommen im Moment wirklich gutes Quarterback-Play. Kirk Cousins spielt herausragend. Er bringt einen hohen Prozentsatz seiner Pässe an den Mitspieler und hat eine gute Fußarbeit. Am Sonntag hatte er einen 13-Yard-Touchdown-Run gegen die Bills", lobte Kelly im Vorfeld überschwänglich.
"Die Geschichte war nicht korrekt"
Und doch: Ein Funken Wahrheit lässt sich selbst Spieltags-Pressekonferenzen entnehmen. Denn seit etwa Week 7 liefert Cousins alles in allem eine beachtenswerte Saison ab. Nach der schwierigen Offseason, als zunächst Robert Griffin III zum Starting-Quarterback ernannt und dann wieder demontiert wurde, hat Cousins kühlen Kopf bewahrt - auch auf dem Platz.
Denn eines von vielen Fragezeichen war das um Cousins mentale Stärke. Kritiker mahnten, dass eine Interception zu weiteren führen würde, weil er sie nicht verarbeiten und abhaken könne. Aber die Wahrheit auf dem Platz sieht in der laufenden Spielzeit, insbesondere in der zweiten Saisonhälfte, ganz anders aus.
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"Diese Geschichte war, zumindest aus meiner Sicht, nicht korrekt", antwortete Cousins, gewohnt höflich und freundlich, bei The Fan jüngst, und führte weiter aus: "Wenn ich meinen Kopf nach einer Interception hängen lassen würde, würde ich den Ball wahrscheinlich länger in der Hand halten und mehr Sacks kassieren. Früher habe ich dann eher versucht, alles in einem Play zurück zu holen und zu aggressiv gespielt. Das endete oft darin, dass ich mehr Picks geworfen habe."
Heute aber, so Cousins weiter, sei das nicht mehr so: "Man muss einfach ruhig bleiben. Nichts erzwingen, nicht zu viel riskieren und das ausnutzen, was die Defense dir gibt. Ich denke, diese Entwicklung ist ganz natürlich und kommt mit der eigenen Erfahrung. Du musst nicht alles alleine regeln, sondern einfach ein Teil des Teams sein."
Viel Optimismus in der Hauptstadt
In gewisser Weise fasste dieser letzte Satz Cousins' Saison fast perfekt zusammen - im positiven, genau wie im negativen. Anders gesagt: Washingtons Siege wurden, mit Ausnahme vom 31:30 über Tampa Bay in Week 7, von einer guten Vorstellung des eigenen Running Games begleitet. Cousins spielte über die erste Saisonhälfte eher solide und machte, zumindest bei den Heimspielen, genug, um seinem Team eine Chance zu geben. Doch er war nicht der Hauptgrund für die ersten Siege.
Aber das änderte sich nach der Bye Week am achten Spieltag. Immer häufiger war es Cousins, der das Team jetzt trug. Seine Bilanz in den ersten sieben Spielen: Neun Touchdowns, acht Interceptions. Seither: 13 Touchdowns, drei Interceptions. Mehr Pässe finden den Mitspieler, die Yards pro Passversuch sind deutlich hoch gegangen.
So kommt es wenig überraschend, dass Coach Jay Gruden in der Vorwoche ohne übertriebene Lobhudelei betonte: "Wir sind noch in der Bewertungsphase. Aber es freut mich unglaublich, wie er sich entwickelt hat. Man merkt, dass ihm das eigene Selbstvertrauen immer weiter hilft. Allerdings lernt er auch noch und muss noch einige Dinge abstellen. Doch mir gefällt, wofür er als Mensch und als Football-Spieler steht. Daran setzen wir an."
"Definition eines Backups"?
"Daran setzen wir an" - ein Satz, der vermuten lässt, dass weitere Entscheidungen in der Luft liegen: Cousins' Rookie-Vertrag läuft nach dieser Saison aus, aktuell kosten die Dienstes des 27-Jährigen die Redskins lediglich 778.172 Dollar gegen die Gehaltsobergrenze. Peanuts in der NFL-Welt und gar nichts mit Blick auf die üblichen Quarterback-Gehälter.
Cousins, wie so häufig, lässt lieber andere für sich sprechen: "Letztlich liegt es am Team, am Coach und an den Medien, zu bewerten. Ich schaue auf das nächste Spiel." Doch gerade die Stimmen aus den Medien sind längst nicht immer so lobend, wie die von Kelly und Gruden. Als "Definition eines Backups" bezeichnete Ex-Ravens-Coach Brian Billick Cousins vor nicht allzu langer Zeit gegenüber NFL.com.
So brauche es einen Quarterback, "der auch unerwartete Spielzüge außerhalb des Playbooks machen kann. Kirk Cousins ist ein guter, solider Typ. Aber leider brauchen sie in Washington viel mehr." Eine gewisse Ironie spielt dabei unweigerlich mit, bedenkt man, dass Billick mit Baltimore 2000 den Super Bowl gewann - mit Trent Dilfer, vielleicht die Definition eines "soliden Quarterbacks" schlechthin.
Keine Alternative für Washington
Zurück nach Washington: Auch wenn Cousins noch zum Teil große Formschwankungen aufweist, so hat er in diesem Jahr mehrfach gezeigt, dass er mehr sein kann. Cousins ist ein ewiger Perfektionist, der nach einem Spiel erst schlafen kann, nachdem er sich das Tape angeschaut hat. "Ich muss es wenigstens ein Mal gesehen haben, um alle meine Fehler zu überprüfen. Andernfalls wälze ich mich die ganze Nacht über im Bett und frage mich, was passiert ist", gab er im MMQB zu.
Cousins beobachtete und lernte in den Jahren als Backup, wie Tight End Jordan Reed berichtete: "Er fragte die Jungs nach den Spielzügen, auch wenn er es gar nicht war, der ihnen den Ball zuwarf. Er fragte, wo sie den Ball haben wollen, ob sie frei waren, solche Sachen." Es könnte sich alles auszahlen, und ihm einen millionenschweren (Franchise-Quarterbacks verdienen bei aktueller Vertragsunterschrift etwa 20 Millionen Dollar im Jahr), jahrelangen Deal in der Hauptstadt einbringen.
Die Frage dabei ist tatsächlich vielmehr: Welche Alternativen haben die Redskins?
Der Week-15-Hangover: Defense made in Germany
Robert Griffin III, soviel scheint klar, wird Washington im Frühjahr verlassen. Ob per Trade oder ob per Entlassung, RG III hat keine Zukunft bei den Skins. Wer, wenn nicht Cousins, soll Washingtons Quarterback sein? Klar ist: Team-Verantwortliche haben vor wenigen Dingen so viel Angst wie vor Ungewissheit auf der Quarterback-Position.
Entscheidet sich Washington gegen Cousins - an anderen Interessenten (Cleveland und die Jets waren wohl schon interessiert) wird es nicht fehlen - dann muss das Team wieder von vorn anfangen. Will heißen: Einen Quarterback im Draft suchen, ihn über Jahre entwickeln und hoffen, dass die Coaches, die sich für diesen QB entschieden haben, so lange überhaupt im Team sind.
Playoffs im ersten Jahr?
Zudem, das gilt es nicht zu vergessen, ist er noch in seinem ersten Jahr als Starter in der NFL, wie Cousins selbst ausführte: "Es ist ja nicht meine zehnte oder elfte Saison. Und wenn das erste Jahr so aussehen kann, freue ich mich schon auf die kommenden Jahre. Deshalb denke ich, dass es viele Gründe gibt, sich auf das zu fokussieren, was wir im Moment haben. Aber auch viele Gründe, sich auf die Zukunft zu freuen."
Die Gegenwart heißt ganz konkret: Philadelphia. Gewinnt Washington bei den Eagles, ist die NFC East entschieden und Cousins zieht in seinem ersten Jahr als Starter in die Playoffs ein. Verlieren die Redskins, hätte Philadelphia alle Trümpfe in der Hand und könnte aus eigener Kraft am letzten Spieltag die Division eintüten. Die Coaches, genau wie die Spieler, vertrauen Cousins dabei - Defensive Tackle Ricky Jean Francois ließ unter der Woche auch letzte Kritiker daran verstummen.
Die NFL-Grundlagen-Übersicht: Offenses, Defenses und vieles mehr erklärt
"Die Coaches haben an ihn geglaubt, er hat an sich geglaubt. Nur wir mussten auch noch an ihn glauben, und wir haben keinen Zweifel: Für Kirk gibt es keine Grenzen, er kann alles erreichen. Er weiß, dass das ganze Team und inzwischen auch die ganze Stadt hinter ihm steht." Spätestens sein emotionaler "You like that"-Ausbruch in Richtung eines Reporters hat ihm gar zu einem gewissen Kultstatus verholfen.
Und plötzlich erscheint das Lob von Kelly, dessen Eagles-Defense zudem die sechstmeisten Yards pro Run-Versuch (4,5) zulässt, gar nicht mehr allzu dick aufgetragen. Der führte weiter aus: "Er ist jetzt besser im Rhythmus was ihre Offense angeht. In meinen Augen ist er mit der wachsenden Erfahrung wirklich aufgeblüht. Seine anhaltende Wurfgenauigkeit ist beeindruckend und er wirft den Ball nicht in gefährliche Bereiche." Sollte sich Kellys Lob auch in Week 16 bewahrheiten, könnten in der Hauptstadt am Sonntag die Playoff-Vorbereitungen starten.