Wenn Erik Spoelstra ein Lieblingswort hat, dann ist es "mud". Die berühmte "Heat Culture" mag zwar vor allem in den Medien gerne zitiert werden, doch für den Head Coach geht es oft darum, ob sein Team im Schlamm spielen kann. Inzwischen färbt das auch auf seine Spieler ab: Bam Adebayo sprach nach einem Sieg gegen Utah kürzlich davon und führte dabei aus, was genau gemeint ist.
"Unsere Identität ist Defense", sagte der Center. "Wir wollen Stops erzwingen und Teams in den Schlamm ziehen. Und so generieren wir auch unsere Offense. Es ist einfacher, wenn man umschalten kann und den Ball nicht aus dem Netz holen muss."
Genau das tun die Heat seit Februar: Nachdem Miami eine Niederlagenserie von sieben Pleiten am Stück einstecken musste, erinnert seitdem vieles an die Mannschaft, die im Vorjahr in den Playoffs mit Milwaukee, New York und Boston alle Schwergewichte des Ostens überrumpelte und als 8-Seed sensationell in die Finals marschierte. Elf von 16 Spielen wurden gewonnen, dazu suhlte man sich ordentlich im Schlamm und stellt in dieser Zeit die viertbeste Defense der Liga. Fünfmal wurde der Gegner unter 100 Punkten gehalten, drei weitere Male waren es weniger als 105 Zähler für die Kontrahenten.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass sich Miami in Lauerstellung befindet, auch wenn die Bilanz von 35-29 derzeit nur für Platz acht in der Conference reicht. Dennoch: Selbst Platz vier ist noch möglich (nur 2 Spiele Rückstand), da Teams wie New York und Philadelphia von Verletzungen gebeutelt sind. Davon können die Heat ebenfalls ein Lied singen, nur drei Akteure absolvierten bisher wenigstens 50 Partien. Auch das war ein Grund für die lange Zeit mäßige Bilanz. Sinnbildlich dafür: Miami hat kein einziges Lineup, das mindestens 100 Minuten zusammen auf dem Parkett verbracht hat.
Satte 97 Lineup-Kombinationen stehen vor der meistgenutzten Aufstellung der Heat (Rozier, Robinson, Butler, Jovic, Adebayo). Es gibt also durchaus Gründe für die schwankenden Vorstellungen und auch für das weiterhin gezeigte Selbstverständnis: "Wir sagen es euch schon das ganze Jahr, dass man sich um uns keine Sorgen machen muss", betont Jimmy Butler. "Wir wissen, wer wir sind und darauf werden wir weiterhin aufbauen."
NBA: Das Playoff-Rennen in der Eastern Conference (Stand: 12. März)
Platz | Team | Bilanz |
4 | New York Knicks | 37-27 |
5 | Orlando Magic | 37-28 |
6 | Philadelphia 76ers | 36-28 |
7 | Indiana Pacers | 36-29 |
8 | Miami Heat | 35-29 |
9 | Chicago Bulls | 31-34 |
10 | Atlanta Hawks | 29-35 |
Miami Heat: Der Kern kennt sich seit fünf Jahren
Es ist das größte Faustpfand dieser Franchise. "Heat Culture" mag einem zwar schon zu den Ohren herauskommen, aber es steckt auch ein Stück Wahrheit darin. Spoelstra steht seit 2008 an der Seitenlinie, Schlüsselspieler wie Adebayo (seit 2017) oder Butler (2019) bilden seit vielen Jahren den Kern. Um sie herum findet das Team seit Jahren über diverse Wege geeignete Rollenspieler, die sich der Philosophie unterwerfen.
Niemand spielt so gut (und oft) Zonenverteidigung wie Miami, die damit immer wieder komplett den Rhythmus des Gegners brechen. Letztlich ist es Übungssache, die Prinzipien bleiben wie bei einer klassischen Zone die gleichen. Penetration soll verhindert, Turnover forciert und der Ball vom Ring abgehalten werden. All das funktionierte zuletzt wieder vorzüglich, auch das Problem der vielen zugelassenen Offensiv-Rebounds wurde eingedämmt.
Aber: In den vergangenen drei Partien setzte es wieder Pleiten in Dallas, OKC und gegen Washington. Die ersten beiden Niederlagen waren gewissermaßen erklärbar, die Schlappe gegen die Wizards eher nicht. Gegen die ganz großen Superstars helfen oft auch alle Kniffe von Spoelstra nicht, das zeigte sich in den Finals gegen Nikola Jokic. Am Wochenende waren es Luka Doncic und Shai Gilgeous-Alexander, die mit ihrer individuellen Klasse Miami entzauberten. Gegen Washington fehlte es dagegen in der Offense, sie bleibt das Sorgenkind im südlichen Florida.
Miami Heat: Ungewohnte Crrunchtime-Probleme
Zwar gab es zuletzt wieder vermehrt "Playoff Jimmy" zu sehen, doch Dallas nahm Butler mit zahlreichen Double Teams komplett den Rhythmus und es fehlten Alternativen, um dies zu kompensieren. Tyler Herro fehlt schon wieder verletzt, Neuzugang Terry Rozier ist zwar ein defensives Upgrade, hat aber noch gar keinen Touch für seinen neuen Arbeitgeber (nur 51 Prozent True Shooting). Und auch Bam Adebayo kühlte zuletzt nach guten Wochen ab, seine kurzen Mitteldistanzwürfe bleiben ein Swing-Faktor für dieses Heat-Team.
Die vergangenen drei Spiele zeigten auch, dass Miamis Fehlertoleranz deutlich kleiner ist als die anderer Top-Teams. "Das war eine Lehrstunde", meinte Butler nach der WIzards-Schlappe. "Wenn wir nicht mit der richtigen Einstellung spielen, dann kommt das dabei raus."
Im Heat-Schlamm entscheiden meist Kleinigkeiten: Nach 54 Clutch-Spielen im Vorjahr (32-22) steht Miami auch in dieser Saison wieder bei 34 Partien (18-16), bei denen in den letzten fünf Minuten die Differenz lediglich 5 Zähler betrug.
Und solche Clutch-Spiele haben eine enorme Varianz, es sei denn, man hat Jokic in seinen Reihen. Im Vorjahr waren die Heat noch das zweitbeste Crunchtime-Team, in dieser Spielzeit sind gemäß Net-Rating nur New Orleans, Detroit und Washington schlechter (Shoutout an die Wizards, die in 27 Clutch Games ein Net-Rating von -50 haben!).
Miami Heat: Die Crunchtime-Stats in der Ära Jimmy Butler
Saison | Spiele | Bilanz | Offense (Rang) | Defense (Rang) | Net-Rating |
19/29 | 36 | 18-18 | 102,2 (23.) | 116,2 (25.) | -14,0 (24.) |
20/21 | 34 | 18-16 | 95,3 (30.) | 102,4 (7.) | -7,1 (23.) |
21/22 | 38 | 23-15 | 101,1 (24.) | 100,8 (4.) | +0,3 (15.) |
22/23 | 54 | 32-22 | 113,3 (7.) | 98,6 (2.) | +14,7 (2.) |
23/24 | 34 | 18-16 | 109,0 (28.) | 116,3 (19.) | -16,3 (27.) |
Miami Heat: Die Parallelen zum Vorjahr sind da
Das Net-Rating über die gesamte Saison beträgt stattdessen wieder fast exakt 0. Dabei ist es absolut erstaunlich, wie deckungsgleich alle wichtigen Parameter sind, gerade in der Defense. So erlaubt Miami die zweitwenigsten Abschlüsse am Ring und lässt dafür jede Menge Dreier zu. Auf der Gegenseite erspielt man sich zahlreiche Dreier aus der Ecke und lebt davon, vor allem durch Butler Fouls zu ziehen und an die Freiwurflinie zu marschieren.
Aber: Während Miami im Vorjahr bei der Dreierquote nur auf Rang 27 rangierte, liegt man derzeit sogar auf Platz neun. Es fehlt also an Spielraum nach oben, wenn man sich in den Playoffs wieder steigern will. Liefen im Vorjahr plötzlich Max Strus, Duncan Robinson oder Gabe Vincent zur richtigen Zeit heiß, kann man diesmal nicht auf fehlendes Wurfglück verweisen.
Die Qualität des Kaders ist zumindest ähnlich. Gerade Rozier ist, wenn er denn endlich seinen offensiven Groove findet, ein deutliches Upgrade zu Kyle Lowry oder Vincent, Robinson füllt mit seiner Comeback-Saison die Lücke, die Strus hinterlassen hat. Miami in Bestform wird diese Dreier brauchen, gleiches gilt natürlich für Butler, dessen Usage von 24 Prozent in der Regular Season mal wieder deutlich unter der in den Playoffs liegt (in den vergangenen beiden Jahren jeweils 29 Prozent).
Der Forward ist inzwischen 34 Jahre alt, hat jede Menge Meilen auf dem Tacho. Wie lange kann er noch in den Superstar-Modus schalten? "Manche Dinge behältst du in der Hinterhand und wenn du es dann zu diesem Zeitpunkt im Jahr auspackst, dann nennen es die Leute eben 'Playoff Jimmy'", versuchte Butler mit dem Mythos zuletzt ein wenig aufzuräumen. "Für mich geht es eher darum, langfristig zu denken. Ich weiß, dass ich ziemlich gut bin, aber irgendwann kommen die Momente, in denen man noch einmal einen Gang höher schalten muss."
Das ist die Formel, welche Miami drei Conference-Finals- sowie zwei Finals-Teilnahmen in den letzten vier Jahren bescherte. Das schaffte in diesem Zeitraum keine andere Franchise - und das wie gesagt mit dem gleichen Kern.
Das macht Miami ähnlich gefährlich wie im Vorjahr, Angst vor übermächtigen Gegnern haben sie ohnehin nicht. Die Heat wissen, wie man die Bucks schlägt. Sie wissen, wie man Boston ärgern kann - auch wenn die Qualität der Heat deutlich geringer ist. Und wenn Miami eines kann, dann Spiele im Schlamm auszutragen. Sie müssen ihre Gegner nur dort hineinziehen.