In der NFL gibt nur drei sieglose Teams: die Buffalo Bills, die Carolina Panthers und die San Francisco 49ers. Bei den Bills wundert das eigentlich niemanden. Beim Team aus Upstate New York war schon vor der Saison klar: dieses Jahr kann man vergessen. Genau so bei den Panthers. Ganz anders die Situation bei den 49ers. Sie galten als klarer Favorit auf den Division-Sieg, einen Playoff-Run und vielleicht sogar mehr.
"Hier glaubt jeder, dass wir die NFC West gewinnen", sagte 49ers-Quarterback-Legende Steve Young vor der Saison zu SPOX. Stellvertretend für viele. "Und wenn sie sich in einen Rausch spielen, so wie die Jets im letzten Jahr, dann können sie sogar richtig weit kommen."
Wie gesagt: das war vor der Saison. Mittlerweile sieht die Situation anders aus - auch wenn Klub-Besitzer Jed York noch immer vom Divison-Titel spricht. Als einziger.
Potenzial ist eigentlich da
Denn um überhaupt noch die Playoffs erreichen zu können, müssten die Niners schon Geschichte schreiben. Seit der Einführung des aktuellen Playoff-Formats 1990 ist noch nie ein Team mit fünf Niederlagen gestartet und hat am Ende doch noch die Playoffs geschafft.
Unmöglich ist das natürlich nicht. Schließlich haben die 49ers ein machbares Schedule und das nötige Potenzial.
"Das ist das beste Team, in dem ich jemals gespielt habe", sagt Quarterback Alex Smith, als wir ihn in San Francisco treffen. "Wir haben einen erstklassigen Trainer, eine der besten Verteidigungen der NFL, extrem talentierte Receiver und Running Backs und dazu eine starke O-Line. Deshalb sage ich: wir können jedes Team schlagen."
Klingt gut. Das Problem ist nur: San Francisco ruft dieses Potenzial nicht ab. Besonders gilt das für Smith selbst. Der ehemalige Nummer-Eins-Draftpick galt lange als intelligenter, athletischer und vor allem sicherer Spielmacher.
Knapp 50 Millionen Dollar war das San Francisco im Jahr 2005 wert, als sie ihn vor einem gewissen Aaron Rodgers drafteten. Smith sollte der nächste Joe Montana oder Steve Young werden, den Super Bowl gewinnen.
Instabilität im Klub, Verletzungen, Psychoterror
Doch daraus wurde nichts. Denn anstatt sich in Ruhe entwickeln zu können (wie zum Beispiel Aaron Rodgers in Green Bay), bekam Smith in fünf Jahren sechs Offensive Coordinators und damit sechs unterschiedliche Spielsysteme vorgesetzt.
Kaum hatte er sich an ein Playbook gewöhnt, war es auch schon wieder veraltet. Hinzu kamen zwei Schulter-Operationen, eine 17-Millionen-Dollar-Gehalts-Kürzung und Psycho-Terror eines Vorgesetzten.
Zu viel für den ehemaligen College-Star. "Es gab Tage, an denen ich an mir gezweifelt habe. An denen ich nicht mehr sicher war, ob ich das Zeug dazu habe, ein Starting-Quarterback in der NFL zu sein", gibt Smith zu. "Das war eine extrem harte Zeit für mich."
"Weglaufen ist nicht meine Art"
Aber weglaufen, sich einfach einen neuen Klub suchen? Das kam für den heute 27-Jährigen nie in Frage. "Das ist einfach nicht meine Art", sagt er. "Deshalb habe ich auch nie aufgehört, an mir zu arbeiten, mich zu verbessern. Man weiß nie, wann man eine Chance bekommt."
Stundenlang hat er während der Offseason die Strategien gegnerischer Teams studiert, um besser auf diese reagieren zu können.
Und weil er sich erstmals während der Vorbereitung nicht auf ein neues System einstellen musste, hatte er Zeit, sich auf die Basics zu konzentrieren. Er verbesserte seine Beinarbeit und verfeinerte seine Wurftechnik.
Und es zahlte sich aus. "Es ist unglaublich, um wie viel er sich vor dieser Saison verbessert hat", sagt der ehemalige 49ers-Offensive-Coordinator Jimmy Raye. "Er musste so viele Rückschläge wegstecken und letztes Jahr um diese Zeit war er weit davon entfernt, ein echter NFL-Quarterback zu sein. Jetzt ist er endlich so weit. Jetzt ist er auf dem nächsten Level."
Smith genießt die Rückendeckung des Teams
Das dachten jedenfalls alle. Denn nach fünf Spielen ohne Sieg steht Smith vor dem Aus. Mit einem Quarterback-Rating von 71,6 rangiert er am unteren Ende der NFL-Statistik. Seine neun Interceptions sind Liga-Rekord und haben die 49ers bereits mehrere Spiele gekostet.
Lange hielt Head Coach Mike Singletary trotzdem zu seinem Quarterback. Erst beim Spiel gegen die Philadelphia Eagles kam es zum Eklat. Als die Fans lauthals den Namen von Backup-Quarterback David Carr skandierten, holte Singletary seinen Spielmacher vom Feld.
Es sah so aus, als wäre seine Saison gelaufen. Erst nach einer lautstarken Auseinandersetzung mit seinem Coach durfte Smith auch dank der Rückendeckung seines Teams und besonders von Tight End Vernon Davis zurück ins Spiel. Und erzielte auf Anhieb zwei Touchdowns.
Was war passiert? "Er hat Courage gezeigt", sagt Davis. "Und das war genau das, was der Trainer sehen wollte. Er hat zu ihm gesagt: 'Große Quarterbacks geben nicht auf. Egal wie mies es aussieht. Und wenn Du ein großer Quarterback sein willst, dann lässt du dich jetzt nicht einfach von mir auswechseln, sondern gehst da raus und tust was.'"
"Ich habe oft zu vorsichtig gespielt"
Und Smith tat etwas. Er erfand sich neu. Im letzten Viertel des Eagles-Spiels war er plötzlich ein anderer, ein neuer Alex Smith. Einer, der volles Risiko geht. Wurde er bisher immer für seine Übersicht und vorsichtige Spielweise gelobt, ließ er jetzt "die Hölle los".
"Ich habe wirklich oft zu vorsichtig gespielt", räumt Smith ein. "Dadurch war ich berechenbar und habe Interceptions provoziert. Das weiß ich jetzt - und werde es ändern. Wenn ich ohne Angst spiele und einfach mal Bomben loslasse, dann kann ich uns zum Sieg führen. Ich werde beim nächsten Spiel nicht mehr der alte Alex Smith sein. Das kann ich versprechen."
Und das ist auch bitter nötig. In der Bay Area heißt es, das Spiel gegen Oakland (Sonntag, 22.05 Uhr) sei seine letzte Chance.
Smith bekommt Lob vom Quarterbacks-Coach
Und das weiß Smith ganz genau. "Ich muss es nicht nur Fans und Vereinsspitze, sondern auch mir selbst beweisen, dass ich das Team führen kann", sagt er selbst. Und weiter: "Ich werde alles dafür tun, um die 49ers wieder dorthin zu führen, wo sie hingehören - in die Playoffs und an die Spitze der NFL."
Gelingt ihm das nicht, droht ihm das Karriereende. Sein Vertrag läuft nach dieser Saison aus - und in San Francisco wird offen über einen neuen Quarterback spekuliert.
Doch soweit soll es erst gar nicht kommen. Denn: "Alex ist ein Kämpfer", lobt Quarterbacks-Coach Mike Johnson. "Er möchte der Welt beweisen, dass er damals zu Recht der Nummer-eins-Pick war. Deshalb arbeitet er härter als jeder andere Spieler, den ich jemals trainiert habe."
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