Seit 2017 hatte Adrian Wojnarowski für ESPN gearbeitet. Am Freitagabend verkündete er aus heiterem Himmel seinen Abschied: Der 55-Jährige kehrt zurück zu seiner Alma Mater und wird am College St. Bonaventure, wo er 1991 seinen Abschluss gemacht hatte, als General Manager den Männerbasketball leiten.
"Ich weiß, welchen Einsatz meine Rolle erfordert, aber ich habe nicht mehr den Antrieb, so viel zu investieren", schrieb Wojnarowski in einem Social-Media-Post. "Wir haben nicht unendlich Zeit, ich will meine auf eine Art und Weise verbringen, die mich persönlich mehr erfüllt." Es folgten Glückwünsche und Danksagungen, von Kollegen, Superstars und kompletten NBA-Teams - nicht umsonst fühlte es sich an wie das Ende einer Ära.
Durch seinen Abschied verzichtet "Woj" auf ein millionenschweres Gehalt, aber verlässt gleichzeitig einen Job, der ihn jahrelang ausgelaugt hatte. "Er wollte sein Leben zurück", erklärte ESPN-Kollege Adam Schefter, der in der Berichterstattung über die NFL eine ähnliche Rolle spielt wie Wojnarowski im Basketball: "Er wollte nicht mehr an Feiertagen arbeiten, Familienfeste verpassen, mit dem Handy an der Kabinentür duschen, damit er ja keine Nachricht verpasst, oder mit Handy in der einen Hand am Pissoir stehen, während er mit der anderen Hand sein Geschäft verrichtet. So sieht unser Leben aus."
"Woj" hatte unter anderem als Erster über den Saisonabbruch anlässlich der Corona-Epidemie im Jahr 2020 berichtet, die Wechsel von Kawhi Leonard und Paul George zu den LA Clippers oder den Tod von Kobe Bryant. Er hinterlässt in der NBA-Medienlandschaft eine gigantische Lücke. Gefüllt werden dürfte sie erst einmal hauptsächlich von Shams Charania, seinem ehemaligen Zögling und langjährigen Rivalen, der aktuell für The Athletic arbeitet. Womöglich werden auch andere kommen.
Die Art und Weise seines Abschieds - und die genannten Gründe - könnte im Bestfall aber auch zum Umdenken in einer Branche führen, in der die Grenzen zwischen Journalismus, der Liga und der "Show" immer schwerer auszumachen waren. Robert Arndt hatte diesen Interessenskonflikt für SPOX im vergangenen Frühjahr angesichts der Trade Deadline genauer beleuchtet:
"Sie küssen die Ärsche der Mächtigen": Wie Adrian Wojnarowski und Shams Charania die Berichterstattung der NBA verändern
Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2024 veröffentlicht.
Adrian Wojnarowski und Shams Charania sind als Journalisten Stars in NBA-Kreisen, sie dominieren mit ihrer Aktivität in den sozialen Netzwerken die Berichterstattung der Liga. Zwischen den beiden ist eine echte Rivalität entstanden. Gleichzeitig stehen die beiden für eine gefährliche Entwicklung, bei der die Grenzen verschwimmen.
Am Donnerstag ist es wieder soweit: Die NBA Trade Deadline steht an. Sie überschattete in den vergangenen Jahren zeitweise sogar den anstehenden Super Bowl, Trades sind inzwischen gefühlt wichtiger als das Spiel selbst. Dazu kommt: Keine Liga findet so prominent in den sozialen Medien statt wie die NBA.
Aus dieser Blase heraus wurden selbst Journalisten zu Stars, allen voran Adrian Wojnarowski (ESPN) und Shams Charania (The Athletic), die Jahr für Jahr Anfang Februar trenden - und ein eigenes Genre geschaffen haben.
News-Breaking ist in der Twitter-Ära eine eigene Sparte geworden, Wojnarowski hat inzwischen 6,3 Millionen Follower, Charania steht bei 2,2 Millionen. Im Internet wird fleißig mitgezählt, wer mehr Scoops gelandet hat, selbst Spieler schalten sich inzwischen ein. Die Beiden sind unter NBA-Fans so populär wie die Spieler selbst und es gibt nicht wenige, die zwischen "Woj" und "Shams" die einzige echte Rivalität in der NBA sehen.
Wojnarowsi und Charania: Der Mentor und der Schüler
Dabei arbeiteten beide rund zwei Jahre bei Yahoo noch zusammen: Wojnarowski war schon länger das Aushängeschild der Plattform und tanzte ESPN jahrelang auf der Nase herum, nach er seit 2011 auf Twitter (heute X) jeden einzelnen Draft-Pick verkündete, bevor der Commissioner für den nächsten Spieler auf die Bühne kam. Es hat schon seine Gründe, dass Woj als "31. Franchise" angesehen wird: Niemand ist so gut wie er vernetzt, angeblich fragen auch Teams um Ratschläge oder verwenden Wojnarowski als dritte Partei, um mögliche Verfügbarkeiten von gegnerischen Spielern auszuloten.
Es ist das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit, wie sein früherer Kollege Mike Vaccaro der Washington Post erzählte: "Er sprach schon mit dem dritten Assistant Coach, als niemand daran dachte, so etwas zu tun." Vor allem zu den San Antonio Spurs pflegte Woj lange gute Kontakte. Von dort stiegen zahlreiche Assistenten und Front-Office-Mitarbeiter zu wichtigen NBA-Persönlichkeiten bei anderen Teams auf, was Wojnarowski half, bei allen Teams genügend Quellen haben.
Und diese liefern, weil auch sie daraus Profit schlagen - indem sie das Narrativ kontrollieren. Schon früh war Wojnarowski dafür bekannt, seinen Kolumnen bei Yahoo eine persönliche Note beizufügen. Ein Beispiel ist der ehemalige Blazers-GM Neil Olshey: Dass der Newsbreaker, der Olshey schon lange vor der NBA gekannt hatte, nach dessen Entlassung in Portland einen sehr milden Artikel schrieb, wunderte auch Damian Lillard nicht. Dame wiederum kam damals überhaupt nicht gut weg.
Wojnarowski holte Charania in sein Team
Auch das ist ein Trend: Spieler, die sich Wojs Einfluss entziehen, werden nicht mit Samthandschuhen angefasst. Das prominenteste Beispiel ist dafür LeBron James. Wenn es um den Megastar geht, hat Wojnarowski fast immer das Nachsehen. Stattdessen ist es meist Charania, der über Klutch-Klienten besser informiert ist.
Shams bildet dabei den Gegenpol zu seinem Mentor. Während Wojnarowski (54) als früherer Zeitungsjournalist eher zur alten Schule gehört, ist Charania mit 29 Jahren teilweise jünger als die Spieler selbst und gilt als sehr angenehmer Gesprächspartner. Es ist keine acht Jahre her, als Charania plötzlich ins Rampenlicht rückte, indem er als Erster den Trade von Luol Deng zu den Cleveland Cavaliers verkündete. Wojnarowski nannte Shams "den besten Nachwuchs-Reporter" und holte ihn ein Jahr später in sein Team.
Wie auch Woj, der stets Nachtflüge bucht, um keine Scoops zu verpassen, ist auch Charania ein echtes Arbeitstier. Noch während seiner Uni-Zeit schrieb Charania zahlreiche Outlets wegen eines Jobs an und begann mit Borderline-NBA-Spielern Kontakte zu knüpfen. So berichtete er von Zehn Tages-Verträgen sowie D-League-Signings und bandelte in seiner Heimatstadt Chicago mit Ersatzspielern an. Als die Bulls ihm dann keine Akkreditierungen geben wollten, fuhr er immer wieder nach Milwaukee, um dort bei Spielen anwesend zu sein.
Shams Charania: Über 19 Stunden Screen Time am Tag
Selbst bei Vorlesungen twitterte Charania fröhlich vor sich hin und tauschte sich mit Quellen aus. Heute macht der Sohn pakistanischer Immigranten dies natürlich Vollzeit, zu Zeiten der Trade Deadline oder der Free Agency beträgt seine Screen Time über 19 Stunden am Tag. Dank Woj lernte Charania schließlich auch die großen Persönlichkeiten der Liga kennen. Als der Mentor allerdings mit seinem Team zu ESPN wechselte, blieb Shams bei Yahoo - der Beginn einer Rivalität.
Seither dominieren die beiden das Newsbreaking-Business, für den Rest bleiben nur Krümel. Man erzählt sich Geschichten darüber, dass lokale Beatwriter Agenten um Bestätigung für eine Breaking News fragen, aber erst dann eine Antwort bekommen, nachdem Woj die Transaktion über X mitgeteilt hat. Shams und er haben eine enorme Macht und eben eine unfassbare Reichweite, sodass es für Spieler, Agenten, Teams und Co. sinnvoller ist, News an einen der beiden durchzustecken.
Dafür werden sie auch fürstlich entlohnt. Woj bekommt von ESPN laut New York Post 7 Millionen Dollar jährlich, Shams von der New York Times, die The Athletic 2022 aufkaufte, rund 2 Millionen. Das geschah aber nicht ganz ohne Nebengeräusche, weil Charania auch bei einem Wettanbieter unter Vertrag steht - was vor allem alteingesessenen Times-Mitarbeitern sauer aufstieß. Aber der bald 30-Jährige repräsentiert eine neue Generation von Journalisten, die über Social Media so viele Leute erreichen, dass man auf sie kaum verzichten kann.
Woj und Shams: Gefährliche Interessenkonflikte
Gleichzeitig ist es ein gefährliches Spiel, das Charania treibt. Vor dem Draft 2023 meldete er, dass die Hornets an Position zwei nun doch Scoot Henderson in Betracht ziehen würden. Die Folge war, dass sich die Quoten auf dem Wettmarkt massiv änderten. Letztlich war es eine falsche Information, da Charlotte wie von vielen erwartet Brandon Miller auswählte: Der Wettanbieter sahnte ab, während viele Leute Geld verloren.
Dazu wird Shams vorgeworfen, dass er - ähnlich wie Woj - seine Quellen gerne in gutem Licht dastehen lässt. So schrieb er zum Beispiel zur Entscheidung von Kyrie Irving, sich nicht gegen das Corona-Virus impfen lassen zu wollen, dass dieser sich entschieden habe, ein "Sprachrohr für die Leute ohne Stimme" zu sein.
Es zeigt, dass die Grenzen zwischen der Liga und den Journalisten schon längst verschwommen sind. Bezeichnend dafür ist, dass Woj von der Agentur CAA (Gründer: Knicks-Präsident Leon Rose) vertreten wird, die zahlreiche Spieler, Coaches und Agenten unter Vertrag hat. Charania ist Teil der Wasserman Group, auch sie vertritt unzählige Mitarbeiter in der NBA.
Wojnarowski und Charania: Sie sind Teil der Show
Die beiden sind somit eher als Werkzeuge der Teams zu sehen, die ihre Informationen und Sichtweisen gefiltert an die Öffentlichkeit geben wollen. Der Leser/User selbst muss sich dann die Frage stellen, aus welchem Grund diese Infos geleakt wurden und worin der Nutzen besteht. Dem normalen NBA-Fan dürfte dies egal sein, doch kritische Berichterstattung über die Liga wird von den beiden nicht geben.
"Sie müssen die Ärsche der Mächtigen küssen", brachte es TrueHoop-Gründer Henry Abbott auf den Punkt. "Sie betteln um News und beschränken ihre Einsichten in die Liga auf glitzernde Spielerwechsel. Wichtige Themen wie Doping, Geldwäsche und der ganze andere Kram, der tagtäglich passiert, fallen so unter den Tisch."
Auch deswegen dürfte die NBA sehr angetan von den Rollen der beiden Newsbreaker sein. Das teils offensichtliche Tampering in der NBA ist der Kollateralschaden. Sie stecken so tief drin, dass sie in der Free Agency schon um Punkt Mitternacht Deals verkünden, obwohl ab diesem Zeitpunkt überhaupt erst verhandelt werden darf. Aber die NBA drückt (meistens) ein Auge zu. Woj und Shams sorgen in den sozialen Medien schließlich für Reichweite - und das ist der Liga mit dem jüngsten Publikum aller Major Leagues wichtig.
Die Show muss immer weitergehen. Und zu dieser Show zählen inzwischen auch die Journalisten, vor allem zur alljährlichen Trade Deadline.