NBA

Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Kampf der Boston Celtics in den NBA Finals gegen den Teufelskreis

Von Robert Arndt
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© getty

Die Boston Celtics haben eine historische Saison gespielt, in den Playoffs nur zwei Partien verloren und gehen als Favorit in die Finals gegen die Dallas Mavericks. Und trotzdem umgibt diese Mannschaft eine Unsicherheit, die es bei einem so dominanten Team nicht geben sollte. Einer der Gründe dafür: Jayson Tatum.

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Es ist nun gut drei Wochen her, dass Jayson Tatum genug hatte. Gerade hatten die Boston Celtics ihr zweites Heimspiel in der Postseason gegen die Cleveland Cavaliers verloren und die Kritiker wetzten schon wieder die Messer. Der 26-Jährige wurde nach einer wenig inspirierenden Vorstellung gefragt, wie sehr man sich denn nun Sorgen um die Celtics machen sollte.

Fast schon emotionslos und mit einem Schulterzucken reagierte Tatum, dafür aber mit umso deutlicheren Worten: "Die Welt denkt, dass wir niemals verlieren sollten und stattdessen jedes Spiel mit 25 Punkten gewinnen sollten. So läuft das aber nicht. Das ist kein schlechtes Team, wir sind hier in der zweiten Playoff-Runde. (...) Wir haben 16 Spiele verloren? (es waren 18, Anm. d. Red.) Wir haben stets die richtige Antwort gegeben in den wenigen Partien, die wir in dieser Saison verloren haben."

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Boston Celtics: Das etwas andere Superteam

Eine korrekte Feststellung, über die Saison haben die Celtics nur dreimal zwei Spiele in Serie verloren, nie drei. Die Pleite gegen die Cavs sollte die bislang letzte gewesen sein, stattdessen gab es sieben Erfolge am Stück und den zweiten Einzug in die NBA Finals seit 2022. Boston steht da, wo es stehen sollte, erst recht aufgrund der vielen Verletzungen von Stars in der Eastern Conference und dem vergleichsweise leichten Weg in die Finals.

Und doch störte es Tatum, als wie selbstverständlich das angesehen wurde. "Im TV wird immer verbreitet, dass wir ein Superteam sind. Aber stimmt das? Wir haben nicht den Coach of the Coach, wir stellen nur zwei All-Stars und nicht den MVP", zählte Tatum auf. "Sie sagen also, dass wir ein Superteam sind, belohnen uns aber nicht entsprechend. Wir sind ein gutes Team, aber auch nicht perfekt."

Niemand bestreitet das. 64 Spiele gewannen die Celtics, im Osten übertrafen das zuletzt die Miami Heat 2012/13, als die Heatles ihren vermutlich besten Basketball spielten (66-16) und 27 Partien in Serie gewannen. Das Net-Rating der Celtics (+11,6) wird nur von drei legendären Teams übertroffen, sie alle wurden in der Folge souverän Meister. Umso erstaunlicher ist der Wert der Celtics, da die NBA in den vergangenen Jahren immer ausgeglichener wurde und die Ära der klassischen Superteams vorbei scheint. Sechs verschiedene Champions in sechs Jahren sprechen hier eine deutliche Sprache.

Boston Celtics: Der Weg in die Finals

SerieGegnerErgebnisSpiele
Erste Runde(8) Miami Heat4-1114:94 (S), 101:111 (N), 104:84 (S), 102:88 (S), 118:84 (S)
Zweite Runde(4) Cleveland Cavaliers4-1120:95 (S), 94:118 (N), 106:93 (S), 109:102 (S), 113:98 (S)
Conference Finals(6) Indiana Pacers4-0133:128 OT (S), 126:110 (S), 114:111 (S), 105:102 (S)

Boston stellt eine historisch gute Offense (123,2) und beendete die Regular Season auf Platz zwei in der Defense (111,6) - und doch bleiben vor allem Zweifel über den Angriff, über ihre Wurfauswahl und überhaupt die Entscheidungen in der Crunchtime. Kein Team nahm mehr Dreier als Boston, das ist die Grundausrichtung, über nichts spricht Coach Joe Mazzulla lieber.

Der Coach hat ein Faible für Mathematik und kommt von der Schule, dass ein gutes Dreierteam entsprechend viele Würfe loswerden sollte, um statistisch die Oberhand zu behalten. Präsident und Ex-Coach Brad Stevens verfolgte eine ähnliche Strategie und spricht oft davon, dass sich das Wasser immer einpegelt. Heißt: Fallen die Dreier mal nicht, werden sie im nächsten oder übernächsten Spiel fallen. Vor allem für die Regular Season ist das ein Ansatz, mit dem man bei ordentlichem Spielermaterial Erfolg haben wird.

Das der Celtics ist nicht nur ordentlich, sondern exquisit. Mit Ausnahme von Derrick White waren die Top 6 Tatum, Jaylen Brown, Jrue Holiday, Kristaps Porzingis und Al Horford alle schon All-Stars, sie alle sind gute Dreierschützen und haben zumindest schon einmal an einem All-Defensive Team geschnuppert. Letzteres ist sehr selten bei dieser offensiven Qualität.

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Boston Celtics: Die ewige Frage nach Plan B

Hier liegt auch die große Stärke des Teams, die Offense ist dagegen der Bonus - und gleichzeitig eben auch die mögliche Schwäche. In 42 Spielen (!) trafen die Celtics in dieser Saison mindestens 40 Prozent von Downtown, nur einmal wurde verloren (131:133 gegen Indiana im Januar). Boston wirft viel von draußen und trifft viel, doch wenn die Dinger nicht fallen, kann es sehr hässlich aussehen, dann wirken die Celtics verwundbar - deswegen hagelt es oft Kritik an der Offense.

So ist es seit Jahren, in dieser Saison ist das Team noch einmal eine Ecke talentierter und doch scheint es so, dass gerade in kritischen Phasen ein Plan B fehlt. Nur vier Teams nahmen am Ring weniger Versuche als die Celtics, sie forcieren kaum Turnover, stehen selten an der Freiwurflinie und sind in Sachen Offensiv-Rebounds mittelmäßig. Satte 43 Prozent der Würfe sind in den Playoffs aber Dreier (Schnitt: 36,3 Prozent), 37,2 Prozent davon sind drin (35,8).

Kann man sich darauf verlassen? Womöglich, aber in engen Situationen ist dies Boston schon mehrfach zum Verhängnis geworden. Im Blickpunkt steht hier insbesondere Tatum, der in seinen zweiten Finals viel gutzumachen hat. Keine 37 Prozent aus dem Feld traf der damals der 24-Jährige, dessen Ballverluste und schwache Quoten Boston wohl einen Titel kosteten. "Eine Lehrstunde" nannte es der Forward im Nachhinein, der in den vergangenen drei Jahren dreimal in Folge im All-NBA First Team war - das gelang ansonsten nur Giannis Antetokounmpo und Luka Doncic, der ebenfalls nach seinem ersten Titel greift.

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© nba.com/stats

Und doch scheint Doncic stets über Tatum in der Hackordnung der besten Spieler der Welt zu stehen. Das Label "Superstar" wird schnell und sehr gerne verteilt, doch ein Superstar ist nicht gleich ein Superstar. Jahr für Jahr gibt es nur eine Handvoll Spieler, die eine glasklare Nummer eins bei einem Titelteam sein können, in der jüngeren Vergangenheit waren das unter anderem LeBron James, Stephen Curry, Kevin Durant, Kawhi Leonard, Nikola Jokic oder Giannis Antetokounmpo, von der jüngeren Generation sticht Doncic heraus.

Ist das fair gegenüber Tatum? Der Forward ist eine Konstante in den Playoffs, hatte bereits einige Signature Games (46 Punkte vs. Bucks, Spiel 6 2022 oder 51 Punkte vs. Sixers, Spiel 7 2023), ist aber eben auch für schwächere Spiele anfälliger als andere Stars und ist in vielen Bereichen zwar gut, aber auch nicht elitär.

Er ist nicht der Iso-Scorer wie Leonard, er ist nicht der Passgeber wie Doncic, er hat nicht den IQ eines Jokic - und doch ist Tatum der beste Spieler der besten Offense der Liga, wenn auch nicht so effizient wie man sich das wünschen würde. Auch diese Postseason ist bislang nur bedingt ein Bewerbungsschreiben, auch wenn Tatums Defense definitiv ein Bonus ist.

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© getty

Boston Celtics: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ein True-Shooting-Wert von 56,5 Prozent ist sogar unterdurchschnittlich, das liegt vor allem an den 29 Prozent von draußen. In der Eastern Conference konnten sich die Celtics das leisten, zu groß war der Unterschied beim Talent. Gegen Indiana zeigte Tatum wieder Licht und Schatten. Da waren einige forcierte lange Jumper nach Dribbel-Orgien, aber auch entschlossene Drives und überlegte Pässe, nachdem er die Defense zum Kollabieren brachte. Dennoch war es Brown, der Tatum in diesen Playoffs etwas in den Schatten stellt, der den MVP-Award gewann.

Auch das ist ein Plus für Boston. Tatum muss nicht der 1A-Superstar sein, weil die Celtics ein Ensemble sind, vergleichbar vielleicht mit den Detroit Pistons vor 20 Jahren, denen ebenfalls die eierlegende Wollmilchsau fehlte. In den Finals sind die Celtics nun erstmals in der Situation, dass sie nicht den besten Spieler stellen, trotzdem gehen sie als Favorit in die Serie, doch die Spanne für Fehler ist deutlich geringer und damit der ultimative Test für das Team, das in den vergangenen Jahren viel liegen ließ.

NBA Finals: Alle Termine in der Übersicht

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärts
17. Juni (Fr)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
210. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
313. Juni (Do)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
415. Juni (Sa)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
5*18. Juni (Di)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
6*21. Juni (Fr)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
7*24. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks

*wenn benötigt

Sechs Conference Finals in acht Jahren und kein einziger Titel - so etwas gab es in der jüngeren Vergangenheit einfach nicht, auch wenn es für die Celtics spricht, dass sie trotz der Enttäuschungen an ihrem Kern um Tatum (26) und Brown (27) festhielten. Dieses Jahr ist nicht die letzte Chance für das Duo, doch größer war die Möglichkeit noch nie. Verletzungen können immer passieren, noch einmal sollte der Osten nicht so leicht sein wie in dieser Saison.

Man wird es in Boston nicht gerne hören, aber wenn die Celtics nicht die letzte Hürde nehmen, wann denn dann? Daraus speisen sich die Erwartungen, darum ist der Druck auf diese Mannschaft und vor allem auf Tatum so groß. Ob das nun fair ist oder nicht ...